X Ti West Interview
Regisseur Ti West (Mitte) am Set von "X" mit Mia Goth (rechts) und Martin Henderson (links) Photo Credit: capelight pictures / Christopher Moss

Ti West [Inteview]

Viele Jahre haben Fans darauf warten müssen, bis der durch Filme wie The Innkeepers bekannte Ti West einen neuen Horrorfilm dreht. Mit X meldet er sich zurück und erzählt von einer Gruppe, die Ende der 1970er einen Pornofilm drehen will und dafür das Gasthaus eines älteren Ehepaares namens Howard und Pearl mietet. Die Stimmung ist gut, das Team genießt die Arbeit, ohne zu ahnen, worauf sie sich eingelassen haben. Nachdem der Film bei den Fantasy Filmfest Nights 2022 Deutschland-Premiere feierte, steht am 19. Mai 2022 der reguläre Kinostart an. Das haben wir zum Anlass genommen, um uns mit dem Regisseur über Pornofilme, den Wandel von Horror und die Angst vor dem Alter unterhalten.

 

Deine Karriere begann mit einer Reihe von Horror-Spielfilmen, die du direkt nacheinander gedreht hast. Dann kam aber diese riesige Pause zwischen The Sacrament und X. War das von dir so beabsichtigt oder hat sich das einfach ergeben?

Ein bisschen von beidem würde ich sagen. Ich hatte das Glück damals, diese ganzen Filme drehen zu dürfen. Aber wenn ich so weiter gemacht hätte, wäre es darauf hinausgelaufen, dass ich mich wiederholt hätte. Diese Filme wären nur entstanden, weil ich sie drehen konnte. Und das wäre kein besonders guter Grund gewesen, um die Strapazen auf mich zu nehmen. Einen Film zu drehen, das bedeutet zwei Jahre Drama. Das nimmst du nur auf dich, wenn du das wirklich willst. Deswegen war mir klar: Falls ich eine gute Idee für einen weiteren Horrorfilm haben würde, würde ich diesen drehen. Und wenn nicht, dann würde ich eben etwas anderes machen. Also habe ich einen Western gedreht und Episoden von verschiedenen Serien. Das hat mir auch wirklich Spaß gemacht, ich hatte eine gute Zeit. Gleichzeitig wollte ich schon irgendwann wieder zum Film zurückkehren. Ich brauchte nur noch die passende Idee.

Und wie kam es dann zu X?

Ich hatte das Gefühl, dass Horrorfilme etwas soft geworden waren und spielte deshalb mit dem Gedanken, einen Slasher-Horror zu drehen, weil ich so etwas noch nie gemacht hatte. Außerdem wollte ich das Thema Film irgendwie einbauen. Filme haben heute nicht mehr das Ansehen, das sie früher einmal hatten, was sicher auch daran liegt, dass sich alle an sie gewöhnt haben. Je älter der Film als solcher wird, umso mehr verliert er seinen Glanz. Dabei liebe ich Filme. Ich liebe auch die Kunstfertigkeit, die mit Filmen verbunden ist. Das Handwerk. Das wollte ich irgendwie einbauen. Ich hätte natürlich auch einen Film über das Drehen eines Horrorfilms drehen können. Aber das war mir zu Meta. Und auch so etwas wie The Player hätte bei mir nicht funktioniert, da ich selbst gar nicht die großen Hollywood-Erfahrungen gesammelt habe. Irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, Horror und Porno miteinander zu verbinden, weil beide eine Art symbiotische Beziehung haben. Beide sind zudem Außenseiter, sind nicht Teil des Systems. Du kannst sie einfach drehen und damit direkt auf das Publikum zugehen.

Horror und Pornos gibt es heute auch noch. Warum dann das 70er Jahre Setting?

Die 70er waren so etwas wie das Goldene Zeitalter des Pornos. Wenn du damals einen Film für Erwachsene gedreht hast, musstest du tatsächlich einen Film drehen, der 80 bis 90 Minuten lang ist. Du hattest um die Sexszenen herum deshalb sehr viele andere Szenen. Heute brauchst du das nicht mehr, der Rest wird heute einfach weggelassen und es gibt nur noch den Sex. Ich wollte dem Publikum zeigen, was es heißt, solche Filme zu drehen. Viele denken, dass es irgendwie furchterregend ist, einen Horrorfilm zu drehen. Aber das ist es gar nicht. Und genauso ist es alles andere als erotisch, wenn du einen Sexfilm drehst. Die Zuschauer hinter die Kulissen blicken zu lassen, war für mich eine charmante Methode, dem Publikum die Menschen hinter dem Sexfilm näherzubringen. Wenn ich den Leuten zeige, was es bedeutet, einen Film zu drehen, und mit welchen Mühen das verbunden ist, dann führt das hoffentlich dazu, dass sie Filme als solches mehr zu schätzen wissen.

Du hast schon gesagt, dass Pornos damals mehr waren als nur Sexszenen. In X reden sie auch davon, dass sie eine künstlerische Vision haben, die sie mit dem Film verfolgen. Können Pornos überhaupt künstlerisch sein oder sind sie nur ein Mittel zum Zweck?

Sie können durchaus künstlerisch sein. Es hängt immer davon ab, weshalb du einen Film drehst und was du damit erreichen möchtest. Der Film, den RG in X drehen will, wäre sicherlich kein übermäßig künstlerischer Film. Dafür ist er zu albern. Aber er will doch einen Film machen, der so gut wie möglich ist. Das war mir auch wichtig zu zeigen, dass sie sich wirklich Mühe geben bei dem, was sie tun, und nicht einfach nur alles runterdrehen.

Du hast vorhin davon gesprochen, dass Horrorfilme von heute softer sind. Wenn du das Horrorgenre heute mit dem vergleichst, als du vor zwanzig Jahren angefangen hat, was hat sich verändert?

Das Horrorgenre war immer eins, das sich immer wellenförmig bewegt hat. Eine Zeit lang liegen Geister im Trend, nur um dann von Torture Porn, wie man diese ultrabrutalen Filme nannte, abgelöst zu werden. In den 90ern hattest du die Scream-Kopien. Oder nimm die ganzen Found-Footage-Geschichten, die für eine Weile so populär waren, dass du nicht dran vorbeikamst. Ich weiß gar nicht mehr so genau, was damals im Trend lag, als ich angefangen habe. Aber ich glaube, es waren die Independent-Filme wie Saw oder Cabin Fever, die damals ziemliche Veränderungen mit sich brachten.

Und wie sieht es heute aus? Was ist gerade der Trend?

So genau kann ich das gar nicht sagen. Übernatürliche Geschichten im Stil von Conjuring gehen immer noch gut. Jordan Peele hat einige interessante Sachen gemacht und hat ein gutes Gespür dafür, was Leute sehen wollen. Vielleicht bewegen wir uns auch wieder stärker in eine Slasher-Richtung mit dem Halloween-Remake und Scream, die beide sehr erfolgreich waren. Oder auch Malignant. Da würde X gut reinpassen. Aber wir werden sehen.

X ist aber nicht nur ein Slasher im Pornoumfeld. Du erzählst auch eine sehr tragische Geschichte von einer alten Frau, die sich nach ihrer Jugend sehnt. Was bringt einen Mann Anfang 40 dazu, sich über ein solches Thema Gedanken zu machen?

Die existenzielle Krise älter zu werden ist eine, die alle irgendwann durchmachen. Wir alle werden älter. Ich merke das selbst schon, auch wenn ich erst 41 bin. Manche gehen damit besser um, andere schlechter. Howard hat im Film auch so seine Probleme damit, selbst wenn Pearl natürlich klar die treibende Kraft ist. Wir kennen das alle: Wenn ich nur x, y und z habe, dann werde ich glücklich sein. Und dann triffst du jemanden, der x, y und z wirklich erreicht hat und feststellt, dass er früher glücklicher war. Die typisch menschliche Eigenschaft, dass das Grün auf der anderen Seite immer grüner ist und du das nicht haben kannst, was du willst. Die Sehnsucht nach der Jugend und der Wunsch wieder so zu sein wie früher, hat sie in unglaublich finstere Abgründe geführt. Howard und Pearl sind deshalb keine übernatürlichen Monster, sondern Menschen, die aus sehr menschlichen Gründen tun, was sie tun. Die Taten an sich sind natürlich grotesk und kaum nachzuvollziehen. Die Gefühle dahinter werden aber die meisten nachvollziehen können.

Wie stehst du denn dem Alter gegenüber? Ist das etwas, wovor du selbst Angst hast?

Zum Teil. Du hast natürlich den Aspekt der Sterblichkeit, der automatisch mit dem Alter kommt. Und auch die Sache mit der Gesundheit wird mit der Zeit immer problematischer. Gleichzeitig weißt du im Alter mehr als früher. Stichpunkt Weisheit. Deswegen habe ich da gemischte Gefühle. Einige Sachen sind großartig mit 41. Anderes war mit 25 dann doch besser. Du nimmst das Gute mit dem Schlechten und musst versuchen, dich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren.

Und wenn du mit deiner Weisheit des 41-Jährigen wieder dem 25-Jährigen Du begegnen würdest, was würdest du dir selbst raten?

Das mag sich jetzt nach einem Klischee anhören, aber ich würde mir sagen, einfach weiter zu machen mit den Filmen. Das Filmemachen ist immer mit so unglaublichen Selbstzweifeln verbunden. Es ist schon unwahrscheinlich genug, dass es dir gelingt, einen Film zu drehen. Noch unwahrscheinlicher ist, dass du danach jemanden findest, der deinen Film mag. Und am unwahrscheinlichsten ist es, dass so viele Leute ihn mögen, dass du noch einen weiteren Film drehen darfst. Deswegen stehst du immer kurz davor alles hinzuschmeißen und aufzugeben. Mein Rat wäre daher nur: Mach einfach weiter und mach dir keine Sorgen. Es wird schon klappen am Ende.

Kommen wir noch zum Setting deines Films: Wie schwierig war es, die richtige Location für den Dreh zu finden?

Das war gleichzeitig sehr schwierig und sehr leicht. Sehr schwierig, weil wir bis nach Neuseeland gefahren sind, um ihn zu finden, da wir im Sommer 2020 in den USA nicht drehen konnten. Da der Film aber im Sommer spielen sollte, hätte das bedeutet, ein ganzes Jahr warten zu müssen, um doch noch anfangen zu können. Deswegen kamen wir auf die Idee, auf die südliche Hemisphäre auszuweichen, wo es nur einige Monate Wartezeit waren. Neuseeland war damals ein sehr sicherer Ort ohne große Corona-Zahlen. Außerdem gibt es dort die notwendigen Film-Ressourcen, seitdem Peter Jackson dort gedreht hat. Die Crew von Avatar 2 musste eine Pause einlegen und suchte nach Arbeit. Gleichzeitig war aber auch klar: Neuseeland ist nicht Süd-Texas und sieht ganz anders aus. Du hast aber einen kleinen Teil auf der Nordinsel, der ein wenig wie Süd-Texas aussieht. Und wir mussten natürlich einiges ändern, von der Fassade des Hauses bis zu den Straßenschildern, die ausgetauscht werden mussten. Aber es hat geklappt.

Letzte Frage: Wann können wir mit dem Prequel Pearl rechnen? Ich habe gehört, dass du den Film gleich mit gedreht hast.

Das stimmt. Ein genaues Datum kann ich noch nicht sagen, weil wir gerade noch mit X beschäftigt sind. Aber der Film ist fertig, weshalb es nicht mehr zu lange dauern sollte.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Ti West wurde am 5. Oktober 1980 in Wilmington, Delaware, USA geboren. Er besuchte die School of Visual Arts in New York City. Nach einigen Kurzfilmen gab er 2005 mit dem Horrorfilm The Rooster sein Langfilmdebüt. Auch im Anschluss blieb er einige Jahre diesem Genre treu. 2016 erschien sein Western In A Valley of Violence, bevor er viele Jahre ausschließlich Episoden von Serien drehte, darunter Chambers (2019) und Them (2021).



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