Das starke Geschlecht
© Szenenbild aus "Das starke geschlecht"

Jonas Rothlaender [Interview]

Jonas Rothlaender (Fado) konfrontiert in seiner Filmdokumentation Das starke Geschlecht acht Männer mit Geschlechtsidentitäten und dem generellen Männerbild in der heutigen Zeit. So dringen Themen wie Gewalt und Dominanz, aber auch Verletzlichkeit an die Oberfläche, womit die Männer tagein, tagaus zu kämpfen haben. Passend zum Kinostart am 26. Mai 2022, sowie seiner Kinotour bis in den Juli, hatten wir die Gelegenheit eines Interviews, um einmal Fragen zur Entstehungsgeschichte, Produktion und seiner persönlichen Intention zu stellen.

Wie bist du auf die Idee deiner Dokumentation gekommen?

Dieser Film ist eine sehr lange Reise gewesen. Nach meinem ersten Spielfilm, dem 2016 erschienen Fado, gab es bereits die Grundfrage in meinem Kopf: Wie gehen Menschen bzw. speziell wir Männer mit Gefühlen um, die wir nicht haben wollen? Davon ausgehend habe ich mich näher mit männlicher Identität befasst und habe mit meiner Filmproduktion dann ein Jahr später, also 2017, ein Format über genau dieses Thema überlegt. Das hatte damals aber noch einen ganz anderen Ansatz und war viel breiter gefächert, mit vielen unterschiedlichen kulturellen Aspekten und Männerbilder. Ich habe dann aber gemerkt, dass sich dies nicht so einfach realisieren lässt und so wurde das Konzept immer kleiner aber auch spezifischer, denn bei diesem Konzept gab es auch immer das große Thema der männlichen Sexualität. Das war alles noch vor metoo und damals habe ich mich gefragt, ob das wichtig ist, dass wir uns als Männer dazu äußern. Ich finde es aber schon sehr wichtig und relevant, Teil dieses Diskurses zu werden, weil wir daran zusammen arbeiten müssen, sowohl die Frauen als auch die Männer, um dieses Problem anzugehen. Als sich das dann nach und nach herausgestellt hat, dass ich dieses Thema unbedingt in einem Film verarbeiten will, entstand so Das starke Geschlecht. Zu Beginn gab es aber natürlich die große Frage: Wie findet man Männer, die bereit sind offen über Themen wie Dominanz, Gewalt und Sexualität zu sprechen?

Im Film kommen acht Männer vor. Weshalb gerade die? Und würdest du sagen, dass sie alle eine Gemeinsamkeit teilen?

Eine gute Frage bezüglich der Gemeinsamkeit. Zu der Frage bezüglich der Auswahl: Wir hatten 40 Männer eingeladen, die dann ins Studio kamen und mit uns die Interviews durchgegangen sind. Es gab daher ein ganz typisches Auswahlverfahren, wobei aber auch die Frage mit reingezählt hat, wie sehr sich diese Menschen öffnen können. Ich möchte hierbei aber ganz deutlich betonen – dieser Film ist nicht repräsentativ, noch nicht einmal in puncto männliche Sexualität. Als kleinsten gemeinsamen Nenner würde ich aber ein gewisses Überraschungspotenzial nennen. Wenn man bei dem ein oder anderen Mann erst denkt „Das ist ja ein totaler Macho!“, dann aber merkt, dass sich da doch noch ein Entwicklungsprozess, eine persönliche Veränderung und eine gewisse charakterliche Tiefe verbirgt, dann ist mein Plan aufgegangen.

Welche Menschen möchtest du mit deinem Film am ehesten ansprechen?

Eher die jüngere Menschen, unter 50, unter 40. Ich war von manchen Vorstellungen vor Ort aber teilweise schon überrascht, als ältere Generationen auf mich zukamen und gesagt haben: „Ich wünschte, ich hätte diesen Film schon viel früher gesehen – das hätte mir viel Leid im meinem Leben erspart!“. Das hat mich wirklich positiv überrascht. Für unsere Generation halte ich den Film aber am ehesten geeignet, sowohl für Mann als auch für Frau. Letztendlich geht es mir nämlich um das Anregen eines Dialogs und der gilt eben für beide Geschlechter. Antworten wird man dagegen nicht finden, dafür ist das Thema viel zu komplex.

Deine Produktion heißt Das starke Geschlecht. Beim Schauen stellt man aber fest, dass auch die Männer ganz schön zu kämpfen haben. Fehlt da nicht ein Fragezeichen im Filmtitel?

Für mich war der Film an sich immer das Fragezeichen. Der Film ist ja auch nicht so konzipiert, dass er Antworten liefert, sondern mehr zu einer Diskussion anregt. Aber das mit dem Fragezeichen stimmt schon zum Teil, schon alleine wegen der Zerbrechlichkeit mancher Männer. Der Film zeigt also genau das Gegenteil, wenn man so will – er durchbricht dieses Bild von Stärke. Dadurch kann man nicht wirklich von einem starken Geschlecht sprechen. Ich würde eher sagen – es handelt sich vielmehr um ein verunsichertes Geschlecht.

Gab es bei den anonymen Berichten auch Geschichte, die du als zu „krass“ empfandest? Und wie lief da der Auswahlprozess ab?

Zu krass war da gar nichts. Es war eher bei dem Protagonisten der Fall, dass wir da ein paar als zu krass empfanden, die wir dann nicht in den Film aufgenommen haben – zu ihrem eigenen Schutz. Worüber wir bei den Berichten aber lange überlegt haben – es gibt ja den Beitrag, der ganz am Anfang in den Film sozusagen hineinführt. Das ist ein Beitrag eines verurteilten Sexualstraftäters. Hierbei gab es lange die Überlegung und Besprechung, ob und in welchem Ausmaß dieser Text in den Film gehört. Das Team, das heißt Carlotta Kittel, Kai Eiermann und ich, hat da lange überlegt, da ich auch gar nicht sagen konnte, warum mir das so wichtig ist, diesen Text im Film zu haben. Das Ausschlaggebende war hierbei, dass dieser anonyme Textbeitrag ein gewisses Ausrufezeichen am Anfang des Films setzt. Es soll zum Teil abschrecken und das hat auch die ein oder andere Premiere gezeigt, da manche Frauen den Saal schon an der Stelle verlassen haben. Ein Mann erwähnte im Rahmen der Interviews aber auch Alice Schwarzer, die einmal gesagt hat: „Männliche Sexualität ist immer aggressiv!“. Vor dem Hintergrund hatte ich auch schon die Erfahrung gemacht: Wenn ich im Dunkeln hinter einer Frau gehe und diese empfindet mich womöglich sogar als Bedrohung, dann wechsle ich besser die Seite, nur um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Da ich mit diesem negativen Männerbild auch aufgewachsen bin, war es mir wichtig, so ein Bild von Gefahr an den Anfang zu packen, um selbst da schon dieses eingefahrene Image in der Gesellschaft zur hinterfragen.

Dein Film zeigt auch ein stückweit, dass die Sorgen als auch die Probleme, die Männer verursachen, aufgrund des Systems und der Erziehung entstehen. Was müsste sich ändern, dass sich die Welt zu einem besseren Ort entwickelt?

Eine schwere Frage. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir diese eingefrorenen Strukturen durchbrechen müssen. Ich bin ja selber mit diesem Bild oder diesem Schema aufgewachsen, dass ein Mann bestimmte Kriterien erfüllen muss, anderweitig ist er kein Mann. Dieses schablonenhafte Denken, auch in puncto Ansprüche an einen Mann, ist also echt ein großes Problem, das auch ich persönlich zur Genüge erlebt habe. Die feministische Bewegung sehe ich deswegen auch für uns Männer als eine sehr große Chance an. Gleiche Frauenrechte heißt im Umkehrschluss nämlich auch gleiche Männerrechte, beispielsweise in puncto gleichberechtigte Elternzeit für beide Elternteile.

Da das alles sicherlich noch lange dauern wird, bis sich da mal etwas ändert, müssen wir daher umso härter kämpfen und genau deswegen wollte ich eine solche Produktion machen. Dieses Thema ist viel zu groß, dass das ein Geschlecht schultern kann – da müssen wirklich alle mit anpacken, das Elternhaus, die Schule als auch das Kino.

Wie sieht deine Meinung zum Geschlechterkino generell aus? Zuletzt gab es ja beispielsweise Promising Young Woman, der die Geschlechterdebatte ordentlich angefeuert hat.

Promising Young Woman habe ich leider noch nicht gesehen. Für mich sind aber jegliche Filme, die in der Hinsicht einen Beitrag leisten, empfehlenswert, da diese ja genauso den Dialog anstreben.

Im Rahmen der ersten Vorführungen habe ich aber auch schon häufiger die Frage bekommen, warum in meinem Film keine Frauen vorkommen. Es ging mir mehr darum, mit meinem Beitrag ein spezifisches Puzzleteil unter die Lupe zu nehmen. Idealerweise kommt jetzt irgendwann noch ein anderer Film von einem Regisseur oder einer Regisseurin heraus, in dem wir die andere Perspektive aufgezeigt bekommen. Männer, die über andere Männer Stellung beziehen – das war mein Ziel und ich hoffe, dass ich im Geschlechterkino dadurch einen guten Beitrag geleistet habe, der viele Menschen zum Nachdenken anregt.

Vermisst du Filme, die gesellschaftlich viel zu sagen haben? Wenn ja, was müsste sich in der Hinsicht ändern und falls nein, welche Produktionen kannst du in der Hinsicht empfehlen?

Zuletzt gab es schon einige Filme, die mich zum Nachdenken angeregt haben. The case you war zum Beispiel einer, der mir direkt einfällt, in dem ein gewaltsamer Übergriff nach einem Casting thematisiert wird. Oder Väter unser, der Vaterbilder in den Fokus rückt. Die Frage, die ich mir gerade stelle: Liegt es mehr in der Produktion oder doch mehr am Kino selbst, dass es solche Filme immer seltener gibt? Ich empfinde diese zwei Beispiele aber schon als relevante Filme – nur leider bekommen die zu wenig mediale Aufmerksamkeit. Ich habe das mit meiner Produktion aber auch zu Spüren bekommen, da wir da lange suchen mussten, bis wir einen Verleih gefunden hatten, der den Film in die Kinos bringt.

Da es wahrscheinlich genug Filmmaterial und individuelle Erfahrungsberichte für weitere Produktionen gibt, was sind deine Pläne für die Zukunft?

Ich habe mich tatsächlich schon mit vielen Ideen herumgeschlagen. Ich hatte zum Beispiel die Idee aus dem Film noch ein Theaterstück zu machen, das wird aber wahrscheinlich eher nichts werden. Es gäbe bei dem Thema Geschlechter in der heutigen Zeit aber schon noch viele Möglichkeiten, die bisher aber alle auf der Strecke geblieben sind. Die Umsetzung als auch die finanzielle Seite sind dabei immer zwei Faktoren, die solchen Projekten schnell zum Verhängnis werden können.

Wie sieht das bei der weiblichen Seite aus, schreit es jetzt nicht förmlich noch nach einem Film mit acht Frauen?

Gute Frage! Ehrlich gesagt habe ich da gar nicht dran gedacht, dass ich mit der Frage so oft konfrontiert werde, schon vor einem Jahr auf dem Filmfest München. Es gab da sogar schon einige Anfänge, da ich schon einige anonyme Interviews mit Frauen geführt habe. Vielleicht ist es aber auch nur eine Frage der Zeit, bis sich eine Regisseurin diesem Themas annimmt. Von daher brauche ich mich vielleicht gar nicht mehr mit diesem Thema auseinanderzusetzen, wenn mein Film hoffentlich andere Leute motiviert, weitere Beiträge zu leisten.

Vielen Dank für das tolle Gespräch!

Zur Person
Jonas Rothlaender wurde 1982 in Lübeck geboren. Von 2007 bis 2015 studierte er Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Sein Spielfilmdebüt Fado (2016) wurde bei seiner Weltpremiere auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet. .



(Anzeige)