Westwall Jannik Schümann Interview
Jannik Schümann in der Thrillerserie "Westwall" (© ZDF/Paweł Labe)

Jannik Schümann [Interview]

in der Thrillerserie Westwall nach dem gleichnamigen Roman spielt Jannik Schümann den ehemaligen Neonazi Nick Limbach, der gemeinsam mit der Polizeischülerin Julia Gerloff (Emma Bading) eine rechtsradikale Kommune in den Ruinen des Westwalls in den Wäldern der Eifel bekämpft, zu der er selbst einmal gehörte. Wir haben uns zum TV-Start am 7. Dezember 2021 auf ZDFneo mit dem Schauspieler über seine Rolle, die Verführung rechter Kreise und ambivalente Menschen unterhalten.

 

Was hat dich an der Serie Westwall gereizt, dass du in dieser mitspielen wolltest?

Als ich die Anfrage bekommen habe, habe ich mir sofort den Roman gekauft und gelesen. Und ich fand den Roman so unfassbar spannend, das war für mich ein absoluter Pageturner gewesen. Da gab es gefühlt in jedem Kapitel einen riesigen Plottwist. Mit so etwas kriegt man mich sofort. Mir war sofort klar: Ich will das als Zuschauer sehen. Für mich ist das auch immer die entscheidende Frage: Hätte ich Lust, mir das selbst anzuschauen? Wenn ich keine Lust habe, das selbst zu sehen, dann brauch ich das auch nicht zu spielen. Ich fand vor allem auch Nick, den Typen, den ich spiele, sehr spannend, weil der einfach so eine krasse Vergangenheit hat und sich selbst daraus geboxt hat. Man weiß bei dem am Anfang auch gar nicht, ob er jetzt ein Guter oder ein Böser ist.

Wie würdest du ihn denn insgesamt beurteilen? Ist er ein Guter?

Ja, total. Nick ist jemand, der einfach wahnsinnig viel Scheiße in seinem Leben erlebt hat. Aber in seinem Herzen ist er ein Guter, ansonsten hätte er den Absprung auch nicht geschafft.

Und wie war das für dich, ihn zu spielen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass er eine so düstere Vergangenheit hat?

Es war auf jeden Fall sehr spannend, diese Figur zu erarbeiten. Gerade weil er so viel erlebt hat, von der alkoholsüchtigen Mama über die rechtsradikalen Kids bis zu Ira, die ihn manipuliert hat, hat er sich angewöhnt, niemandem mehr zu vertrauen. Er hat da diese Mauer aufgebaut, durch die er niemanden hindurchlässt. Meine Aufgabe als Schauspieler war es nun, diese Mauer zu zeigen, gleichzeitig aber immer wieder doch einen Einblick zu geben, was hinter dieser Mauer ist. Und das fand ich aufregend.

Warum denkst du, dass überhaupt noch so viele junge Menschen heute in diesen rechten Kreisen landen? Früher dachte man, dass die Gesellschaft immer progressiver wird und dass die alten Nazis einfach irgendwann weg sind. Das scheint aber nicht so wirklich der Fall zu sein.

Nein, absolut nicht. Diese Frage habe ich mir natürlich auch während der Vorbereitung gestellt: Was bringt jemanden dazu, so einer Gruppe beizutreten? Da kann es viele Gründe geben. Wir zeigen bei uns Leute, die gar nicht unbedingt wirklich so ein rechtes Gedankengut im Kopf haben. Das sind Kinder, die kein Zuhause haben oder zumindest kein richtiges Zuhause und die sich verloren fühlen. Die treffen auf eine Person, die sich um sie kümmert, die ihnen Aufmerksamkeit gibt, die sie wertschätzt und ein neues Zuhause ermöglicht, das sich auch wirklich wie ein Zuhause anfühlt. Und wenn du erst einmal an diesem Punkt bist, fängst du an, das Gedankengut von deiner neuen Mama oder deinem neuen Papa anzunehmen. Und bei uns in Westwall ist diese neue Mama eine sehr radikale Frau, die diese Verlorenheit skrupellos ausnutzt. Deswegen tue ich mir auch schwer damit, den Kids einen Vorwurf zu machen. Sie sind einfach an die falsche Person geraten. Deswegen wird es auch in Zukunft solche rechten Gruppen mit jungen Leuten geben, weil du immer Leute hast, die verloren sind und einsam sind und in dieser Gruppe eine Heimat finden.

Wenn man so lange manipuliert worden ist, ist es dann überhaupt noch möglich, das wirklich hinter sich zu lassen?

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es möglich ist, und will auch weiter daran glauben. Klar, Nick ist ein fiktiver Charakter. Aber er hat es geschafft, weil er gemerkt hat, dass das alles wirklich falsch ist. Das zeigt dann auch seinen inneren guten Kern, von dem ich vorhin gesprochen habe. Er verachtet Ira auch so sehr, dass er die Gedanken hinter sich gelassen hat.

Hattest du denn selbst bislang irgendwelche Berührungspunkte mit solchen Gruppen, dass du irgendwie Kontakt mal zu jemandem daraus hattest?

Nein, bislang noch nicht. Und dafür bin ich wirklich dankbar. Man sollte zwar meinen, dass so etwas im dörflichen Umfeld vorkommt und ich komme ja selbst aus einem Dorf. Aber das habe ich bei uns wirklich nie erlebt.

In meinem Umfeld habe ich auch nie etwas in der Richtung erlebt, obwohl es diese Leute ja geben muss. Bleiben die dann alle unter sich? Oder sieht man es ihnen einfach nur nicht an? Bei deiner Figur käme man ja auch auf den ersten Blick nicht auf die Idee, dass sie zu einer rechten Gruppe gehört hat.

Überhaupt nicht, das stimmt. Wahrscheinlich merkst du es Leuten wirklich oft nicht an. Du selbst lebst ja auch in deiner Blase, in der du davon ausgehst, dass alle weltoffen sind und alles akzeptieren. Da würde ich oft nicht einmal auf die Idee kommen, dass mein Gegenüber anders tickt. Wahrscheinlich würde ich das nicht sehen, weil ich es auch nicht sehen will. Da kommen wir dann zu dem Thema Wegkucken. Es kann schon sein, dass es da viele in meinem Dorf gibt, die gerne Braun wählen, wo man das dann vielleicht gar nicht wissen will.

Westwall ZDFneo
Szenenbild aus „Westwall“: Nick Limbach (Jannik Schümann) und Julia Gerloff (Emma Bading) zwischen neuen Gefühlen und alten Gefahren von rechts (© ZDF/Krzysztof Wiktor/Serviceplan)

Bei Westwall ist es so, dass Julia von dem rechtsradikalen Hintergrund von Nick erfährt und sich damit auseinandersetzen muss. Klar, irgendwelche grölenden Nazis auf der Straße kannst du ignorieren und einfach weggehen. Aber wie geht man damit um, wenn einer im direkten Umfeld sich als Rechter herausstellt?

Das ist eine wirklich schwierige Frage, die ich mir natürlich selbst gestellt habe: Wie würde ich damit umgehen? Ich hoffe, dass ich in einer solchen Situation offen genug wäre, mir diese Vergangenheit erst einmal anzuhören und herauszufinden, ob diese Person dazu fähig ist, eine offene Kommunikation zu dem Thema zu führen. Und im besten Fall klärt sich das dann alles. Ich weiß nicht, ob du Über Menschen kennst, den neuen Roman von Juli Zeh. Darin erzählt sie von einer Berlinerin, die sich in Folge der Corona-Pandemie ein Haus in Brandenburg kauft und raus zieht. Die Nachbarschaft dort stellt sich als stark rechts heraus, vor allem ihr direkter Nachbar. Das ist so etwas wie der Dorfnazi. Das Spannende ist, dass sie ihn aber als Menschen wirklich zu schätzen lernt und Gefühle für ihn entwickelt, weil er einfach ein so guter Mann ist. Aber eben ein Mann, der stark rechts geprägt ist. Deswegen hat mich der Roman auch so beschäftigt, weil du auch als Leser anfängst, mit ihm zu sympathisieren, obwohl du seine Ansichten ablehnst.

Lässt sich das dann überhaupt voneinander trennen? Wir würden uns ja wünschen, dass alle Nazis personifizierte Monster sind.

Genau, das würde es viel leichter machen. Aber eben das ist nicht der Fall. Der Mann ist das Gegenteil von einem Monster. Deswegen ist das ganz schwierig, wie du mit ihm umgehen sollst. Es ist dann eben doch nicht immer alles schwarz und weiß. Um wieder auf Nick zurückzukommen: Wie willst du einem 16-jährigen Jungen übelnehmen, dass er sich nach Geborgenheit sehnt, die er zu Hause bei der alkoholsüchtigen Mama nicht bekommen hat? Und diese Geborgenheit findet er eben nur bei Ira.

Daran schließt sich aber doch die Frage an: Wie lässt sich das verhindern, dass solche vernachlässigten Leute ausgerechnet dort eine neue Heimat finden?

Das ist schwierig. Deswegen versucht in Westwall auch der Verfassungsschutz, da irgendwie einzuschreiten und solche Kreise aufzulösen. Aber das ist eben ein Einzelfall und funktioniert allenfalls bei solchen größeren Geschichten. Wenn das im Kleinen geschieht, kriegst du davon ja nichts mit. Du kannst nicht bei allen daheim vorbeigehen und schauen, was da passiert. Insofern gibt es da vermutlich keine wirkliche Lösung, um solche Situationen grundsätzlich verhindern zu können.

Wenn du im Nachhinein auf Westwall zurückblickst, was waren für dich die größten Herausforderungen?

Da ist zum einen die schauspielerische Herausforderung: Ich stelle an mich selbst den Anspruch, eine Figur zu erschaffen, die ich möglichst so noch nicht gespielt habe. Deswegen habe ich in Nick nach etwas gesucht, das ihn abhebt von anderen Rollen. Dann war da die eher technische Herausforderung, unter Corona-Bedingungen zu drehen. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass wir überhaupt drehen durften. Aber es war schon echt anstrengend. Mein Beruf lebt eigentlich von dem Austausch mit anderen Menschen, denen du am Set begegnest und die für eine Zeit lang so etwas wie eine Familie werden. Und das ist schwierig, wenn du die ganze Zeit eine Maske tragen musst und anderen nicht näherkommen darfst. Da geht schon viel verloren. Eine dritte Herausforderung war, dass ich meinen Motorradführerschein machen durfte, weil eben Nick die ganze Zeit Motorrad fährt und ich der Figur so näherkommen wollte.

Und wie war das für dich mit dem Motorrad? Fährst du auch weiterhin?

Am Anfang dachte ich, dass ich viel zu viel Respekt davor haben würde. Als ich in meiner ersten Stunde auf die Autobahn gefahren bin, habe ich mir auch fast in die Hose gepisst, weil das so schnell ist auf dem Motorrad. Leider habe ich irgendwann aber den Spaß daran entdeckt und verstehe jetzt, warum Leute Motorrad fahren – was meine Mutter nicht so cool findet. Gefahren bin ich seither privat nicht mehr, weil ich auch ein halbes Jahr weg war wegen Dreharbeiten. Aber ich hätte schon Lust, mir nächsten Sommer ein Motorrad auszuleihen und eine kleine Tour zu machen.

Und abgesehen von dieser Tour, was sind deine Pläne? Was drehst du oder hast du gedreht?

Ich habe Sisi gedreht, wo ich Franz Joseph I. spiele. Die läuft Ende des Jahres auf RTL. Darauf freue ich mich sehr, weil die Serie sehr schön geworden ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Jannik Schümann wurde am 22. Juli 1992 in Hamburg geboren. Als Kind entwickelte er eine große Leidenschaft fürs Tanzen und wurde dabei eines Tages von einer Agentin entdeckt, die ihn zum Schauspielunterricht überredete. 2003 folgte eine erste Fernsehrolle in einer Folge der ZDF-Serie Die Rettungsflieger. Auch im Anschluss war er in zahlreichen TV-Produktionen zu sehen. Sein Kinodebüt gab er 2012 in dem Drama Barbara. Weitere Kinofilme waren Die Mitte der Welt (2016) und Dem Horizont so nah (2019).



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