Der Liebhaber L'amant
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Der Liebhaber

Inhalt / Kritik

Der Liebhaber L'amant
„Der Liebhaber“ // Deutschland-Start: 26. März 1992 (Kino) // 3. Dezember 2021 (DVD/Blu-ray)

In Französisch-Indochina lebt eine fünfzehnjährige Französin (Jane March) zusammen mit ihrer Mutter und ihren zwei Brüdern in einer kleinen, ländlichen Gemeinde. Nach dem Tod des Vaters hat die Not die Familie eingeholt, was durch die Spiel- und Opiumsucht des älteren Bruders noch verschlimmert wird. Nach dem Ende der Schulferien ist es deswegen für die junge Frau fast schon eine Erholung von zu Hause, zurück nach Saigon ins Mädcheninternat zu gehen. Auf der Fähre über den Mekong trifft sie auf einen vermögenden Chinesen (Tony Leung Ka-fai), der ihr anbietet, sie mit seinem Wagen bis nach Saigon zu fahren, was die junge Französin nach kurzem Überlegen annimmt. Die Unterhaltung während der Fahrt ist eher angespannt, ist der Umgang mit einem Asiaten einer Europäerin doch nicht gestattet. Doch beide können ihre Anziehung zueinander nicht verbergen. Bevor es zu mehr als Händchenhalten kommt, kommen sie in Saigon an, wo beide einander nicht vergessen können, sodass sie sich schon wenige Tage später wiedersehen und in einem Zimmer in der Stadt ihre leidenschaftliche Affäre beginnen, die schon bald für sie beide mehr wird als nur eine rein körperliche Bindung.

Ein Abschied auf Raten

Als der französische Filmemacher Jean-Jacques Annaud zum ersten Mal Marguerite Duras autobiografisch geprägten Roman Der Liebhaber gelesen hatte, war er begeistert von der Geschichte und den Figuren, hatte aber Vorbehalte, in Vietnam, dem Schauplatz des Romans, zu filmen. Auch wenn die logistischen und hygienischen Herausforderungen nach wie vor die Produktion beeinflussten, beschloss man schließlich doch, in Saigon zu drehen, alleine schon, weil die Stadt, ihre Architektur und ihre Straßen, noch jene Atmosphäre ausströmten, von dem Duras in ihrem Roman erzählt. Mit Der Liebhaber entstand dabei ein Film, dessen Label „Skandalfilm“ oftmals verdeckt, inwiefern er sich mit der Kolonialvergangenheit Vietnams und dem verschwindenden Glanz des alten Europas befasst.

Von dem Vietnam, welches Annauds Film zeigt, ist, wie das Booklet zum kürzlich von Capelight erschienen Mediabook berichtet, so gut wie nichts mehr übrig. Heute erinnern nur noch wenige Details an jenes Saigon der 1920er Jahre, was bereits zur Zeit der Dreharbeiten zu Der Liebhaber im Verschwinden begriffen war. Diese Vergangenheit, geprägt von der Geschichte des Landes, den Traditionen wie auch dem Kolonialismus, ist wie ein Schleier in jeder Einstellung, gleich einem unsichtbaren Gewicht, welches die beiden Hauptfiguren mit sich herumtragen. Robert Fraisses Bilder sind nicht nur ästhetisch auf hohen Niveau, sondern betonen jenen Abschied auf Raten, an dessen Ende der Abschied des Ostens vom Westens steht, hinein in eine ungewisse Zukunft, die mit der Einsicht beginnt, eine Annäherung zwar versucht, eine Verbindung jedoch nie erreicht zu haben.

Das Gebiet zwischen uns

Darstellerisch überzeugen die damals gerade 18 Jahre alte Jane March und vor allem der bereits damals schon in seiner Heimat sehr bekannte Tony Leung Ka-fai als zwei Figuren, die frei sein wollen, aber sich weder von ihrer Geschichte noch der Tradition freisprechen können. Die Fedora auf dem Kopf der jungen Französin ist wie der elegante Anzug des Chinesen ein Statement zu einer Verbindung, zur Unabhängigkeit wie auch zu europäischen Werten. Ihre Verbindung hat daher immer etwas Tragisches, der Sex etwas Trauriges an sich, was durch den Schnitt noch hervorgehoben wird, der durch die fragmentarische Darstellung der Körper zum einen die Leidenschaft, aber auch jene Verzweiflung auszudrücken scheint, die sich in diesen Begegnungen widerspiegeln, die immer nur auf Zeit sind.

Ohne dessen provokante Note zu haben, ist Annauds Film wohler eher mit den Werken eines Nagisa Oshima zu vergleichen, insbesondere dem ebenfalls als „Skandalfilm“ gebrandmarkten Im Reich der Sinne. Beide begreifen den Körper als Spiegel einer historisch-gesellschaftlichen Entwicklung, was ein teils problematisches Licht auf die Gegenwart wirft, welche den Geist dieser Vergangenheit mitnichten abgeschüttelt hat, sondern nach wie vor in sich trägt wie eine Krankheit.

Credits

OT: „L’Amant“
Land: Frankreich, UK, Vietnam
Jahr: 1992
Regie: Jean-Jacques Annaud
Drehbuch: Jean-Jacques Annaud, Gérard Bach
Vorlage: Marguerite Duras
Musik: Gabriel Yared
Kamera: Robert Fraisse
Darsteller: Jane March, Tony Leung Ka-fai, Frédérique Meininger, Arnaud Giovanetti, Melvil Poupaud, Lisa Faulkner, Xiem Mang

Bilder

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„Der Liebhaber“ ist ein ästhetisch ansprechendes, vielschichtiges Drama über das Scheitern der Liebe. Jean-Jacques Annaud betont in seiner Verfilmung von Marguerite Duras‘ Meisterwerk den Abschied von einer Epoche und die ungewisse Zukunft zweier Menschen, die sinnbildlich für ihre beiden Kulturen und Traditionen stehen, die für sie beide wie Fesseln sind.
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