Ghost Tropic

Ghost Tropic

Inhalt / Kritik

Ghost Tropic
„Ghost Tropic“ // Deutschland-Start: 16. November 2021 (MUBI)

Nach einem letzten Beisammensein mit ihren Kollegen auf der Arbeit macht sich die 58-jährige Khadija (Saadia Bantaïeb) auf den Weg nach Hause in die Etagenwohnung ihrer Familie im Brüsseler Viertel Molenbeek. Noch mit den Gedanken an den langen Tag schläft sie in der U-Bahn ein, verpasst dadurch ihre Station und wacht erst an der Endstation, etwas außerhalb Brüssels wieder auf. Da ihre Familie sie nicht abholen kann, versucht sie sich auf eigene Faust einen Weg nach Hause zu bahnen, doch da die meisten Läden schon geschlossen haben und kaum noch öffentliche Verkehrsmittel unterwegs sind, ist dies gar nicht so einfach. Auf ihrem Weg wird Khadija immer wieder aufgehalten oder muss gar Umwege auf sich nehmen, beispielsweise als sie einen Obdachlosen sieht, der dringend Hilfe braucht oder wenig später in einer Tankstelle bei einem Tee sich versucht, etwas aufzuwärmen und dabei sich mit der Kassiererin (Maaike Neuville) anfreundet, die ihr anbietet, sie ein Stück mit ihrem Auto mitzunehmen.

Doch es sind auch andere Wege, auf denen Khadija wandelt, und die sie an ihre Vergangenheit denken lassen, beispielsweise an ihre alte Stelle als Putzhilfe in einem gut situierten Haushalt. Auch eine Begegnung mit ihrer Tochter bliebt nicht aus, die sie durch Zufall dabei sieht, wie sie mit ihren Freunden um die Häuser zieht.

Zwischen den Türen

Im Filmgeschäft ist es meistens so, dass ein Projekt auf das nächste folgt und dazwischen oftmals Monate, wenn nicht sogar Jahre liegen, in denen geplant wird, das Drehbuch geschrieben wird und sich um die Finanzierung gekümmert wird, doch eine solche Abfolge hatte der belgische Regisseur Bas Devos nicht, wie er in Interviews zu seinem Film Ghost Tropic verrät. Noch während er auf der Berlinale 2018 seinen Film Hellhole zeigte, liefen die Planungen für sein nächstes Projekt bereits auf Hochtouren, sodass er in der Pause zwischen zwei Festivals Ghost Tropic filmen konnte. Die Hektik hinter den Kulissen sieht man dem stillen Drama nicht unbedingt an, geht es doch bei der Geschichte einer Frau, die durch das nächtliche Brüssel nach Hause geht, über den urbanen Raum als Ort der Erinnerung und ein Nachdenken darüber, wie sehr das eigene Leben mit denen der anderen verknüpft ist.

In mehr als nur einer Hinsicht wirkt Ghost Tropic wie ein Episodenfilm, der durch die von Saadia Bantaïeb gespielte Khadija zusammengehalten wird. Die Begegnungen mit dem Nachtwächter oder wenig später dem Obdachlosen wirken wie Zufallstreffen, sind doch im Kontext der Gesamthandlung Teile eines Komplexes innerhalb des Raumes Stadt, wie dieser sich verändert und wie dieser für Menschen zu einer Heimat wird. So changiert die Perspektive des Filmes immer wieder zwischen Fremdheit und Nähe, sind viele der Orte, die Khadija erkundet ihr neu oder wurden ihr gar fremd, wie beispielsweise ihr ehemaliger Arbeitsplatz, von dem sie gar von einem übereifrigen Nachbarn vertrieben wird. Abseits des Trubels und der Hektik der Großstadt offenbaren sich eine Vielzahl von Geschichten, einige tragisch, andere humorvoll und andere sehr nachdenklich, welche eine andere Sicht auf diese Heimat vieler Menschen erlauben.

Stätten der Erinnerung

Eingerahmt wird der Film von der Sicht auf das Wohnzimmer in der Wohnung von Khadijas Familie und einem Voice-Over, welches von der „feinen Schicht“ der Erinnerung spricht, die sich über die Gegenstände dieses Raumes gelegt hat. Das Licht, welches von hell nach dunkel wechselt, verändert den Raum, macht ihn für das Auge ebenso fremd wie die Stadt, welche Khadija wenig später unfreiwillig erforschen wird. Die gesammelten Erinnerungen, die eigenen wie auch die der anderen Menschen, sind ewig präsent in diesen Raum sowie den Straßen und Gebäuden, und werden auch Opfer von Veränderung, wenn beispielsweise davon die Rede ist, wie ein Haus einer „subtropischen Wasserlandschaft“ weichen muss. Die Geister der Erinnerung sind an jeder Straßenecke, aber genauso der Dschungel der Veränderung, welchen Bas Devos und Sounddesigner Boris Debackere mit einer ebenso feinen Schicht tropischer Geräusche, vom fernen Geschrei von Vögel oder dem Gebrüll von Affen, unterstreichen.

Nicht viel ist in Ghost Tropic ausbuchstabiert und vieles liegt in den Bildern versteckt, die Devos und Kameramann Grimm Vandekerckhove geschaffen haben, doch interessant und stellenweise faszinierend ist dieser Gang durch die Stadt in jedem Fall, was nicht zuletzt auch an der schauspielerischen Leistung Saadia Bantaïebs liegt.

Credits

OT: „Ghost Tropic“
Land: Belgien, Niederlande
Jahr: 2019
Regie: Bas Devos
Drehbuch: Bas Devos
Musik: Brecht Ameel
Kamera: Grimm Vandekerckhove
Besetzung: Saadia Bantaïeb, Laurent Kumba, Stefan Gota, Nora Dari, Maaike Neuville, Ghasem Mousavi, Cédric Luvuezo

Trailer

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"Ghost Tropic" ist ein ruhiges Drama über Erinnerung und die Stadt als Lebensraum. Bas Devos ist ein subtiler, faszinierender Film gelungen, der die Stadt mit einer Mischung aus Nähe und Distanz betrachtet, als Ort der Veränderung und des Erinnerns.
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