Doch das Böse gibt es nicht Sheytan vojud nadarad
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Doch das Böse gibt es nicht

Inhalt / Kritik

Doch das Boese gibt es nicht
„Doch das Böse gibt es nicht“ // Deutschland-Start: 19. August 2021 (Kino) // 3. Dezember 2021 (DVD)

In der ersten Geschichte des Filmes treffen wir auf Heshmat (Ehsan Mirhosseini), einen Familienvater, der alles für seine Frau und die gemeinsame Tochter tun würde. Der Tag ist sehr hektisch für die kleine Familie, denn nicht nur müssen Vorbereitungen für eine Hochzeit getroffen werden, auf die Heshmat und seine Frau eingeladen wurden, sondern es steht auch ein Besuch bei seiner Mutter an, die schon seit vielen Jahren ihren Haushalt nicht mehr alleine führen kann. Heshmat saugt ihre Wohnung und bereitet ihr etwas zu Essen vor, bevor er und seine Familie in einem Restaurant in der Nähe selbst ihr Abendessen zu sich nehmen. Jedoch gibt es einen Aspekt seines Lebens, den er vor seiner Familie nicht thematisiert, denn seine Arbeit führt in spät in der Nacht zu einem Gefängnis, genauer gesagt in den Todestrakt, wo die Hinrichtungen stattfinden.

In „Sie sagte, ‚Du kannst es‘“ treffen wir auf den jungen Soldaten Pouya (Kaveh Ahangar), der wie viele andere Männer seines Alters den im Iran obligatorischen, zweijährigen Wehrdienst angetreten hat. In dem Gefängnis, wo sie als Wachperson dienen, kommt es, wie eigentlich jeden Abend, zu einer erhitzen Diskussion über die Verpflichtungen eines Soldaten und was passiert, wenn man sich einen Befehl verweigert. Insbesondere die Aussicht, einmal einen Menschen hinrichten zu müssen, macht Pouya Angst, weshalb seine Panik umso mehr wächst, als er tatsächlich für eine solche abkommandiert wird. Am Tag der Hinrichtung fasst der junge Mann dann einen mutigen, aber riskanten Entschluss.

Auch Javad (Mohammad Valizadegan), der Protagonist in der dritten Geschichte, ist Soldat. Für drei Tage wurde ihm Urlaub gewährt, denn er nutzt, um aus Land und zur Familie seiner Freundin Nana (Mahtab Servati), an deren Geburtstag er um ihre Hand anhalten will. Die Stimmung ist jedoch sehr betrübt, denn ein guter Freund der Familie wurde hingerichtet. Da Javad noch nie etwas von dem Mann gehört hat, wird er misstrauisch und vermutet, Nana wäre ihm untreu gewesen. Als er dann aber ein Bild des Toten sieht, wird ihm nicht nur sein Irrtum bewusst, sondern auch, wie sein Leben tragischerweise mit dem Tod des Mannes verknüpft ist.

In der letzten Geschichte mit dem Titel „Küss mich“ erhalten Bahram (Mohammad Seddighimehr) und seine Frau Zaman (Jila Sahi) Besuch von ihrer Nichte Darya (Baran Rasulof), die mit ihren Eltern seit 20 Jahren in Deutschland lebt. Auch wenn der Jugendlichen nicht klar ist, warum ihr Vater auf den Besuch bestanden hat, genießt sie es, einmal im Iran zu sein sowie die Zurückgezogenheit der kleinen Farm, in der Zaman und Bahram leben. Während Darya ihren Aufenthalt als einen Familienbesuch ansieht, hadert Bahram mit sich, ob er seiner Nichte die Wahrheit über die Geschichte ihrer Familie und deren Flucht sagen soll.

Die Wahrheit einer Familie

Schon für seinen Film Lerd (2017) musste der iranische Filmemacher Mohammad Rasulof Konsequenzen in seiner Heimat hinnehmen, die darin mündeten, dass ihm der Pass nach seiner Wiederkehr aus Cannes entzogen wurde und er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, wobei diese jedoch nicht vollstreckt wurde. Trotz dieser Umstände begann Rasulof mit den Dreharbeiten zu den Episoden zu Doch das Böse gibt es nicht, der im Februar 2020 auf der Berlinale uraufgeführt wurde und später mit dem Goldenen Bären geehrt wurde. Der regimekritische Film brachte Rasulof erneut Ärger ein, da er nun seine Haftstrafe antreten sollte, wobei diese nach wie vor aufgrund der Corona-Pandemie in der Schwebe steht.

Dass man sich mit einem Werk wie Doch das Böse gibt es nicht, Ärger einhandelt, mag nicht weiter verwundern, haben die iranischen Behörden doch eine lange Tradition, wenn es um die Verfolgung und Verhaftung Kulturschaffender geht, die das System kritisieren oder die einfach nur das Leben im Iran darstellen. Mittels seiner Figuren und der Familien, die man in den Geschichten antrifft, blickt Rasulof hinter eine Fassade des Schweigens oder Unterdrückens, welches letztlich zum Ausbruch eines Konflikts führt. Schon die erste Geschichte, mit Abstand die beste von den vier, investiert viel Zeit in das Etablieren dieser Fassade der Normalität, bis dann in den letzten Minuten sich nicht mehr nur Risse zeigen, sondern gleich ein Abgrund. Man beginnt sich zu fragen, ob es wirklich eine Form der Ignoranz ist, die das Thematisieren dieser Fassade unmöglich  macht oder ob es gar einfach verschwiegen wird, so wie der Profikiller in einem Gangsterfilm, der seine Familie erzählt, er würde immer wieder auf längere Reisen gehen und Klienten besuchen.

Die Macht des Nein-Sagens

Jeder hat die Macht, zu dieser Lebenslüge Nein zu sagen, wie der Soldat Javad in der dritten Geschichte von der Mutter seine Freundin erfährt. In den vier Beiträgen wird immer wieder der Konflikt einer Figur in den Vordergrund gestellt, einer zwischen Neigung und Pflicht, wobei meist keiner der Optionen einen Weg zum Glück oder zur Zufriedenheit zeigt, ganz im Gegenteil. Vertreten die Kameraden Pouyas in der zweiten Geschichte noch die Legitimation der Systemtreue, welches im Gegenzug für Recht und Ordnung sorgt, erscheint es auf der anderen Seite wie ein Befehl, den es aufzuführen gilt, weil man ansonsten selbst mit Repressalien leben muss. In den Episoden blickt Rasulof deshalb in die Zerrissenheit eines Landes und dessen Einwohner, deren moralische Zwickmühle ihnen keine ruhige Minute lässt und eine tiefe Narbe in ihrer Lebensgeschichte hinterlässt, wie gerade die letzte Geschichte beweist.

Stilistisch folgt Rasulof jener realistischen Tradition wie die das zeitgenössische iranische Kino charakterisiert. Die Landschaft des Irans wie auch die teils karge Sicht auf die Stadt, die in gewisser Weise vergleichbar ist mit dem Grau des Gefängnisses, geben den Hintergrund für die einzelnen Episoden. Wie bei vielen anderen Episodenfilmen steht und fällt der Film mit der Qualität der einzelnen Geschichten, was auch in Doch das Böse gibt es nicht der Fall ist, dessen erste Episode aufgrund ihrer Subtilität eine Wucht erreicht, welche die allzu melodramatischen weiteren nicht mehr erlangen.

Credits

OT: „Sheytan vojud nadarad“
Land: Deutschland, Tschechische Republik, Iran
Jahr: 2020
Regie: Mohammad Rasulof
Drehbuch: Mohammad Rasulof
Musik: Amir Molookpour
Kamera: Ashkan Ashkani
Besetzung: Ehsan Mirhosseini, Shaghayegh Shourian, Kaveh Ahangar, Alireza Zareparast, Salar Khamseh, Kaveh Ebrahim, Pouya Mehri, Darya Moghbeli, Mahtab Servati, Mohammad Valizadegan, Mohammad Seddighimehr, Jila Sahi, Baran Rasulof

Bilder

Trailer

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"Doch das Böse gibt es nicht" ist ein Episodenfilm, der den Umgang mit der Wahrheit und dem Tod im Iran thematisiert. Im Zentrum stehen für Regisseur Mohammad Rasulof immer wieder moralische Dilemmata, die sich, mit einer Ausnahme, bisweilen in melodramatischen Gefilden verlaufen und deshalb von ihrer Wucht einiges einbüßen.
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