Der Masseur Śniegu Już Nigdy Nie Będzie Never Gonna Snow Again
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Der Masseur

Inhalt / Kritik

Der Masseur
„Der Masseur“ // Deutschland-Start: 19. August 2021 (Kino)

Eigentlich weiß keiner so recht, woher Zhenia (Alec Utgoff) kommt. Aus irgendeinem östlichen Land, so heißt es. Aber das ist auch egal. Sehr viel mehr Interesse haben die wohlhabenden Leute der Wohnanlage an der Liege, die er mit sich herumschleppt – und vor allem an seinen Händen. Denn die nutzt der Masseur, um beonders den weiblichen Teil so richtig durchzukneten und dabei auch ihr Innenleben freizulegen. Eine nach der anderen verfällt dem Charme des Fremden, der immer so einladend ist, so freundlich und zuvorkommend, und dabei doch nicht zu durchschauen ist. Ein Mann, der die Geheimnisse kennt und seine eigenen zu verbergen weiß …

Bekannt und irgendwie doch nicht

Wenn die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska einen neuen Film dreht, dann weiß man im Vorfeld nur eins: Irgendwie wird das ziemlich eigen. Zuletzt hatte sie mit Die Maske (2018) eine Art Dorfsatirendrama gedreht und erzählte von einem Mann, dem ein fremdes Gesicht transplantiert wird. Danach wechselte sie zum Horrordrama und folgte in The Other Lamb (2019) einer Sekte, in der ein Mann zahlreiche ihm hörige Frauen um sich scharte. Bei Der Masseur wechselt sie nun die Vorzeichen, wenn hier ein Mann zur Begierde der Anwohnerinnen wird. Und auch dieses Mal nimmt sie uns mit in eine hermetisch in sich geschlossene Gruppe. Und doch ist das Ergebnis ein ganz anderes.

Tatsächlich vermeiden Szumowska sowie Michał Englert, der sie bei Regie und Drehbuch unterstützte und auch die Kamera bediente, die vielen offensichtlichen Wege, die sich an das Szenario anzuschließen anbieten. Der Masseur ist keine satirische Komödie um gelangweilte Ehefrauen, die in dem jungen, gut gebauten Fremden erotische Abwechslung suchen. Dessen mysteriöse Aura führt nicht zu einem prickelnden Thriller. Der Film ist aber auch keine direkte Aufarbeitung des Traumas Tschernobyl und eine damit einhergehende Gesellschaftskritik, selbst wenn zwischenzeitlich an die Katastrophe von damals erinnert wird. Natürlich darf das Publikum in diese Richtung nachdenken oder spekulieren. Das tut es jedoch auf eigene Gefahr.

Fernab der Kategorien

Stattdessen ist das Werk, das bei den Filmfestspielen von Venedig 2020 Premiere feierte und im Wettbewerb um den Goldenen Löwen lief, eines, das sich jeglicher Kategorisierung zu entziehen anschickt. So verfügt der Fremde nicht nur über die Fähigkeit, mit seinen kräftigen Händen die Körper der Kundinnen durchzukneten. Er hat auch Talent als Hypnotiseur, was er gleich zu Beginn einsetzt, um einem Herren von der Einwanderungsbehörde einen begehrten Stempel abzuringen. Auch später geht es in Der Masseur um Manipulation. Es geht aber auch um Befreiung, wenn die einsamen Seelen sich ihren inneren Ängsten stellen, von denen sie nicht einmal wussten, dass es sie gibt. Die Sitzungen mit Zhenia haben also durchaus auch etwas Therapeutisches.

Vor allem aber sind sie seltsam. Von Anfang an ist Der Masseur irgendwie unwirklich, gerade auch weil wir uns in Traumwelten zu bewegen scheinen. Szumowska und Englert brauchen hierfür auch gar nicht viel. Es reicht zwischendurch mal eine kleine Tanzeinlage einzubauen. Wer sich für skurrile Werke und Figuren erwärmen kann, ist hier allein deshalb schon an einer guten Adresse. Doch auch wenn der Film immer mal wieder komisch ist, in beiden Bedeutungen des Wortes, so ist er doch auch traurig. Die Menschen, denen Zhenia begegnet leben in einer wohl geordneten Welt und sind doch in ihr verloren. Mehr noch, sie haben sich selbst verloren, stapfen stur durch die Welt, angetrieben von einer Sehnsucht, bei der sie selbst nicht wissen, worauf sich diese denn bezieht.

Zwischen Märchen und Schmerz

Dem Publikum geht es da nicht anders. Der Masseur lässt offen, was da genau geschieht oder auch welche Bedeutung das alles haben soll. Auf der einen Seite ist der Film mythisch-märchenhaft, geradezu befreiend in der Art und Weise, wie er die Welt hinter sich lässt. Und doch liegt dem Ganzen immer auch etwas Echtes zugrunde, ein wahrhaftig gefühlter Schmerz, der hinter der Fassade mehr und mehr vernichtet. Wenn die Leute in der Siedlung mit diesem konfrontiert werden, teilweise davon befreit, dann hat das also auch etwas Heilsames – selbst vom bloßen Zuschauen. Dennoch ist das hier kein Wohlfühlfilm im herkömmlichen Sinn, nichts wo man im Anschluss ganz beglückt laut aufseufzt. Aber es reicht um zu wissen und irgendwo zu spüren, dass man Teil von etwas Besonderem war und die Welt danach nicht mehr dieselbe ist.

Credits

OT: „Śniegu Już Nigdy Nie Będzie“
IT: „Never Gonna Snow Again“
Land: Polen, Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Małgorzata Szumowska, Michał Englert
Drehbuch: Małgorzata Szumowska, Michał Englert
Kamera: Michał Englert
Besetzung: Alec Utgoff, Maja Ostaszewska, Agata Kulesza, Weronika Rosati, Katarzyna Figura, Andrzej Chyra, Łukasz Simlat

Bilder

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In „Der Masseur“ kommt ein Fremder in eine Siedlung und beglückt mit seinen Massagekünsten die Frauen. Das klingt ganz einfach und ist doch völlig anders. Der immer etwas unwirkliche Film handelt von verborgenen Schmerzen und Befreiung, von vergangenen Tragödien und einem Weg, der aus dem Gefängnis führt – selbst wenn man nicht weiß, wo man danach genau steht.
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