Shinjuku Tiger

Shinjuku Tiger

Shinjuku Tiger
„Shinjuku Tiger“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Der Tokioter Stadtteil Shinkuku hat eine sehr bewegte Geschichte, von den Studentenprotesten der 1960er angefangen bis in die Neuzeit und deren Umwälzungen seit der Globalisierung, die sich in dem stetig wachsenden, sich verändernden Einkaufs- und Verwaltungsviertel zeigen. Darüber hinaus bietet Shinjuku eine der buntesten Vergnügungsmeilen der japanischen Hauptstadt und gilt seit jeher als Dreh- und Angelpunkt der LGBTQ-Szene.

In diesen Gassen streift seit nunmehr 45 Jahren der Shinjuku Tiger, ein bunt bekleideter Mann, dessen Kostüm nicht nur aus grellen Farben, sondern auch aus Plastikblumen und allerlei Stofftieren besteht. Wenn er nicht gerade bei Wind und Wetter Zeitungen austrägt, geht er ins Kino oder pflegt eine seiner zahlreichen Bekanntschaften der Theater- und Filmwelt, wobei es ihm besonders die Damen angetan haben, die er bei jeder Begegnung mit Komplimenten überschüttet. Über die Jahre ist der mit einer Tigermaske bekleidete Mann zu einem Symbol Shinjukus geworden, was den japanischen Filmemacher Yoshinori Sato bewegte, mehr über diesen omnipräsenten, aber dennoch rätselhaften Mann herauszufinden.

Ein scheuer Tiger
Während in der ersten Viertelstunde des Filmes bereits die Lebensphilosophie des Tigers („Movie, beauties and a dream.“) behandelt wird, wird dem Zuschauer eine Stellung zu dieser zunächst bizarr erscheinenden Gestalt abverlangt. Dieser Mann, dem alles zu gefallen scheint, der sich in einer Doppelvorstellung Kong: Skull Island und eine japanische Romanze ansehen kann, kann anscheinend nicht anders, als durchweg zu lachen und die Sonnenseiten des Lebens zu sehen. Man fragt sich, wie dieser Charakter, der so bereitwillig Einblick in sein Leben gibt und sogar den Mann hinter der Maske zeigt, doch so schwierig in Worte zu fassen ist. Die Präsenz des Tigers ist gegeben, aber scheu und mysteriös bleibt er trotzdem.

Als Ausgangslage für eine Dokumentation ist dies durchaus problematisch. Die Geschichte Shinjukus, die immer wieder eingestreut wird, bis hin zu Bildern Japans im Nachhall der Fukushima-Katastrophe, geben klare Fakten wieder. Die Figur des Shinjuku Tiger hingegen, dessen Biografie sich fragmentarisch definiert, bleibt weitestgehend nebulös. Selbst die „Wahrheiten“, welche Sato seinen zahlreichen Interviewpartnern entlockt, sind letztlich Geschichten, von denen einige plausibel klingen, andere hingegen Parallelen zu den Filmen aufweisen, die sich der Shinjuku Tiger in seiner Freizeit ansieht.

Die Kategorien des Tigers
Ab einem gewissen Punkt ist sich Satos Team der mangelnden Greifbarkeit seines Protagonisten wohl bewusst, aber vielleicht spielt dies dann auch schon keine Rolle mehr. In einer der ersten Szenen im Film interviewt Sato Passanten, später auch Touristen bei ihrer Reaktion auf den seltsamen Zeitungsträger. Während besonders Ältere es als gutes Omen ansehen ihm zu begegnen oder gar ein Foto mit ihm zu machen, reagieren viele mit Unverständnis, brandmarken den „Tiger“ als verrückt.

Verlässt man einmal die etwas romantisch-verklärte Sichtweise auf den „Tiger“, zeigt sich in Yoshinori Satos Film eine mehr als interessante Studie über unseren Umgang mit Fremdartigkeit. Ironischerweise in einem Bezirk, welcher durch seine Unangepasstheit auffällt, sticht der Shinjuku Tiger als Sonderling für einige hervor. Dazu kommt noch seine stets positive Einstellung, die einigen fremd vorkommt, was den „Tiger“ und seine Ideale, egal wie nebulös diese auch sein mögen, zu einem Lackmustest für unsere Bereitschaft zur Toleranz sind. Zusammen mit den nahenden Vorboten der Gentrifizierung fragt man sich in der Tat, ob der „Tiger“, wie auch sein Verwandter in freier Wildbahn, nicht gar vom Aussterben bedroht ist.



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„Shinjuku Tiger“ ist eine amüsante Dokumentation, die einen wichtigen Nachhall in seinem Zuschauer auslöst. Zunächst sperrig im Umgang mit der zentralen Figur entpuppt sich Satos Film als eine gelungene Bestandsaufnahme von unserer Bereitschaft zur Toleranz und Offenheit gegenüber alternativer Lebensweisen.