Nur eine Frau
© Mathias Bothor

Nur eine Frau

Nur eine Frau
„Nur eine Frau“ // Deutschland-Start: 9. Mai 2019 (Kino) // 24. Oktober 2019 (DVD)

Berlin Kreuzberg, Mitte der 90er Jahre. Hier lebt Hatun Aynur Sürücü (Almila Bagriacik). 16 Jahre alt, erste Tochter einer streng gläubigen Familie und dem Cousin in der Türkei als Ehefrau versprochen. Schon kurz nach der Heirat erwartet Aynur ihren ersten Sohn. Allerdings kommt sie überraschenderweise und ohne das Einverständnis ihrer Eltern zurück nach Berlin, um sich, wie sich herausstellt, vor ihrem gewalttätigen Ehemann zu schützen. Ehebruch zählt jedoch zu einem der Dinge, die die Ehre der Familie verletzt. Als Tochter, Ehefrau und Mutter hat Aynur klare Vorgaben zu befolgen, die ihr ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben verbieten. Aynur aber widersetzt sich zunehmend den Traditionen und will mit Ihrem Sohn ein eigenes Leben führen. Damit stößt sie vor allem bei ihren Brüdern auf absoluten Widerstand und muss fortan sogar um ihr Leben fürchten. Denn sich dem westlichen Lebensstil anzupassen, bedeutet für Aynur gleichzeitig auch eine Todsünde zu begehen.

Dass Aynur ihre Entscheidung mit den Traditionen des Islam zu brechen, 2005 im Alter von nur 23 Jahren mit dem Leben bezahlte, wird für den Zuschauer direkt zur Einleitung für diesen Film. Aus dem Off spricht die Stimme von Almila Bagriacik (Asphaltgorillas), die Aynur verkörpert, den Zuschauer direkt an. Nimmt ihn mit auf die Reise durch ihr Leben. Ihren Kampf um Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.

Eine starke Stimme aus dem Off
Der Mordfall sorgte damals für großes mediales Aufsehen und bis heute erscheint das Thema hochaktuell. Vielleicht auch im Zusammenhang damit, dass Frauen weltweit nach wie vor für ihre Stimme um Anerkennung und gleichwertige Akzeptanz kämpfen müssen. Das Anliegen von Regisseurin Sherry Hormann (Wüstenblume, 3096 Tage) war genau das: einer starken jungen Frau eine Stimme zu geben und aufzuzeigen, welch mutige und selbstbewusste Persönlichkeit der Gesellschaft hier verloren gegangen ist.

Nur eine Frau, dessen internationaler Titel auf Wunsch des Verleihs zu A Regular Woman wurde und damit weit weniger emotional daherkommt, konnte bereits im April diesen Jahres auf dem New Yorker Tribeca Film Festival dem Publikum vorgestellt werden. In der Gesamtheit des Films ist der deutsche Titel hier tatsächlich aussagekräftiger und kann von vornherein Emotionen transportieren, die durchaus auch gewollt sind. Nur eine Frau vermittelt Wut, Respektlosigkeit, Gleichgültigkeit und die geringe Wertschätzung die mehr oder weniger offen im Film auch dargestellt werden. Allerdings nähert sich Hormann den Figuren ohne sie vorzuverurteilen, denn auch das war ihr mit ihrem Film sehr wichtig. Jedem Beteiligten und der Kultur, der sie selbst nicht angehört, fair zu begegnen und davon zu erzählen wie Kinder mit eigenen unerfüllten Träumen unter gesellschaftlichen Druck geraten.

Sorgfältig und emotional
Fantastisch recherchiert und gespickt mit Originalaufnahmen gelingt ihr zusammen mit  Kamerafrau Judith Kaufmann (Der Junge muss an die frische Luft) ein durchaus brisantes, mitreißendes und bewegendes Drama. Hierfür gab es berechtigterweise auch eine Nominierung für die Beste Kamera beim Deutschen Filmpreis. Glücklicherweise hatte Hormann zudem freie Hand in der Gestaltung des Films und so greift sie innerhalb der linearen Erzählung auf Fotomontagen zurück und verschafft sich damit filmisch mehr Zeit für Schlüsselsituationen, die sowohl Aynur als auch das Handeln ihrer Familie prägten.

Gleichermaßen kann der Film mit den Darstellern punkten. Denn trotz ihrer festgelegten Rolle im Familiengefüge, können alle ihren jeweiligen Figuren mehr Facetten abgewinnen und bleiben damit alles andere als einseitig, wie man es vielleicht erwarten würde. Seien es die Eltern, gespielt von Meral Perin und Mürtüz Yolcu, oder der jüngere Bruder Nuri, der sich später für den Mord schuldig bekennt (gespielt von Rauand Taleb, 4 Blocks). Bei allen ist durchaus zu erkennen, dass hinter den strengen Traditionen auch andere Gefühle versteckt sind und somit sind selbst diese Charaktere in gewisser Weise für den Zuschauer zugänglich.



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Sehr gute Kameraarbeit und ein gut gewählter Cast machen "Nur eine Frau" zu einem sehenswerten Drama, welches Missstände aufzeigt, dabei aber nie stigmatisiert.
7
von 10