Yours in Sisterhood
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Yours in Sisterhood

Yours in Sisterhood
„Yours in Sisterhood“ // Deutschland-Start: 6. Dezember 2018 (Kino)

Die Kunst des Leserbriefes ist heute ja ein wenig aus der Mode gekommen. Aus guten Gründen. Zum einen lesen die Leute heutzutage weniger, vieles hat sich auf Online-Varianten verlagert. Auch dort gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich einzubringen oder zu reagieren. Mehr sogar als früher. Aber die Ansprüche sind gesunken. Gerade weil jeder zu jeder Zeit kommentieren kann, völlig anonym, ohne Kosten, ohne großen Zeitaufwand, besteht die Interaktion oft nur daraus, irgendwelche Schlagwörter durch die Gegend zu schubsen – gern verbunden mit der einen oder anderen Beleidigung.

Ein bisschen wehmütig könnte man da werden, wer sich Yours in Sisterhood anschaut. Oder besser: Es anhört. Denn die Dokumentation besteht fast ausschließlich darin, dass Menschen alte Leserbriefe an die Ms. vorlesen. Dabei handelt es sich um ein US-amerikanisches Magazin, das sich in den frühen 1970ern als erstes seiner Art dem Thema Feminismus zuwandte. Noch heute wird es veröffentlicht, auch wenn die Bedeutung analog zu anderen Magazinen mit der Zeit nachgelassen hat. Dabei ist das Thema nach wie vor relevant, wie #MeToo und andere Entwicklungen gezeigt haben. Und auch der Film erinnert daran, wie weit der Weg noch sein wird.

Querschnitt durch die Gesellschaft
Dabei sind die über 300 Briefe, die Regisseurin Irene Lusztig während ihres Projektes sammelte und vorlesen ließ, nicht zwangsläufig feministischer Natur. Vielmehr sind sie ein Sammelsurium aus Themen, die einen Einblick gewähren in die Lebensrealität von Frauen in den 1970ern. Das kann Diskriminierung sein, wenn eine sich beklagt, nirgends als Polizistin angestellt zu werden. Eine andere erzählt von ihrer Homosexualität und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Auch die Rassenfrage kommt auf, schließlich wurde Ms. Seinerzeit der Vorwurf gemacht, sich nicht genügend um die speziellen Belange schwarzer Frauen zu kümmern.

Spannend an den Briefen ist dabei nicht nur der Inhalt, mal schockierend, dann traurig, manchmal auch hoffnungsvoll, sondern auch wie Lusztig eine Auseinandersetzung damit fordert und forciert. Sie ließ nicht einfach den Zufallsgenerator entscheiden, wer welchen Brief zu lesen bekam. Stattdessen suchte sie Menschen, die zu den Briefen passten – sei es der Ort, das Alter oder eben auch die Hautfarbe. Im Anschluss an die Lektüre dürfen viele das eben Gelesene kommentieren. Während sich die einen mit deren Zeilen identifizieren können, sich darin selbst wiederfinden, protestieren andere lautstark. Manches davon ist auf persönliche Meinungsunterschiede zurückzuführen, anderes auf eine veränderte Gesellschaft.

Yours in Sisterhood ist damit nicht nur einfach ein Zeitdokument, so interessant es als solches auch ist. Vielmehr ist die Dokumentation, die auf der Berlinale 2018 Premiere feierte, eine Abrechnung mit der Gegenwart. Was hat sich in den letzten vier Jahrzehnten getan? Was ist gleich geblieben? Darüber hinaus zeigt der Film, wie komplex der oftmals sehr vereinfacht dargestellte Kampf um Gleichberechtigung ist. Zu viele verschiedene Interessen kommen hier zusammen. Interessen, die durchaus auch mal um Widerspruch zueinander stehen können und den gemeinsamen Kampf als eine Zweckgemeinschaft entlarven. Damit einher gehen Denkanstöße, was Feminismus überhaupt bedeutet, was Gleichberechtigung bedeutet. Die Frage auch, wie wir unsere Gesellschaft gestalten wollen und wie wir damit umgehen sollen, dass andere ihre eigenen Ziele verfolgen.



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Ein Film, der nur daraus besteht, dass Leute alte Briefe vorlesen, das hört sich nicht aufregend an. Tatsächlich ist „Yours in Sisterhood“ aber sehr spannend, wenn Leserzuschriften an ein feministisches Magazin der 1970er mit der heutigen Gesellschaft kontrastiert werden. Was hat sich geändert? Was muss sich ändern? Und was bedeutet das überhaupt, für Gleichberechtigung zu kämpfen?