Augsburger Puppenkiste Special

Augsburger Puppenkiste [Special]

Keine Chance. Es müssen nur die ersten paar Töne angespielt werden, dann ist auch der Rest der Melodie wieder da, weigert sich beharrlich, in die Tiefen des Gedächtnisses zurückzukehren. Das galt 1976, als Eine Insel mit zwei Bergen während der Ausstrahlung von Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer das erste Mal im Fernsehen zu hören war. Das galt 1995, als ein Dance-Remake der Truppe Dolls United zu einem Überraschungshit wurde, der sich über 500.000 Mal verkaufte. Das gilt auch jetzt, mehr als 40 Jahre später. Zumindest die etwas älteren unter uns werden das Lied gleich mitsummen können, unabhängig davon, wann wir ihm das erste Mal begegnet sind.

Aber unvergesslich ist ja so vieles, was mit der Augsburger Puppenkiste zu tun hat. 70 Jahre ist es heute her, am 26. Februar 1948, dass sie das erste Mal öffentlich auftrat, mit einer Version des Stücks Der gestiefelte Kater. Doch schon vor dem Debüt hatte das Marionettentheater eine bewegte Geschichte hinter sich. 1943 hatte es bereits einen Vorgänger gegeben. Der Puppenschrein jedoch wurde während eines Bombenangriffs fast völlig zerstört. Die Puppen selbst überlebten glücklicherweise, weil Gründer Walter Oehmichen sie zu dem Zeitpunkt mit nach Hause genommen hatte.

In ganz Deutschland zu Hause
Das Theater ist seither fest in Familienbesitz. Oehmichen übergab das Theater 1973 an seine Tochter Hannelore und ihren Mann Hanns-Joachim Marschall, inzwischen führen deren Kinder in der dritten Generation die Puppenkiste. Deren Name entstand übrigens als direkte Folge der Kriegserfahrungen: Anstatt die Puppen wie anfangs in einer festen Bühne aufzubewahren, sollten sie später in einer Kiste Platz finden, durch die sie sich leichter transportieren ließen. Gut rumgekommen sind die Puppen im Anschluss auch. Das Stammtheater steht zwar nach wie vor im bayerischen Augsburg. Dann und wann verließen die Holzhelden dieses jedoch, um durch Deutschland zu touren. Und wer sie dabei nicht gesehen hat, der dürfte ihnen im Fernsehen über den Weg gelaufen sein.

Viele Jahrzehnte lang war dies ihre bekannteste Heimat. Von 1953 an wurden regelmäßig Serien und Filme produziert, teilweise mehrere pro Jahr. Neben den lustigen, fantasievollen Figuren zeichneten sich die Produktionen durch die abwechslungsreichen Ausstattungen aus, die Liebe zum Detail bei den Hintergründen. Oft standen dabei berühmte Kinderbücher Pate. Neben Michael Endes Ausflug ins Lummerland, waren auch Max Kruse (Urmel aus dem Eis), Paul Maar (Eine Woche voller Samstage) und Tove Jansson (Die Muminfamilie) gern gesehene Gäste. Aber auch klassische Märchen und die eine oder andere Eigenentwicklung waren dabei. Zudem pflegen die Augsburger die bereits 1950 eingeführte Tradition des Silvesterkabaretts, das sich an ein erwachsenes Publikum richtet. Bis heute.

Keine Zeit mehr für Puppen … oder doch?
Dennoch, spurlos ist die Zeit an den Urhölzern nicht vorübergegangen. Ausgerechnet die zweite Heimat TV will von ihren einstigen Stars nichts mehr wissen. Sie seien nicht zeitgemäß heißt es, neue Produktionen gibt es schon lange nicht mehr. Verständlich ist das einerseits schon. Die Sehgewohnheiten haben sich gerade in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewandelt. In Zeiten allgegenwärtiger CGI-Figuren sind die Helden aus der Kiste zu starr mit ihrem Verzicht auf jegliche Mimik. Zu langsam auch: Rasante Slapstickeinlagen, wie sie heute in der Kinderunterhaltung, gerade der amerikanischen, dominant sind? Mit Puppen nicht möglich. Durch ihre Bindung an die deutlich sichtbaren Fäden sind die Schauplätze zudem eingeschränkt, dynamische Kamerafahrten gibt es in Augsburg nicht.

Und doch, es gibt sie die Fans, welche den Puppen die Treue halten. Alte Fans natürlich, die früher selbst mit ihnen aufgewachsen sind, und sich nach ruhiger und besinnlicher Unterhaltung zurücksehnen. Vielleicht entschied man sich deshalb in Augsburg, neue Wege zu suchen. Und neue Bühnen. Anstatt sich auf das kleine TV-Format zu beschränken, wagten sich die Puppen an die große Leinwand heran. Dort waren sie schon früher mal zu sehen, 1997 gaben sie mit Die Story von Monty Spinnerratz ihr Kinodebüt. Jetzt haben sie ihr Herz für Weihnachtsgeschichten entdeckt. Sowohl die biblische Fassung (2016) wie auch die Adaption von Cornelia Funkes Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel (2017) wurden an den Adventssonntagen gezeigt und lockten immerhin 100.000 bzw. 73.000 Besucher in die Kinos, kleine wie große. Und damit soll noch nicht Schluss sein, auch im 71. Jahr nach dem Debüt werkeln die fleißigen Puppenmeister an neuen Auftritten und haben dabei wie ihre Zuschauer auch völlig die Zeit vergessen.

Unsere Rezensionen der Puppenkiste



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