Mein Leben als Zucchini
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Mein Leben als Zucchini

(„Ma vie de Courgette“ directed by Claude Barras, 2016)

„Mein Leben als Zucchini“ läuft ab 16. Februar 2017 im Kino

Nachdem wir letzte Woche mit Space Pirate Captain Harlock Krieg gegen böse Pflanzen geführt haben, wird es im 145. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials deutlich irdischer und kleiner. Aber kein bisschen weniger dramatisch, denn wir widmen uns einem der erwachsensten Kinderfilme der letzten Jahre.

Es war nur ein blöder Unfall. Nie hätte der neunjährige Zucchini gewollt, dass seine Mutter die Treppe hinunterfällt und stirbt. Und nun sitzt er hier, im Waisenhaus, kennt niemanden und muss sich für seinen ungewöhnlichen Spitznamen verspotten lassen. Er ist allerdings nicht der einzige mit Problemen, alle Kinder hier haben ihre traurigen Hintergrundgeschichten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten findet sich Zucchini dann aber doch in der Gruppe zurecht. Vor allem als Camille dazu stößt, die ihm schnell den Kopf verdreht.

Stop Motion und die Schweiz, da wird sich mancher Eidgenosse ungern an Max & Co. zurückerinnern. Die Geschichte des 15-jährigen Max, der seinen Vater sucht, wurde von den Kritikern zwar wohlwollend angenommen, war gleichzeitig aber der teuerste Flop, den das Land je produziert hat. Da wird es Mein Leben als Zucchini besser ergehen, allein schon deshalb, weil diesmal die ganze Welt in die Lobeshymnen miteinstimmt. Ob in Cannes oder bei den Golden Globes, dem Europäischen Filmpreis oder den Oscars, für eine Nominierung hat es überall gereicht. Dass sich die kleine Produktion bei Letzteren gegen Zoomania durchsetzen kann, gilt zwar als ausgeschlossen. Bemerkenswert ist aber schon, dass das Spielfilmdebüt von Regisseur Claude Barras Schwergewichte wie Findet Dorie oder Pets aus dem Rennen warf, es sogar auf die Shortlist als „Bester fremdsprachiger Film“ geschafft hatte.

Bemerkenswert ist aber auch der Film an sich, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Gilles Paris. Der wurde im Vergleich zum Original ein bisschen entschärft und kinderfreundlicher gemacht. Harter Tobak bleibt er aber trotzdem. Schon der Beginn, wenn wir die Flüche von Zucchinis alkoholkranker Mutter aus dem Nachbarzimmer hören, wo die sich mal wieder vor dem Fernseher betrinkt, hat nur wenig mit dem zu tun, was Animationsfilme sonst so auffahren. Und auch später kommen eine Reihe Themen dazu, von Drogenmissbrauch über häusliche Gewalt bis zur Abschiebung von Flüchtlingen, die man in der Form eigentlich keiner jungen Seele zumuten mag.

Mein Leben als Zucchini tut es trotzdem. Dabei verliert das Drama sein Publikum aber nie aus den Augen. Vielmehr erzählt es die Geschichte eben genau aus dessen Perspektive, macht die großen Ungerechtigkeiten der Welt zwar nicht völlig verständlich, aber doch so lebensnah, dass es leicht fällt, mit den kleinen Protagonisten mitzufühlen. Die dürfen sich hier dann auch noch austoben, im Schnee, auf dem Spielplatz, müssen keine Helden sein. Keine Weltenretter. Stattdessen sind sie, ihren diversen Macken und Streichen zum Trotz, fast schon erschreckend normal angesichts der wenig normalen Situationen, in denen sie sich befinden. Und zum Ende hin darf es dann auch ein bisschen warmherziger werden, geradezu märchenhaft.

Dazu passt dann auch die Optik. Groß sind die Augen, der Kopf ist es auch, die Arme flattern beim Laufen ein wenig herum – so als hätte sich Tim Burton an einem Manga versucht. Mit den großen Stop-Motion-Feuerwerken von Aaardman Animation (Wallace & Gromit – Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen) oder Laika (Kubo – Der tapfere Samurai) kann es der kleine Verwandte aus der Schweiz nicht aufnehmen. Dafür fehlt es an Effekten oder Details, auch die Animationen sind nicht ganz so flüssig. Aber das macht nichts, unterstreicht vielmehr den kindlichen Charme von Mein Leben als Zucchini, dessen spärlich eingerichtetes Heim immer wie ein Puppenhaus wirkt. So wie der Film eben auch die Kindervariante eines ernsten Themas darstellt. Und wenn das Drama später die Bedeutung von Freundschaft betont, den jungen Zuschauern sagt, dass selbst die dunkelsten Momente im Leben gemeinsam gemeistert werden können, dann darf man unseren Nachbarn richtig dankbar sein. Dafür dass sie Kinder hier ernstnehmen, sich auf sie einlassen und eine deutlich gehaltvollere – und bessere – Alternative zu den Slapstickdümmlichkeiten eines Ice Age 5 – Kollision voraus! anbieten. Letztere mögen an den Kinokassen ein Vielfaches einspielen, sind im Anschluss aber gleich wieder vergessen. Zucchini, Camille und Co. jedoch, das sind Freunde, die einen selbst dann noch begleiten, wenn sie längst schon wieder gegangen sind.



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Ein Stop-Motion-Film für Kinder, der Themen wie Drogen oder häusliche Gewalt anspricht? Das ist ebenso ungewöhnlich wie gelungen: „Mein Leben als Zucchini“ zeigt auf kindgerechte Weise den Ernst des Lebens, ist auch aufgrund der Puppenhausoptik gleichzeitig märchenhaft-warmherzig und unbarmherzig realistisch.
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von 10