Stimme des Herzens – Whisper of the Heart
Stimme des Herzens (1995)

Stimme des Herzens – Whisper of the Heart

(„Mimi o sumaseba“ directed by Yoshifumi Kondô, 1995)

Stimme des Herzens – Whisper of the HeartMiyazaki, Miyazaki, Miyazaki – wann immer die Rede von Studio Ghibli ist, wird im gleichen Atemzug auch Hayao Miyazaki genannt. Kein Wunder, wurde der Regisseur mit Klassikern wie Mein Nachbar Totoro oder Prinzessin Mononoke zum Aushängeschild des japanischen Zeichentrickstudios. Einigen wird eventuell noch der Name Isao Takahata geläufig sein, der mit Miyazaki nicht nur das Studio gründete, sondern auch selbst bei einigen Fanfavoriten (Die letzten Glühwürmchen, Meine Nachbarn die Yamadas) Regie führte. Unbemerkt von vielen tummelten sich im Laufe der Zeit hinter den beiden großen aber noch eine Reihe weiterer Talente. Grund genug, im dritten Teil unseres mehrwöchigen Specials über Studio Ghibli einen Namen ins Bewusstsein zu rücken, der mehr Aufmerksamkeit verdient hätte: Yoshifumi Kondô, Regisseur von Stimme des Herzens.

Wer Ghibli automatisch mit modernen Märchen à la Chihiros Reise ins Zauberland oder Ponyo – Das Abenteuer am Meer gleichsetzt, erlebt hier dann eine große Überraschung: Die Qualität von Stimme des Herzens mag fantastisch sein, das Setting ist es nicht. Vielmehr versetzt uns der Film ins Tokio der Neuzeit und erzählt die Geschichte der 14-jährigen Shizuku. Das Mädchen ist eine begeisterte Leseratte, wann auch immer man ihr begegnet, steckt sie mit der Nase in einem Buch. Die Bibliothek? Ein zweites Zuhause. Doch nicht nur sie geht dort ein und aus, das Gleiche scheint auch auf einen gewissen Seiji Amasawa zuzutreffen. Zumindest stolpert Shizuku regelmäßig über dessen Namen, weil er wirklich jedes Buch schon vor ihr ausgeliehen hat.Stimme des Herzens – Whisper of the Heart Szene 1

Klar, dass die schwärmerisch veranlagte Shizuku sich in Gedanken ausmalt, wie dieser bücherliebende Prinz mit dem ähnlichen Literaturgeschmack wohl aussehen mag. Diese Sehnsucht nach großen Geschichten, nach Märchen zeigt sich auch, als die Schülerin eines Tages in der Bahn eine Katze sieht. Neugierig, wie diese dazu kommt, alleine öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, folgt sie dem Tier quer durch die Stadt. Auf diese Weise landet Shizuku unverhofft in einem alten Trödelladen, wo sie nicht nur den alten Besitzer und seine sonderbaren Antiquitäten kennenlernt, sondern auch dessen vorlauten Enkel, der in seiner Freizeit Geigen baut und mit der Zeit Shizukus Herz erobert.

Ein Mädchen, das einem Tier folgt und dabei in einer „magischen“ Welt landet, erinnert nicht von ungefähr an den Literaturklassiker „Alice im Wunderland“, der in Japan mehr noch als hier ein fester Teil der Popkultur ist. Anders als Alice landet Shizuku jedoch nicht in einer anderen, sondern entdeckt mit Hilfe des Großvaters eher die Magie in dieser Welt: eine Katzenfigur, die von dem Partner getrennt wurde, ein wundersam leuchtender Stein, eine Standuhr, die die Geschichte einer unmöglichen Liebe erzählt. So magisch wirken diese im Grunde einfachen Gegenstände, dass man geradezu darauf wartet, dass sie selbst zum Leben erwachen und Fabelwesen den Bildschirm erobern.Stimme des Herzens – Whisper of the Heart Szene 2

Doch Stimme des Herzens bleibt trotz Drehbuchs von Miyazaki fest in der Realität verankert. Und genau das zeichnet den Animationsfilm auch aus, denn die Mangaverfilmung – Miyazaki adaptierte den gleichnamigen Comic von Aoi Hiiragi – erzählt glaubhaft von den Gefühlswirrungen, den Träumen und den Ängsten, die einen als Teenager plagen. Zwar flüchtet Shizuku immer wieder in die wunderbare Welt ihrer Romane und später versucht sie sich sogar selbst als Autorin. Doch im Mittelpunkt steht eben nicht die Flucht, sondern die Suche nach der eigenen Identität, die Frage: Wer will ich eigentlich sein? Wie gehe mit meinen Gefühlen für einen anderen Menschen um? Statt der vielleicht erwarteten Fantasiegeschichte haben wir es also vielmehr mit einer klassischen Coming-of-Age-Story zu tun, die sich sensibel mit dem Innenleben der jungen Protagonisten auseinandersetzt.

Die von Hand gefertigten Zeichnungen sind dabei wie immer bei Studio Ghibli ohne Tadel und stecken voller liebevoller Details. Egal ob die Hintergründe während der Bahnfahrt, Scheinwerfer von vorbeifahrenden Autos und natürlich der Antiquitätenladen, überall gibt es etwas fürs Auge zu entdecken. Dass Stimme des Herzens der einzige Film von Regisseur Yoshifumi Kondô für Studio Ghibli wurde, hat also nichts mit der Qualität des Filmes zu tun. Und auch nicht mit mangelndem Erfolg: 1995 spülte keiner in Japan mehr Geld in die Kassen. Nein, der Grund für den mageren Output ist ein anderer und ziemlich trauriger: Kondô starb drei Jahre später im Alter von gerade einmal 47 Jahren, Stimme des Herzens blieb sein einziges Werk als Regisseur. Doch bei Animationsfans ist die wunderbare Geschichte rund um einige Jugendliche und die schwierige Zeit während der Pubertät bis heute unvergessen geblieben.



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Yoshifumi Kondô nimmt uns in seiner einzigen Regiearbeit Stimme des Herzens zurück in die Zeit als Teenager und erzählt sensibel, realistisch und mit detailverliebten Bildern von den Gefühlswirrungen seiner jungen Protagonisten.
8
von 10