Irdische Verse Ayeh Haye zamini
© Neue Visionen Filmverleih

Irdische Verse

„Irdische Verse“ // Deutschland-Start: 11. April 2024 (Kino)

Inhalt / Kritik

Wir begegnen einer Gruppe Menschen, die aufgrund verschiedener Umstände mit den iranischen Behörden in Kontakt kommen. Ein junger Vater beispielsweise möchte den Namen seines Sohnes anmelden, was in seinen Augen ein einfacher Verwaltungsakt sein sollte. Als der Beamte jedoch seinen Namenswunsch hört, gibt es ein Problem, denn laut seinen Richtlinien verstößt dieser gegen seine Vorgaben. Der Mann ist fassungslos und kann nicht begreifen, dass ein Fremder ihm auf einmal erzählen will, wie er seinen Sohn zu nennen hat. Ein Mädchen namens Selena hat derweil ganz andere Sorgen, denn während sie an nichts anderes denken kann, als wieder in ihre gemütlichen Klamotten zu steigen, zwingt ihre Mutter ihr nur noch weiter Schichten von Gewändern und Umhängen auf, die sie letztlich fast ganz verhüllen. Das andere Mal treffen wir Zeuge eines Gespräches zwischen einem Elternteil und dem Direktor an einer Schule, der das „Fehlverhalten“ eines Kindes nicht mehr länger dulden will. Ein Arbeitssuchender muss in einem Job-Interview weit mehr als nur seine Qualifikationen beweisen, denn auf einmal wird auch seine Koranfestigkeit geprüft wie auch die Reihenfolge der rituellen Waschung.

Nicht gerne gesehen

Autoritäre Regime sehen es bekanntlich nicht gerne, wenn sich Kulturschaffende kritisch mit ihnen auseinandersetzen. Das bekam das Regieduo Ali Asgari und Alireza Khatami bereits mehrfach zu spüren, so wurde Asgari beispielsweise im September 2023 in seiner Heimat Iran von den Behörden nicht nur ein Berufsverbot erteilt, sondern er durfte das Land auch nicht verlassen. Dabei befasst sich Irdische Verse in erster Linie mit einer sehr trockenen Materie, die aber, bei genauem Hinsehen, sich als ein teils bizarres, teils sehr tragisches Drama erweist, das den täglichen Irrsinn eines Systems zeigt. Asgari und Khatami stehen mit ihren Film in einer Tradition mit Filmemachern wie Abbas Kiarostami oder Jahar Panahi, die ebenfalls in ihrem Werken oft den Alltag im Iran abbildeten und die von Menschen und ihren Versuchen erzählen, in einem autoritären System irgendwie ein normales Leben zu führen.

Die neun Episoden von Irdische Verse machen dem Zuschauer die Präsenz eines System, das nicht das Wohl des Menschen im Sinne hat, überdeutlich. Auch wenn das Thema sich verändert sowie der situative Kontext, bleibt die Perspektive dieselbe. Aus der Sicht des Menschen mit Autorität, des Repräsentanten jenes System, blickt man auf den Mann oder die Frau vor einem, die nicht selten wegen einer Banalität herbei bestellt wurde oder diese zu klären versucht. Die Macht, die von dieser Sichtweise ausgeht, ist unheimlich, denn das Drama, das sich vor einem abspielt, mag den Zuschauer berühren, nicht aber den Repräsentanten, der mit gleich klingender Stimme seine Forderung durchbringen will. Das solche Szenen nicht gerne gesehen sind im Iran, braucht man nicht länger zu diskutieren, da Asgari und Khatami ihren Zuschauer direkt mit diesem System konfrontieren, die Menschen aus der Sichtweise dieses Machtapparates zeigen, was mitunter sehr unbequem ist.

Das Bizarre und die Verzweiflung

Aufgrund der minimalen Ästhetik sowie der ähnlichen Ausgangssituation tragen vor allem die Schauspieler die jeweiligen Episoden. Asgari und Khatami greifen dabei auf ein gutes Ensemble zurück, wobei jede Figur ein wahres Panorama verschiedener Situationen durchläuft, besonders, wenn die jeweilige Situation zunächst nicht als bedrohlich oder problematisch eingestuft wird. Bahram Ark als Vater, der nur den Namen seines Sohnes ins Melderegister eintragen wollte, findet sich wieder in einem Streitgespräch, bei dem es um weit mehr als nur einen Namen geht, sondern darum, dass er (und seine Familie) sich vielleicht verdächtig machen.

Arghavan Shabani als aufgewecktes Mädchen wirkt wie verwandelt, als sie die Schuluniform anhat, die sie nicht nur fast komplett verschleiert, sondern auch ihre Bewegungsfreiheit einschränkt. Die Beteuerungen ihrer Mutter, sie sehe doch hübsch aus, können weder das Mädchen noch den Zuschauer überzeugen. Wir beobachten einen Verlust von Freiheit, eine omnipräsente Bedrohung und Überwachung, die zu bizarren und dann wieder dramatischen Situationen führt, bei der das Politische direkt in das Leben eines Menschen eingreift. Das Panopticon des Systems hat jeden im Blick und braucht noch nicht einmal Kameras, wenn es so viele Marionetten hat, die seine Ideologie umsetzen. Für alles andere gibt es Formulare, Wartezimmer und Hinhaltetaktiken.

Credits

OT: „Ayeh Haye zamini“
Land: Iran
Jahr: 2023
Regie: Ali Asgari, Alireza Khatami
Drehbuch: Ali Asgari, Alireza Khatami
Kamera: Adib Sobhani
Besetzung: Bahram Ark, Ali Asgari, Sadaf Asgari, Ardeshir Kazemi, Alireza Khatami, Gohar Kheirandish, Farzin Mohades, Faezeh Rad, Majid Salehi, Arghavan Shabani, Hossein Soleimani, Sarvin Zabetian

Bilder

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Irdische Verse
fazit
„Irdische Verse“ ist eine Episodenfilm über die täglichen Kämpfe gegen Bürokratie als Repräsentant eines autoritären Regimes. Ali Asgari und Alireza Khatami gelingt ein Fim, der durch seine Einfachheit besticht und näher an die Wahrheit über ein auf Kontrolle und Überwachung basierendes System kommt.
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