Regisseur Thomas Sieben (links), zusammen mit Kameramann Daniel Gottschalk am Set von "Home Sweet Home - Wo das Böse wohnt" (© 2024 Constantin Film )

Thomas Sieben [Interview]

In Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt folgen wir der hochschwangeren Maria (Nilam Farooq), die mit ihrem Verlobten Viktor (David Kross) in das Haus seiner Familie zieht. Zunächst ist die überwältigt von dem riesigen Anwesen, das auf die reiche Geschichte verweist. Schon nach kurzer Zeit beschleicht sie aber das Gefühl, dass da irgendetwas vor sich geht und sie nicht allein in dem Haus ist. Zum Kinostart am 25. Januar 2024 haben wir uns mit Regisseur und Drehbuchautor Thomas Sieben unterhalten. Im Interview sprechen wir über die stressigen Dreharbeiten, filmische Einflüsse und den Zustand des deutschen Genrekinos.

Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Home Sweet Home verraten? Wie kam es zu der Idee?

Ich habe vorher zwei Genrefilme für Netflix gedreht, Kidnapping Stella und Prey, und wollte schon immer auch einen Horrorfilm machen. Seit frühester Jugend bin ich großer Horrorfan und bin damit filmisch sozialisiert worden. Constantin Film kam dann auf mich zu und fragte mich, ob ich Lust hätte, einen Horrorfilm zu drehen. Für mich war klar, dass ich da dabei sein will. Es brauchte aber eine Idee für eine Struktur. Wir sind dann irgendwann darauf gekommen, das als One-Shot-Film umzusetzen, weil es das im Horrorgenre auch noch nicht so oft gibt. Die Idee von einer schwangeren Protagonistin in einem Spukhaus hatte ich vor vielen Jahren, als ich gehört habe, dass es bei einer Schwangerschaft Komplikationen geben kann, die dazu führen, dass sich Frauen nicht mehr bewegen können. Diese Idee habe ich dann präsentiert. Und danach ging es relativ schnell: Die Idee, dieses Szenario mit der äußeren Struktur eines One Shots zu verbinden fanden alle gut. Ein Jahr später haben wir schon gedreht.

Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt
Maria (Nilam Farooq) kommt in „Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt“ einem alten Geheimnis auf die Spur. (© Constantin Film)

In Home Sweet Home gibt es, anders als bei Kidnapping Stella und Prey, auch ein übernatürliches Element. Wie war es für dich, in diese Richtung etwas zu machen?

Man darf bei Geisterfilmen nicht in die Falle tappen zu denken, dass man alles machen kann, was man möchte, nur weil etwas Übernatürliches darin vorkommt. Wenn du das machst, kommst du nicht weit. Diese Welt muss trotzdem Sinn ergeben und Regeln folgen. Geister und Monster wirken nach außen hin vielleicht ein wenig trashig. Aber wenn du dich näher damit befasst, merkst du schnell, dass das eine ernstzunehmende Sache ist. Einem Horrorpublikum ist das ja nicht egal, was es da schaut. Die schauen viele dieser Filme und haben entsprechende Erwartungen. Wenn du da etwas Halbherziges ablieferst, merken die das sofort. Das war ein sehr interessantes Arbeiten. Und es war natürlich eine tolle Hausaufgabe, lauter Geisterfilme anzuschauen.

Welche Filme waren dann am Ende für dich Vorbilder, die auch wirklich funktioniert haben?

Das Grundkonstrukt eines solchen Geisterfilms, der auch mit einem Fluch verbunden ist, das ist für mich immer noch Poltergeist. Das ist die Blaupause für eine Geschichte, bei der eine große Ungerechtigkeit geschehen ist. Eine Form der Sünde, die begangen wurde und deren Folgen die Figuren nun zu spüren bekommen. Ansonsten gibt es natürlich die Conjuring Reihe, die immer ein gutes Vorbild ist, weil das Niveau dort extrem hoch ist. Das können dann einzelne Elemente sein wie das Sound Design. Außerdem haben mich die Werke von Jordan Peele und Ari Aster beeinflusst, bei denen du Horror mit tatsächlichen menschlichen Figuren verbindest, was noch unheimlicher sein kann als irgendwelche Dämonen oder Gespenster.

In deinem Film geht es aber nicht allein um eine persönliche Schuld. Du verbindest das mit einem gesellschaftlichen Thema. Man hätte ja auch sagen können, dass der Großvater einen Nachbarn ermordet hat und deshalb verfolgt wird. Warum geht ihr in Home Sweet Home weiter?

Das hängt damit zusammen, dass wir eine möglichst präzise Geschichte erzählen wollen. Wenn es zu beliebig wird, riskierst du, dass das Publikum aussteigt. Unser Thema, der Genozid an den Herero und Nama, ist eins, das noch immer viel zu wenig bekannt ist, weil das Dritte Reich alles andere überschattet. Damit gehen andere deutsche Verbrechen unter, obwohl sie auch sehr wichtig sind und man viel mehr darüber sprechen müsste. Für uns war Home Sweet Home die Chance, auf dieses Thema aufmerksam zu machen, ohne daraus ein schweres Drama zu machen. Wir wollten das Publikum schon unterhalten und das dann mit einem Informationswert verbinden, anstatt ein rein belehrendes Schulkino daraus zu machen. Deutsche Horrorfilme müssen nicht zwangsläufig einfach nur amerikanische kopieren. Sie dürfen auch eigene Geschichte erzählen, müssen es meiner Meinung sogar, wenn sie ernstgenommen werden sollen.

Wie bist du denn auf dieses Thema gestoßen?

Durch den Roman Gravity’s Rainbow von Thomas Pynchon, auf Deutsch Die Enden der Parabel. Das Thema hat mich danach nicht mehr losgelassen, gerade weil in der Bevölkerung so wenig darüber gesprochen wird. Das war so brutal und so grausam, was damals geschehen ist. Und ich finde es wichtig, dass wir das nicht vergessen dürfen.

Gibt es für dich denn eine Form der Erbschuld? Viele wollen mit dem Thema nichts zu tun haben, weil es für sie zu weit zurückliegt.

Das stimmt. Wobei es mir mehr darauf ankommt zu sagen, wie ein Trauma weitergegeben wird von Generation zu Generation, es sei denn, man durchbricht es. Wenn so schlimme Dinge passieren, dann hat das immer Folgen. Umso wichtiger ist es, sich damit zu beschäftigen.

Dann kommen wir zum technischen Aspekt. Deutsche One-Shot-Thriller kenne ich. Da war natürlich Victoria, später auch Limbo. Bei Horror fehlt mit auf Anhieb kein Beispiel ein. Warum wolltet ihr das Prinzip aufs Horrorgenre anwenden? Was bringt das eurer Meinung nach?

Es gab den Silent House, ein Horrorfilm aus Uruguay von 2010. Ansonsten sieht es wirklich dünn aus, in Deutschland sowieso. Die Idee war, durch den One Shot einen Sog entstehen zu lassen. Der Zuschauer sollte das Gefühl haben, dass es kein Entkommen gibt. Wir fanden es reizvoll, das im Rahmen einer Echtzeitgeschichte zu machen. Außerdem ist es spannend für einen Filmemacher, mal die Komfortzone zu verlassen. Wenn du einen solchen Film machst, musst du ganz anders arbeiten. Du musst sehr viel mehr proben und im Vorfeld Sachen bestimmen, weil du dich nicht darauf verlassen kannst, danach im Schnitt alles wieder lösen zu können. Du kannst auch nicht Szenen noch einmal neu drehen und Dialoge verbessern. Das muss alles von Anfang an sitzen. Es bedeutet auch, dass du als Regisseur ein Stück weit die Kontrolle abgeben musst. Du lernst dabei wahnsinnig viel über das Filmemachen. Für die Schauspieler ist das auch eine große Herausforderung, das alles wirklich am Stück spielen zu müssen. Gerade für Nilam natürlich, die sich immer mehr in diese Panik hineinsteigern muss.

Wie oft habt ihr den kompletten Film dann gedreht?

Zweieinhalb mal. Wir hatten eine Generalprobe, bei der wir nicht gedreht haben. Da ging es mehr um technische Fragen. Besonders der Ton war da ein großes Thema. Dann hatten wir drei normale Durchgänge. Der erste war okay, den hätten wir zur Not nehmen können. Der zweite war eine absolute Katastrophe. Da ist wirklich alles schiefgegangen. Der Kameramann ist an der Tür hängen geblieben. Nilam hat ihr Handy irgendwo liegen gelassen, das sie aber später in der Geschichte gebraucht hat. Bei Justus ist ein Mikrofon ausgefallen. Das war alles nicht schön. Deswegen musste es der dritte Durchgang einfach werden. Und er wurde es dann auch. Mehr wäre gar nicht gegangen, da wir nur drei Drehtage hatten. Pro Drehtag ging nur ein Versuch, weil wir bei uns einen Sonnenuntergang drin haben. Und den gibt es eben nur einmal am Tag. Damit wurde das noch einmal etwas schwieriger als bei anderen One-Shot-Filmen, die mehrfach pro Tag einen Anlauf starten können.

Das bedeutet auch für das Ensemble viel Stress. War es schwierig, Leute von deiner Idee zu überzeugen?

Nein, gar nicht. Mit David Kross habe ich vorher ja schon mal gearbeitet. Bei den beiden anderen ging das ebenfalls sehr schnell. Klar ist ein solcher Dreh anstrengend. Aber er ist eben auch eine Herausforderung. Überhaupt ist das Feedback oft positiv, wenn du den Leuten Genrefilme anbietest, weil es davon einfach so wenige gibt. Das ist dann für sie aufregend.

Deine letzten beiden Filme waren für Netflix, jetzt geht es wieder ins Kino. Wäre es leichter gewesen, einen Film wie Home Sweet Home bei einem Streamingdienst unterzukriegen?

Das kann schon sein. Letztendlich hat alles seine Vor- und Nachteile. Ich habe auch tolle Erfahrungen mit Netflix gesammelt. Aber ich bin schon froh darüber, dass wir es hiermit ins Kino geschafft haben. Nicht nur, dass wir eine tolle Reise hatten seit unserer Premiere in London. Es ist auch etwas anderes, ob du dir einen Film allein zu Hause anschaust oder du ihn gemeinsam in einem Kinosaal erlebst. Horrorfilme sind einfach eine tolle gemeinschaftliche Erfahrung.

Letzte Frage: Gibt es schon weitere Projekte, über die du reden kannst?

Im Moment noch nicht. Aber ich will auch weiterhin in die Richtung Low-Budget-Genrefilme gehen, weil ich denke, dass es da einen wirklichen Markt gibt. Wir haben ganz viele positive Reaktionen von Leuten, die sich freuen, dass in Deutschland mal jemand so etwas macht. Das will ich dann einfach noch vorantreiben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Thomas Sieben wurde 1976 in Köln geboren. Nach seinem Abitur studierte er am Massachusetts College of Art and Design in Boston Film und Fotografie. Sein erster Spielfilm Distanz  eröffnete auf der Berlinale 2009 die Sektion Perspektive Deutsches Kino und lief weltweit auf über 25 Festivals. Zwei Jahre später folgte Staudamm (2011). Danach drehte er Kidnapping Stella (2019) und Prey (2021), die jeweils auf Netflix liefen.



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