John Carney bei der Premiere von "Flora and Son" während des Toronto International Film Festivals 2023 (© Eric Charbonneau)

John Carney [Interview]

Flora and Son erzählt die Geschichte der alleinerziehenden Mutter Flora (Eve Hewson), die ihrem Sohn Max (Orén Kinlan) eine Gitarre schenken möchte. Als der jedoch nur wenig Interesse daran zeigt, beschließt sie, selbst das Spielen zu lernen. Und so nimmt sie online bei dem gescheiterten Sänger Jeff (Joseph Gordon-Levitt) Unterricht. Wir haben uns zum Start der musikalischen Tragikomödie auf Apple TV+ am 29. September 2023 mit Regisseur und Drehbuchautor John Carney unterhalten. Im Interview sprechen wir über seine Vorliebe für Musikfilme, Erwartungen und schwierige Balancen.

Könntest du uns etwas über die Entwicklung von Flora and Son verraten? Wie bist du auf die Idee gekommen?

Es fing damit an, dass Leute in meiner Straße ihr Haus entrümpelt haben, als sie es renovieren wollten. So etwas zieht mich immer magisch an. Es war auch sehr spannend, was die da hatten, ganz viel Elektronik und Kabel und alte Bücher. Wenn ich in der Lotterie gewinnen würde, würde ich mich bei sowas immer richtig eindecken. Da ist schon eine Art Tramp in mir, der immer alles recyceln will. Am Ende nahm ich einen Verstärker mit nach Hause. Und während ich dabei war, das alles umzustöpseln, kam mir die Idee, dass das der Anfang einer Geschichte sein könnte. Wie der Müll eines Menschen für jemand anderen sehr wertvoll sein kann und etwas Neues daraus entsteht. Das war der Ausgangspunkt. Für die Geschichte wollte ich aber keinen Verstärker nehmen, weil das als Bild nicht so viel auslöst. Eine Gitarre jedoch, die aus dem Müll herausschaut und darauf wartet, gerettet zu werden? Das war schon etwas. Danach musste ich überlegen, wer die Gitarre herausfischt und aus welchem Grund. Stück für Stück habe ich das wie ein Puzzle zusammengebaut.

Du hast vor Flora and Son schon eine Reihe anderer Musikfilme gedreht. Warum ausgerechnet Musikfilme? Was interessiert dich so sehr daran?

Ich habe versucht, etwas anderes zu machen. Zuletzt habe ich die Serie Modern Love gedreht. Das war eine Tragikomödie. Da gibt es zwar eine Menge Lieder, aber es war kein Musikfilm. Als Filmemacher ist es aber schon so, dass du dir etwas suchen musst, in den du gut bist und wofür du bekannt bist. Das heißt nicht, dass ich jetzt immer etwas über Musik machen muss. Vielleicht ändert sich das auch wieder. Aber im Moment ist das einfach mein Thema und ich versuche, das immer wieder zu variieren und neu zu erzählen.

Bekannt wurdest du durch Once vor über 15 Jahren. Seither hat sich viel verändert, gerade auch im künstlerischen Bereich. Kunst wird anders produziert und anders konsumiert als damals. Inwieweit haben diese Veränderungen dich als Künstler verändert?

Gute Frage. Die richtig guten Geschichtenerzähler, ob jetzt in Filmen, Literatur oder Musik, müssen immer eine Balance finden. Auf der einen Seite müssen sie dem Zeitgeist folgen und dürfen die Veränderungen nicht ignorieren, egal ob inhaltlich oder technologisch. Gleichzeitig dürfen sie sich nicht davon abhängig machen, sondern müssen den klassischen Regeln des Geschichtenerzählens folgen. Denn vieles bleibt ja auch gleich. Irgendwann kommst du damit sicher an deine Grenzen. Irgendwann werde ich selbst keine Ahnung mehr haben, wie junge Leute reden und meinen Kindern ganz peinlich sein. Im Moment versuche ich aber noch, ihnen zuzuhören und so zu erzählen, dass sie mir zuhören.

Du kommst selbst aus dem Musik-Bereich und hast auch für Flora and Son die Musik geschrieben. Ist es für dich leichter, dich durch Musik oder einen Film auszudrücken?

Ich würde sagen Film. Ich weiß nicht, ob Musik allein wirklich ausreichen würde. Bei meinem Film habe ich Regie geführt, das Drehbuch geschrieben, die Geschichte entwickelt und eben auch Musik komponiert. Da steckt also schon sehr viel von mir drin. Vielleicht sogar zu viel für manche Leute. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage wäre, all das nur durch Musik oder Lieder auszudrücken.

Flora and Son Apple TV+ Streamen online
Ein musikalisches Paar: In „Flora and Son“ nimmt die alleinerziehende Mutter Flora (Eve Hewson) beim Musiker Jeff (Joseph Gordon-Levitt) Online-Gitarrenunterricht. (© Apple TV+)

Wir haben von der Balance gesprochen, dich der Zeit anzupassen und dir selbst treu zu bleiben. Eine andere Balance, die damit zusammenhängt, ist die zwischen dir und dem Publikum. Schließlich willst du, dass jemand dein Buch liest, deinen Film schaut usw. Du musst also etwas machen, das andere interessiert. In Flora and Son sprichst du das Thema auch an, wenn es um die Erwartungen an die Lieder geht. Wie sieht es bei dir aus? Denkst du darüber nach?

Ich bin schon jemand, der sich ziemlich bewusst ist, dass da draußen Menschen angesprochen werden müssen. Das will ich auch. Ich will, dass meine Sachen anderen gefallen. Gleichzeitig will ich aber auch überraschen und vielleicht Erwartungen trotzen. Was mir wichtig ist: Meine Filme sollen als gemeinsames Erlebnis funktionieren können. Ich bin ein großer Anhänger davon, dass man sich Filme zusammen anschaut in einem Raum. Gerade bei Musikfilmen ist es etwas anderes, ob du das als Teil einer Gruppe siehst oder für dich allein. Darauf achte ich immer.

Im Flora and Son ist es so, dass die Protagonistin eben nicht im selben Raum ist wie ihr Musiklehrer, sondern das alles online macht. Warum hast du dich für diese Form des Unterrichts entschieden?

Ich habe darüber nachgedacht, das anders zu machen. Aber ich hätte es wenig plausibel gefunden, wenn Flora einfach zu jemandem hingeht, an die Tür klopft und unterrichtet wird. In einem Musikgeschäft einen Zettel mit der Nummer eines Lehrers mitzunehmen, das schien mir zu altmodisch. Das Internet erlaubt es dir, etwas auszuprobieren, etwas anzuschauen und dann einfach zu gehen, wenn du keine Lust mehr hast. Du kannst im Internet sehr viel egoistischer und selbstbezogener sein als im wahren Leben. Am Anfang hatte ich die Befürchtung, dass diese Zoom-Situationen mich zu sehr einschränken würden, wenn die Figuren nicht im selben Raum sind. Tatsächlich war ich dadurch aber freier, weil die beiden auf eine Weise miteinander reden können, wie es von Angesicht zu Angesicht nicht möglich wäre. Die Art und Weise, wie Flora Jeff beleidigt und zu einem Objekt reduziert, ich glaube nicht, dass sie das gekonnt hätte, wenn sie ihm wirklich gegenüber gesessen hätte.

Macht uns das Internet damit ehrlicher?

Ja, vielleicht. Aber ich weiß es nicht genau. Für mich ist die Vorstellung auf jeden Fall seltsam, dass da ein Bildschirm zwischen zwei Menschen ist.

Inwieweit war das mit Zoom durch die letzten Jahre geprägt, wo wir vieles wegen Corona nur noch online machen konnten?

Oh, es war definitiv davon geprägt. Ich wollte dieses Gefühl wiedergeben. Gleichzeitig war es für mich eine schöne Herausforderung, eine Geschichte über zwei Menschen zu erzählen, die sich kennenlernen, ohne sich je zu begegnen.

Macht es denn einen Unterschied, ob man Musik im selben Raum oder online lernt?

Am Anfang vermutlich nicht. Flora lernt im Film wirklich nur die Basissachen beim Gitarrespielen. Du kannst schon sehr viel lernen, wenn du dir irgendwelche YouTube-Videos anschaust. Ob du dort siehst, wie manche Griffe gehen, oder sie dir jemand direkt Zeit, macht keinen großen Unterschied. Ich mag auch die Idee, dass jeder Zugriff auf dieses Wissen hat und du dir selbst etwas beibringen kannst.

Im Film wird auch über Sinn und Zweck von Musik diskutiert. Worin liegt deiner Meinung nach der Sinn von Musik?

Das hat sich im Laufe der Zeit schon geändert. Ich habe das Gefühl, dass Musik heute nur ein Teil der Atmosphäre ist. Etwas, das im Hintergrund läuft. Egal wohin du gehst, immer läuft Musik, keine Anzeige kommt ohne aus. Das ist mir schon zu viel, weil es für mich die Magie des Zuhörens zerstört. Du hörst einfach nicht mehr bewusst zu. Musik sollte für mich etwas sein, das zu besonderen Zwecken gespielt wird. Das als Kontrast zur Stille zum Einsatz kommt. Du bist auf Konzerte gegangen oder hast Musik in der Kirche gehört und dich darauf konzentriert. Wenn du aber ständig Musik hörst, dann wird das beliebig.

Wie bist du eigentlich zur Musik gekommen?

Ich wurde da sehr von meiner Familie geprägt. Meine Mutter war musikalisch. Mein Bruder und meine Schwester haben immer Musik gehört. Mein älterer Bruder hatte auch eine Gitarre, die ich nicht spielen durfte, weshalb ich sie immer heimlich genommen habe. Unser Klavier war auch abgeschlossen, wodurch Musik immer etwas Heiliges war. Vermutlich sollte ich das bei meinen Kindern auch so machen.

Kommen wir noch zum Casting. Wie bist du zu deinem Ensemble gekommen? Was hattest du gesucht?

Ich bin da immer ganz offen und lasse das auf mich zukommen. Oft merke ich erst beim Casting, wer der oder die Richtige ist, da sich eine Figur auch sehr verändern kann durch die Person, die sie spielt. Bei Eve wusste ich sofort, dass sie perfekt ist, als ich sie gesehen habe. Sie brachte den Humor mit und hatte auch keine Angst davor, sich irgendwie lächerlich zu machen. Joseph kannte ich vorher schon und mochte ihn immer. Da er auch selbst Regie führt, konnte er die Geschichte aus meiner Perspektive sehen. Das war sehr hilfreich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
John Carney wurde 1972 in Dublin, Irland geboren. Seine künstlerische Karriere begann als Bassist der irischen Rockband The Frames, für die er auch Musikvideos drehte. Parallel fing er an, erste Kurzfilme zu drehen. Sein Durchbruch gelang ihm 2007 mit dem Musikdrama Once. Auch bei Can A Song Save Your Life? (2013) und Sing Street (2016) blieb er dem Thema Musik treu.



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