70 on vain numero 70 ist auch nur eine Zahl
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70 ist auch nur eine Zahl

70 on vain numero 70 ist auch nur eine Zahl
„70 ist auch nur eine Zahl“ // Deutschland-Start: 24. August 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Seija Kuula (Hannele Lauri) ist ein Schlagerstar. Ihr ganzes Leben lang kannte sie nichts anderes als Bühne, Plattenstudio und den Medienzirkus. Für eine längere Beziehung hat es nie gereicht, von Kindern ganz zu schweigen. Dass sie bald 70 wird, davon will sie nichts wissen. Ihr Manager Klaus (Juha Torvinen) aber schon. Der möchte Seija neue Songschreiber und ein Album verpassen, in dem es um die Nöte des Altwerdens geht, so ähnlich wie die jungen Hüpfer ihre Identitätsprobleme in die sozialen Medien hinausposaunen. Von solcher Nabelschau hält die Lady im Glitzerkleid, die von ihren Fans als Göttin verehrt wird, rein gar nichts. Warum sollte sie auch, wenn sie noch eine derartige Vitalität ausstrahlt, dass sich kurz darauf der 40-Jährige Gitarrist Lauri (Mikko Nousiainen) in sie verliebt. Das Problem ist nur: der junge Mann will unbedingt ein Kind. Und so beginnt eine turbulente Komödie über Leihmütter, Eifersucht und eine Liebe, die keine Altersgrenzen kennt.

Bühne versus Rollstuhl

Nach dem Auftritt: Die Fans stehen am Hinterausgang Schlange. Darunter auch ein Mann, der mit seiner an den Rollstuhl gefesselten Mutter gekommen ist. Die alte Frau hat Geburtstag und wünscht sich nichts sehnlicher als ein Selfie mit dem Star. Seija gratuliert und fragt beiläufig nach dem Alter der Frau. Die Antwort ist ein Schock: 70, nur wenige Monate älter als das Schlageridol. Sekundenschnell gefriert Seijas freundliches Lächeln. So alt ist sie also schon. Sie wendet den Kopf ab und flieht vor der unangenehmen Lage. Damit ist der tragikomische Horizont umrissen: Ja, es ist komisch, wenn jemand seine Lebensjahre derart verdrängt, auch wenn er durch seinen Beruf zu ewiger Jugend geradezu verdonnert ist. Und nein, es ist auch keine Lösung, nun die ganze Energie, die noch in einem steckt, sausen zu lassen, nur weil die Uhr erbarmungslos tickt.

Die finnische Regisseurin Johanna Vuoksenmaa, die auch das Drehbuch geschrieben hat, zeichnet ihre Heldin weder als Opfer der Unterhaltungsindustrie noch als Witzfigur. Und das ist gut so. Dank des nuancierten Spiels der in Finnland berühmten TV-, Kino- und Theaterdarstellerin Hannele Lauri gewinnt die alternde Schlagerdiva im Lauf der Handlung Identifikationspotential, gerade auch wegen ihrer offensichtlichen Fehler, ihrer Eitelkeit und geradezu suchtartigen Besessenheit vom Rampenlicht. Ihre Glitzerroben mag man genauso peinlich finden wie die Anmache von jedem einigermaßen gut aussehenden männlichen Wesen. Aber die Schauspielerin lässt dabei dezent hinter die Fassade blicken. Da sieht es weniger glamourös aus.

Altwerden ist nicht lustig. Umso lieber lacht man darüber, wenn es jemanden anderen trifft, in diesem Fall eine Figur auf der Leinwand, die erst mit 70 entdeckt, was ihr in ihrem Leben eigentlich fehlt. Aber Vuoksenmaa verrät ihre Hauptfigur nicht, sondern sucht nach den Potenzialen, die in ihr stecken. Die liegen beileibe nicht nur in ihrer bewundernswerten Lebendigkeit, sondern auch in ihrer Fähigkeit zu Selbstkritik und Aussöhnung. Dadurch wechseln klamaukige Szenen – der ganze Irrsinn mit der Leihmutter – mit nachdenklichen. Boulevardesker Humor paart sich mit leiseren, sensibleren Tönen. Nicht selten geht es zu wie im Schlager, übertrieben kitschig und doch einen Akkord treffend, der in vielen Menschen nachhallt. Und es kann durchaus sein, dass man noch mehr Unterhaltsames entdeckt, wenn man mit der finnischen Popkultur vertraut ist. So verrät zum Beispiel Wikipedia, dass Paula Vesala, die zu Beginn ein Duett mit Seija singt und sich selbst spielt, keine unbekannte Größe in der dortigen Popkultur ist.

Ist 70 das neue 30?

Nicht so glaubwürdig wie die Charakterzeichnung ist allerdings das äußere Handlungsgerüst. Da gibt es ein paar arg konstruierte „Zufälle“, die selbst die gewohnten genretypischen Freiheiten in Sachen Wahrscheinlichkeit übertreffen. Etwa wenn Mirre (Marja Packalén), die Mutter des jungen Lovers, ausgerechnet die einst beste Jugendfreundin von Seija ist. Aber ansonsten weiß der Film, wie man mit lustigen Details in Ausstattung, Kostümen und Frisuren glänzt. Und vor allem helfen pfiffige Dialoge über Holprigkeiten und teils vorhersehbare Wendungen hinweg. „70 ist das neue 60“, sagt der Manager einmal zu Seija. Die kontert: Sie habe gehört 70 sei das neue 50. Und ist 50 nicht das neue 30? Messerscharfer Schluss: Also ist 70 das neue 30. So souverän führt die lebensbejahende Komödie die Debatten ums Älterwerden ad absurdum. Es gibt eben keine richtige Einstellung dazu, außer man lebt sie.

Credits

OT: „70 on vain numero“
Land: Finnland
Jahr 2022
Regie: Johanna Vuoksenmaa
Drehbuch: Johanna Vuoksenmaa
Musik: Kerkko Koskinen
Kamera: Heikki Färm
Besetzung: Hannele Lauri, Mikko Nousianinen, Marja Packalen, Mis Palander

Bilder

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70 ist auch nur eine Zahl
fazit
„70 ist auch nur eine Zahl“ erzählt von einer Schlagersängerin, die auch im Seniorenalter ewig jung bleiben will. Die Tragikomödie schwächelt in der Handlungskonstruktion, überzeugt aber durch liebenswerte Charaktere und witzige Details.
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