Memory Box
© Haut et Court / Abbout Productions / Micro_Scope

Memory Box

Memory Box
„Memory Box“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Mitten in den Vorbereitungen für das große Weihnachtsessen der Familie bringt ein Paket Unruhe in die ohnehin schon angespannte Beziehung zwischen Maia (Rim Turki) und ihrer jugendlichen Tochter Alex (Paloma Vauthier). Noch während sie mit ihrer Großmutter Téta (Clémence Sabbagh) die Füllung für die Weinblätter zubereitet, klingelt ein Paketbote an der Haustür des Hauses in Montreal mit einem großen Paket, dessen Absenderadresse besonders Téta in große Aufregung bringt und sie beschließt, es im Keller des Hauses aufzubewahren, wo es ihre Tochter hoffentlich nie findet. Alex jedoch ist neugierig geworden, denn das Paket kommt aus Beirut und könnte etwas enthalten, was die Vergangenheit ihrer Mutter etwas aufhellt, über die sich Maia in Schweigen hüllt. Tatsächlich finden sich in dem Paket eine ganze Reihe von Dokumenten, von Kassetten bis hin zu allerlei Notizbüchern und Briefen, doch ebenso die Tagebücher ihrer Mutter, die sie schrieb, als sie noch so alt war wie Alex jetzt.

Immer mehr wird die Lektüre der Dokumente zu einer Obsession der jungen Frau, die nicht nur eine ganz neue Seite ihrer Mutter kennenlernt, sondern zugleich einen Teil ihrer Familie, von dem sie bislang noch gar nichts wusste, ebenso wenig wie über die Wahrheit um den Tod ihres Großvaters oder die erste Liebe ihrer Mutter, einen jungen Mann, der sich im Libanonkrieg auf die Seite einer Bürgerwehr schlug. Nicht nur die Liebesgeschichte mit Raja (Hassan Akil) fasziniert Alex, die selbst gerade unter Liebeskummer leidet, sondern auch der Freundeskreis der jungen Maia (Manal Issa), die ihre Jugend genießt zwischen erster Liebe, durchtanzten Nächten und der Musik der 80er Jahre.

Autor der eigenen Erinnerungen

Die Idee einer „Erinnerungsbox“, wie sie im Zentrum von Memory Box steht, ist Drehbuchautorin und Regisseurin Joana Hadjithomas sehr vertraut und basiert auf ihrer eigenen Biografie, denn während des Libanonkrieges blieb sie Beirut, während sie über sechs Jahre hinweg durch Briefe, Kassetten und Notizbücher mit ihrer besten Freundin in Kontakt blieb, die ins Ausland fliehen konnte. In dem Film, der bereits 2021 auf der Berlinale lief und jetzt im Rahmen des Programms des ALFILM 2022 gezeigt wird, geht es um die Wiederbegegnung mit diesem Ich, welches man in diesen Erinnerungen vorfindet und inwiefern man Autor dieser Vergangenheit wird, die sich nicht zuletzt durch das Ausblenden gewisser Erinnerungen definiert.

In Interviews zu ihrem gemeinsamen Film, fällt Hadjithomas und Khalil Joreige zudem auf, dass die Erinnerungen, von denen sie letztlich berichtete, ganz andere waren als die, von denen sie beispielsweise in jenen Dokumenten schrieb, die dann ihre Freundin empfing. Dieser Prozess des Ausblendens, der in gewisser Weise auch eine Form des Selbstschutzes ist, steht im Kern von Memory Box und dient schließlich auch als Basis für die Darstellung Rim Turkis, welche die Konfrontation mit dem jugendlichen Ich vermeiden will. Das Verschweigen dieses Teils ihrer Biografie hinterlässt jedoch eine Kluft, die ihrer Tochter um jeden Preis überwinden will, was zu einem tiefgehenden, emotionalen Konflikt zwischen den beiden Figuren führt. Sinnbildlich für diesen Prozess des Wieder-Entdeckens der eigenen Geschichte und des Ausfüllens bestimmte Leerstellen in der eigenen Erinnerungen steht die ästhetische Herangehensweise der Regisseure, die mit entsprechenden digitalen Effekten oder Überblendungen diesen Vorgang visualisieren. Immer mehr wird deutlich, welchen Einfluss diese Vergangenheit und deren nicht stattgefundene Überwindung, auf die Protagonisten hat und wie das neue Narrativ, was einherging mit der neuen Identität in einer neuen Kultur, immer mehr zu entgleiten droht.

Die Möglichkeit einer Versöhnung

Zugleich jedoch dient die Geschichte um eine Mutter-Tochter-Beziehung als die Möglichkeit einer Versöhnung der Generationen. Der Blick in die Vergangenheit zeigt die tiefen Wunden des Krieges, die Verluste von Menschen wie auch das Auflösen von Idealen, mit welchen man sich emotional über Wasser halten konnte. In diesem Teil des Filmes ist insbesondere Manal Issa zu erwähnen, die als jugendliche Maia nicht nur wie Alex widerspiegelt in ihrer Neugier und ihrer Lust am Leben, sondern ebenso ihrer Trauer und ihren Protest über eine Zeit, die ihr diese Aspekte des Jungseins immer mehr verwehrt. Die Obsession dies alles festzuhalten, ob als Fotografie oder als Brief oder eben in jenen Tagebüchern, steht für diese Aspekte dieses Charakters, mit dem man als Zuschauer am meisten mitleidet und -fühlt.

In diesem Zusammenhang ist der Drang nach einer Versöhnung zwar durchaus verständlich, wirkt aber in dem Finale des Filmes eher wie eine etwas unnötige Fußnote. Das schmälert den bis dahin positiven Gesamteindruck von Memory Box, der gerade in diesen letzten Momenten etwas sehr konventionell zu werden droht und sich in melodramatische Gefilde verabschiedet.

Credits

OT: „Memory Box“
Land: Frankreich, Libanon, Katar, Kanada
Jahr: 2021
Regie: Joana Hadjithomas, Khalil Joreige
Drehbuch: Gaëlle Macé, Joana Hadjithomas, Khalil Joreige
Musik: Radwan Ghazi Moumneh, Charbel Harber
Kamera: Josée Deshales
Besetzung: Rim Turki, Manal Issa, Paloma Vauthier, Clémence Sabbagh, Hassan Akil

Trailer

Filmfeste

Berlinale 2021
ALFILM 2022

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Memory Box
Fazit
„Memory Box“ ist ein Drama um Erinnerung, das Ausblenden und das Wieder-Entdecken der eigenen Biografie. Joana Hadjithomas und Khalil Joreige gelingt ein Film, der sich besonders durch seine Darsteller und seinen kreativen visuellen Ansatz auszeichnet, aber im letzten Drittel etwas arg konventionell wird.
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