Encanto Disney
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Inhalt / Kritik

Encanto
„Encanto“ // Deutschland-Start: 24. November 2021 (Kino) // 24. Dezember 2021 (Disney+) // 10. Februar 2022 (DVD/Blu-ray)

Die Geschichte des kleinen kolumbianischen Bergdorfes ist eng mit der von Familie Madrigal verknüpft. Nicht nur dass alle in dem magischen Mehrgenerationenhaus ein und ausgehen. Die Familienmitglieder verfügen zudem über besondere Fähigkeiten, die sie für das Allgemeinwohl einsetzen. So kann Julieta andere Menschen heilen, Luisa hat übermenschliche körperliche Kräfte, Isabela lässt überall Blumen wachsen. Nur Mirabel ging bei der Vergabe der Fähigkeiten leer aus, ist die einzige der Madrigals, die ganz ohne Besonderheit auskommen muss. Das macht sie mit einem besonders großen Einsatz wieder wett oder versucht es zumindest, auch wenn ihre Großmutter, die Matriarchin der Familie, sie kaum wahrnimmt. Das ändert sich erst, als Mirabel bei einer großen Feier Risse in dem Haus zu sehen glaubt und damit für jede Menge Unruhe sorgt …

Die Disney-Erfolgsformel mal anders

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Encanto letztendlich nur die Variation der Formel ist, welche die Animationsstudios von Disney in den letzten Jahren erfolgreich angewendet haben. Ob nun Vaiana, Die Eiskönigin II oder Raya und der letzte Drache: Immer ging es darum, dass eine junge Protagonistin zu einem großen Abenteuer in einer magischen Welt aufbricht und diese irgendwie retten muss. Die Prinzessin von heute wartet nicht mehr darauf, dass ein strahlender Prinz kommt und alles für sie richtet. Das macht sie schon selbst. Dazu wird dann oft ausgiebig gesungen, um auf diese Weise noch für ein bisschen mehr Schwung, alternativ mehr Gefühl zu sorgen. Disney entdeckte seine Musical-Wurzeln wieder. Ob aus Nostalgie oder in dem Wissen, dass Soundtracks richtig viel Kohle einbringen können, sei mal dahingestellt.

Das Formelhafte wird aber schon bald durch diverse Faktoren überdeckt. Da wäre zum einen der große Charme des Films, verbunden mit der puren Lebensfreude in der Familie Madrigal. Wenn das Haus zum Leben erwacht, jeder in einer Mischung aus Chaos und perfekter Choreografie herumwirbelt, dann lässt man sich davon schon ganz gerne anstecken. Zwar sind die Lieder von dem allgegenwärtigen Musical-Star Lin-Manuel Miranda (Tick, Tick… Boom!) ein bisschen austauschbar. Aber man kann sich mit Encanto schon ganz gut die Zeit vertreiben. Das Tempo ist hoch, die Figuren überdreht, die wie immer makellose Disney-Optik ist knallbunt und voller Details. Und auch das südamerikanische Lebensgefühl ist dazu geeignet, dem Publikum ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.

Ein großes Abenteuer im Kleinen

Eine Sache, die aber bald auffällt: Das Regieduo Jared Bush und Byron Howard, das zuvor schon bei Zoomania zusammengearbeitet hat, erzählt Encanto eben nicht die Geschichte eines großen Abenteuers, bei dem die Welt gerettet werden muss. Es ist die Geschichte einer Familie. Wenn diese ihre Magie zu verlieren droht, dann ist das für sie natürlich katastrophal, da in ihrem Selbstverständnis die besondere Fähigkeit an erster Stelle steht. Sie identifizieren sich völlig mit dieser Gabe. Für das umliegende Dorf, das ganz gerne auf diese Fähigkeiten zurückgreift, wäre der Verlust zumindest bedauerlich. Ansonsten bliebe das aber ohne echte Konsequenz. Ob die Madrigals die Gefahr meistern oder nicht, ist sehr viel weniger wichtig, als man es aus den meisten Animationsfilmen aus diesem Segmentgewohnt ist. Dem Rest der Welt kann es mehr oder weniger egal sein, was hier passiert.

Damit verbunden ist auch eine inhaltliche Neuorientierung. Encanto verzichtet auf wirkliche Antagonisten, gegen die unsere Heldin antreten muss. Stattdessen erzählt der Film in erster Linie von einer Familie und den Verhältnissen untereinander. Die stellen sich mit der Zeit als komplexer heraus, als man anfangs meinen wollte. Die Risse, welche Maribel zu sehen glaubt, stehen stellvertretend für die Risse innerhalb der Familie, die keiner sehen will. Das ist als Symbol nicht übermäßig komplex, da wird schon sehr explizit erklärt, worum es geht. An anderen Stellen weist das Drehbuch hingegen bedauerliche Lücken auf. Gerade die Vorgeschichte der Familie wird schnell abgehandelt, gleiches gilt für die Auflösung. Das hätte mehr Raum gebraucht, der durch die ausufernden, nicht immer mitreißenden Musical-Nummern belegt wurde.

Zwischen Fantasie und Familienalltag

Dennoch ist auch der 60. Film innerhalb der Reihe „echter“ Disney-Animationsfilme sehenswert. Die Aussage von Encanto, der sich um familiären Zusammenhalt und Akzeptanz dreht, ist immer wieder schön und wichtig. Dass der Film ausgerechnet an Weihnachten bei Disney+ landet nach dem eher enttäuschenden Kinoergebnis, ist da schon passend. Bush und Howard erinnern daran, dass man nie aufhören sollte genau hinzusehen und hinzuhören, auch dann wenn man auf engem Raum zusammen ist – vielleicht sogar besonders dann. Nichts sollte selbstverständlich sein, jeder ist auf seine Weise etwas Besonderes: Es ist nichts Neues, was hier erzählt wird. Selten aber wurde das in einem derart fantasievollen und bezaubernden Rahmen getan wie hier. Wie bei den klassischen Vorgängern der viele Jahrzehnte umspannenden Reihe darf sich hier die ganze Familie vor dem Bildschirm einfinden und etwas für sich mitnehmen.

Credits

OT: „Encanto“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Jared Bush, Byron Howard
Drehbuch: Charise Castro Smith, Jared Bush
Musik: Germaine Franco, Lin-Manuel Miranda
Animation: Disney Animation Studios

Bilder

Trailer

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„Encanto“ nimmt uns mit zu einer Familie, in der (fast) alle magische Fähigkeiten haben, die ansonsten aber mit denselben Problemen zu kämpfen haben wie normale Familien. Manches wird hier nicht ausführlich genug erzählt, diverse austauschbare Lieder nehmen zu viel Platz ein. Dennoch ist Disney ein schöner Animationsfilm geglückt, der das große Abenteuer gegen eine intimere Geschichte eintauscht und uns daran erinnert, wie wichtig es ist genauer hinzuschauen und hinzuhören.
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