One Cut in the Life

Inhalt / Kritik

Es hätte ein Tag wie jeder andere an der Universität sein können, doch die Studentin Yuka (Rio Kanno) findet sich schon bald in einem wahren Albtraum wieder. Zwei Amokläufer haben eine Spur der Gewalt hinter sich hergezogen und mehrere Studenten auf dem Gewissen, darunter auch ihre Freundin Mai, die vor Yukas Augen auf grausame Weise sterben musste. Auch sie und den zu Hilfe kommenden Rintaro (Yuto Kobayashi) scheint ein ähnliches Schicksal zu erwarten, als ein unaufmerksamer Moment der Schützen dem Studenten die Gelegenheit gibt, diese zu überwältigen, nicht ohne aber noch vorher mit gezückter Waffe gezwungen worden zu sein, Yukas Gesicht mit einer tiefen Wunde zu verunstalten.

Ein Jahr später ziert eine Narbe das Gesicht Yukas, die deswegen auf ihrer Arbeitsstelle, einem Kindergarten, von den Kindern wie auch deren Eltern gemieden wird. Eine Operation kommt für sie nicht infrage, da sie die Erinnerung an jenen schicksalhaften Tag nicht vergessen will, obwohl ihr Leben sehr viel leichter wäre, wenn sie sich, wie es ihr Kolleginnen ihr immer wieder raten, operieren lassen würde. Parallel dazu hat Rintaro einen Job als Sozialarbeiter begonnen, der er mit großem Engagement beginnt, wobei die vielen Fälle von Missbrauch und Vernachlässigung ihn immer mehr frustrieren. Während Yuka durch Zufall einem alten Studienkollegen begegnet, der sie auf eine Party mit seinen Kollegen einlädt, erhalten sowohl sie auch wie Rintaro Besuch von einem Journalisten, dem Bruder Mais, der ein Buch über den Amoklauf vor einem Jahr und dessen Hintergründe schreiben will. Schließlich begegnen sich Yuka und Rintaro wieder, als sie sich eines Jungen annehmen, dessen Vater ihn schlägt und misshandelt.

Eine ewige Erinnerung

Als Regieassistent bei Produktionen wie Shin Godzilla durfte Regisseur Shintaro Hocchi erster Erfahrungen sammeln, bevor er sich mit seinem Regiedebüt One Cut in the Life gleich einige sehr kontroverse Themen vornahm. Der Film, der seine internationale Premiere auf dem diesjährigen Japan-Filmfest Hamburg feiert, befasst sich mit der alltäglichen Gewalt und welche Narben, sichtbare und unsichtbare, bei den Betroffenen hinterlässt. Dabei geht er auf Themen wie Ohnmacht und Trauma ebenso ein wie den Konsum von Gewalt, insbesondere über soziale Medien, wobei nicht jeder Komplex in der Bandbreite behandelt wird, die ihm zusteht.

Ähnlich wie Gus Van Sant in Elephant bedient sich Hocchi eines sehr realistischen Ansatzes, wenn es um das Thema Gewalt geht, wobei er seinen Zuschauer ohne Umschweife und Vorwarnung mit dieser konfrontiert. Gleich zu Anfang findet man sich wie die Figuren in der Universität wieder, genauer gesagt in der Mensa, wobei die Spuren des Amoklaufs unübersehbar sind und der Schrecken sowie die Angst Yuka wie auch ihrer Freundin deutlich im Gesicht anzusehen ist. Wie die Narbe in Yukas Gesicht bleiben auch diese Szenen, ihre Rohheit und Direktheit in der Erinnerung des Zuschauers haften, werden zu einer zentralen Erfahrung, die Hocchi nüchtern, fast schon etwas distanziert inszeniert. Die Erfahrung von Gewalt, als Täter oder als Beobachter, wird an den Anfang einer Ereigniskette gesetzt, die das Leben der beiden Protagonisten von nun an zeichnen wird.

Immer wieder kehrt Hocchi zu dieser Erfahrung zurück, wenn die Spuren von Gewalt oder Misshandlung für die Figuren unübersehbar werden. Während sich Yuka immer mehr verschließt und letztlich die Narbe als soziales Stigma ihre Aussonderung besiegelt, will sich Rintaro der Gewalt stellen, muss sich aber die eigene Ohnmacht eingestehen, ist er doch an Regeln und Formulare gebunden, sie seinen Handlungsspielraum einengen. Sowohl Rio Kanno wie auch Yuto Kobayashi geben eindrucksvolle Darstellungen traumatisierter Figuren, die versuchen weiterzumachen in einem System, welches keine Pause kennt und die Verwundeten entweder vergisst oder, wie im Falle von Yuka, wie Aussätzige behandelt.

Aus der Ferne betrachtet

Durch die Perspektive seiner Figuren verfolgt Hocchis Film, wie Gewalt zu einem Aspekt des Lebens geworden ist. Ob nun die Wunden des Jungen, der von seinem Vater regelmäßig geschlagen wird, oder die geschmacklosen Kommentare unter einem Video, welches das Opfer einer Mobbingattacke zeigt, die Formen von Gewalt sind vielfältig. Hocchi zeigt, wie diese niemals endet und ihre Opfer immer wieder verfolgt, doch zugleich wie unserer Gesellschaft immer empathieloser und dadurch brutaler wird, was den Kreislauf der Gewalt natürlich nur noch verstärkt.

Vieles davon deutet Hocchis Film nur an oder streift es nur, was bei einer Laufzeit von gerade einmal 77 Minuten nicht weiter überrascht. Mögen auch einige Aspekte etwas zu kurz kommen, besticht vor allem seine Herangehensweise, welche durch die Bilder von Kameramann Ryo Okamura noch betont wird und die ein wahrhaft eindringliches, teils schwer erträgliches Drama erzählt von den Überlebenden einer Gewalttat.

Credits

OT: „One Cut in the Life“
Land: Japan
Jahr: 2020
Regie: Shintaro Hocchi
Drehbuch: Shintaro Hocchi
Kamera: Ryo Okamura
Besetzung: Rio Kanno, Yuto Kobayashi

Trailer



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"One Cut in the Life" ist ein Drama über den Kreislauf der Gewalt in unserer Gesellschaft und seine vielfältigen Ausdrucksformen. Eindringlich erzählt und gespielt gehört Shintaro Hocchis Film zu den Highlights des diesjährigen Japan Filmfest Hamburg, auch wenn viele seiner Szenen schwer zu ertragen sind.
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