Shin Godzilla
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Shin Godzilla

(„Shin Gojira“ directed by Hideaki Anno, Shinji Higuchi, 2016)

Shin Godzilla
„Shin Godzilla“ läuft ab 3. Mai 2017 im Kino

Keiner kann sich so recht erklären, was da draußen vor der Bucht Tokios vor sich geht. Verlassene Jachten, rätselhafte Wellen, Überschwemmungen – ohne eine sichtbare Erklärung. Deputy Chief Cabinet Secretary Rando Yaguchi (Hiroki Hasegawa) entwickelt zwar schon früh die Theorie, dass eine unbekannte Lebensform dahinterstecken muss, wird aber im besten Fall belächelt, oft gleich ganz ignoriert. Bis auf einmal eine riesige Echse den Fluten entsteigt und die Wissenschaftler vor ein Rätsel stellt: Woher kommt diese? Wieso kann sie sich an Land fortbewegen? Und vor allem: Wie hält man dieses Vieh auf? Sämtliche Versuche schlagen fehl, zumal die Regierung auf seine solche Katastrophe völlig unvorbereitet war. Nun heißt es, zusammen mit der US-Sondergesandten Kayoko Ann Patterson (Satomi Ishihara) eine Lösung zu finden. Einen Hinweis könnten dabei die Unterlagen eines in Ungnade gefallenen Forschers liefern, der schon länger vor der Gefahr gewarnt hat.

Die klassischen Monster sind derzeit wieder groß im Kommen. Universal startet seine Reboot-Reihe diesen Sommer mit Die Mumie, bevor später unter anderem Frankensteins Monster, Dracula und der unsichtbare Mann zu neuen Ehren kommen. Legendary ist da schon ein bisschen weiter, stürmte kürzlich mit der King-Kong-Neuauflage Kong: Skull Island die Kinocharts, bevor es 2019 mit Godzilla: King of the Monsters weitergehen soll. Bis es so weit ist, haben aber die Japaner noch ein Wörtchen mitzureden und bringen selbst eine eigene Fassung der fernöstlichen Schreckensechse auf den Markt. Doch auch wenn der japanische Titel von einem „neuen“ Godzilla spricht, so ist der Actionstreifen in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil.

Das Monster aus der Effekthölle
Da wäre zum einen das Monster selbst. So sehr sind wir inzwischen die Big-Budget-Hollywood-Effekte gewohnt, dass einem hier die Augen vor Schreck aus dem Kopf springen wollen. Wo man beispielsweise bei King Kong praktisch jedes Haar einzeln zählen konnte, ist bei Godzilla alles deutlich gröber. Ob er unbeholfen durch die Stadt kriecht, Laserstrahlen abschießt oder einen mit seinen bewegungslosen Knopfaugen anschaut, das hat nichts mit der westlichen Auffassung eines Blockbusters zu tun. Die japanische Variante hat nicht einmal ein Zehntel der US-Version aus dem Jahr 2014 gekostet. Was man auch sieht.

Und doch macht dies eben auch den Charme von Shin Godzilla aus. Hier ist mal nicht alles auf Hochglanz poliert, die Echse hat gerade wegen ihrer Grobheit mehr von einer furchteinflößenden Urgewalt, als es die amerikanischen Reißbrettvarianten von sich behaupten können. Gerade zu Beginn, wenn eine Wackelkamera dem Film eine dokumentarische Anmutung verleiht, ist einem das Geschehen hier doch eine Spur näher, als die perfekt durchgestylte Variante aus den USA – inklusive der obligatorisch blendend aussehenden Hauptdarsteller.

Aber Godzilla war eben auch immer mehr als reine Popcorn-Unterhaltung, zumindest am Anfang. Als 1954 der erste von mittlerweile 31 Filmen um die radioaktiv verseuchte Riesenechse erschien, geschah dies auch, um das kollektive Trauma der Atombomben aufzuarbeiten, die neun Jahre zuvor auf Japan abgeworfen worden waren. Der Kampf gegen das Monster, es war auch der Kampf gegen eine todbringende Technologie, die bis heute das größte Schreckgespenst der Menschheit ist. Die Furcht vor einem Atomkrieg hielt die Menschheit schließlich über Jahrzehnte im Atem. Ist auch über 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wirklich weg.

Aufarbeitung alter wie neuer Traumata
In Shin Godzilla vermischt sich diese Vorgeschichte aber mit dem zweiten großen nationalen Nuklearunglück: der Katastrophe von Fukushima. Explizit wird zwar nicht darauf verwiesen, das prominente Regie-Duo Hideaki Anno (Neon Genesis Evangelion, Nadia und die Macht des Zaubersteins) und Shinji Higuchi (The Floating Castle – Festung der Samurai, Attack On Titan), lässt aber keinen Zweifel an ihrer Inspiration. So albern der an eine Puppe erinnernde Godzilla zwischendurch auch aussieht, die Massenpanik und die Hilflosigkeit der Regierung dürfte bei so manchem Japaner sehr unangenehme Erinnerungen geweckt haben. Anders als der Ur-Godzilla ist die Neu-Variante dann auch keine reine Abrechnung mit dem Westen – trotz diverser satirischer Spitzen –, sondern gleichzeitig eine mit den eigenen Politikern und deren Krisenmanagement. Daheim traf Shin Godzilla damit den Nerv des Publikums, wurde zu einem Blockbuster, räumte zudem bei den Asia Film Awards und beim Japanese Academy Prize einige Preise ab.

Im Westen wird das so sicher nicht funktionieren, dafür ist das Horrorwesen zu trashig, die Geschichte aufgrund der unzähligen Figuren auch etwas zu unübersichtlich für ein solches Genre. Aber auch wenn das hierzulande nur ein Nischenpublikum ansprechen wird, darf sich dieses doch darauf freuen, dass das monströse Trauma im Rahmen eines Kino-Events und diverser Filmfeste (Nippon Connection, JFFH) Tokio in Schutt und Asche legt. Denn die mit einer Mischung aus Humor und Horror präsentierte Kreatur ist eine respektvolle Verneigung vor der eigenen Geschichte. Und eine Erinnerung an das Grauen, das da manchmal draußen auf einen lauert.



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„Shin Godzilla“ ist eine visuelle und inhaltliche Verneigung vor einem der größten Monster der Filmgeschichte. Die billigen Effekte verschrecken das hollywoodverwöhnte Auge, machen gleichzeitig aber auch den trashigen und urgewaltigen Charme der traumatisierten und traumatisierenden Riesenechse aus.
7
von 10