Cherry Apple TV+
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Cherry

Inhalt / Kritik

Cherry Apple TV+
„Cherry“ // Deutschland-Start: 12. März 2021 (Apple TV+)

Eigentlich hatte Cherry (Tom Holland) schon die Liebe seines Lebens gefunden, so dachte er. Doch als Emily (Ciara Bravo) sich von ihm trennt, um woanders auf die Universität gehen zu können, bricht für ihn eine Welt zusammen. Um sein Leben wieder in den Griff zu kriegen und möglichst weit weg von allem zu kommen, tritt er kurz entschlossen der Armee bei. Eine Entscheidung, die er bald bereut: Als Emily daraufhin wieder zu ihm zurückkehrt, ist es bereits zu spät. Und so wird er in den Irak geschickt, wo er als Mediziner arbeiten soll und Zeuge eines verheerenden Zwischenfalls wird. Völlig traumatisiert von dieser Erfahrung verfällt er nach seiner Rückkehr in die USA den Drogen – was bald weitere Opfer nach sich zieht …

Ein schweres Erbe

Wer einen erfolgreichen Film dreht, dem stehen im Anschluss alle Türen offen, der muss jedoch gleichzeitig hohe Erwartungen erfüllen. Man durfte daher auf jeden Fall auf das neueste Werk von Anthony Russo und Joe Russo gespannt sein. Denn die beiden Brüder, die zusammen als Regieduo auftreten, haben mit Avengers: Endgame immerhin den derzeit erfolgreichsten Film aller Zeiten abgeliefert. Keiner hat an den Kinokassen mehr eingespielt. Ein vergleichbarer Erfolg wird den zweien mit Cherry natürlich kaum vergönnt sein. Zum einen weil es sich hierbei um einen Film für den Streamingdienst Apple TV+ handelt und entsprechend weniger Möglichkeiten in den Lichtspielhäusern hat. Aber auch der Film an sich ist deutlich anders.

So ist Cherry in erster Linie ein Drama um einen jungen Mann, der ein bemerkenswertes Talent dafür, immer wieder falsche Entscheidungen zu treffen. Nicht allein, dass er als Kurzschlussreaktion in den Krieg zieht, nur um seinen Liebeskummer vergessen zu können. Kurze Zeit später ist er bereits drogensüchtig, um den Krieg zu vergessen. Er schlägt zudem eine kriminelle Laufbahn ein, um seine Sucht weiter finanzieren zu können – was noch deutlich mehr Probleme mit sich bringt. Tatsächlich zeigen die Russos auf, basierend auf dem semi-autobiografischen Werk von Nico Walker, wie jemand einen Fehler nach dem anderen begeht und dabei zielstrebig immer weiter in den Abgrund hineinschlittert. Es gibt nicht einmal einen nennenswerten Versuch, dieses Unglück aufzuhalten, auch weil ein intaktes Umfeld fehlt.

Vernachlässigung mit System

Dabei ist Cherry nicht allein die Geschichte eines tragischen Einzelfalls. Vielmehr wird an mehreren Stellen deutlich, dass der Protagonist stellvertretend für diverse ganz grundsätzliche Problemfelder in den USA steht. Das eine betrifft den Drang, auf der ganzen Welt irgendwelche Kriege anzufangen, ohne sich dabei weder um die Menschen vor Ort, noch die eigenen Soldaten zu kümmern. So erhält Cherry nach seiner Rückkehr zwar eine Auszeichnung, wird ansonsten aber im Stich gelassen. Das andere Problemfeld betrifft die Drogenkrise der Vereinigten Staaten, welche niemand in den Griff bekommt. Der Film ist damit durchaus eine Anklage an ein System, welches die Menschen immer sich selbst überlässt und keine Versuche startet, ihnen wirklich zu helfen.

Daraus hätte man ein klassisches Sozialdrama machen können. Die Russo-Brüder hatten daran jedoch offensichtlich kein Interesse. Stattdessen wird bei ihnen ein eher wilder Mix aus Drama, Kriegsfilm und Krimi draus, wenn nach und nach die verschiedenen Stationen abgehandelt werden. Und als wäre das nicht schon genug, gibt es in Cherry immer wieder Elemente, welche die Comic-Herkunft der Regisseure deutlich machen und eine stärker humorvolle Richtung einschlagen. Dass so etwas am Ende nicht unbedingt aus einem Guss ist, das versteht sich von selbst. Vor allem wenn auch noch visuell etwas experimentiert wird, um den einzelnen Kapiteln im Leben des Protagonisten andere Bildsprachen zu geben. Da weiß man irgendwie nie, woran man nun ist.

Zu viel von allem

Das Gesamtergebnis ist deshalb auch irgendwie gemischt. So bleibt Cherry durchaus immer mal wieder mit starken Szenen in Erinnerung. Der Film gibt Tom Holland (Spider-Man: Homecoming, Die versunkene Stadt Z) zudem die Möglichkeit, sich als Schauspieler auch einmal von einer etwas anderen, erwachseneren Seite zu zeigen. Während der zu Beginn noch der aus anderen Filmen gewohnte typische Jugendliche ist, wechselt er danach in eine düstere, verzweifelte Richtung. Ein Mensch, der seiner Situation so gar nicht gewachsen ist. Am Ende ist das aber alles zu viel und auch zu lang: Die 140 Minuten wurden schon mit diversen Längen erkauft. Nicht nur in der Hinsicht wäre weniger mehr gewesen.

Credits

OT: „Cherry“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Anthony Russo, Joe Russo
Drehbuch: Angela Russo-Otstot, Jessica Goldberg
Vorlage: Nico Walker
Musik: Henry Jackman
Kamera: Newton Thomas Sigel
Besetzung: Tom Holland, Ciara Bravo, Jack Reynor, Michael Rispoli, Jeff Wahlberg

Bilder

Trailer

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In „Cherry“ leidet ein junger Mann erst an Liebeskummer, dann an einem Kriegstrauma, zum Schluss an einer Drogensucht. Der Film ist dabei einerseits schon ein gut gespieltes Porträt eines Absteigers, welches zugleich allgemeine Missstände in den USA anspricht. Andererseits ist er zu lang und unentschlossen, kombiniert verschiedenste Genres und Stimmungen, bis am Ende alles einfach zu viel ist.
6
von 10