Schloß des Schreckens

Schloss des Schreckens (1961)

(„The Inncocents“ directed by Jack Clayton, 1961)

Ausgehend von Henry James‘ Novelle „The Turn of the Screw“ handelt The Innocents von rätselhaften Begebenheiten im Dunstkreis zweier Kinder vor dem Hintergrund eines ländlich gelegenen Herrenhauses.

Die attraktive Pfarrerstochter Miss Giddens (Deborah Kerr) tritt als Gouvernante in den Dienst eines wohlhabenden Geschäftsmannes und wird mit der Erziehung seiner verwaisten Nichte Flora und ihres Bruders Miles betraut. Angekommen auf dem vornehmen Landgut in Bly, auf dem die Kinder leben, zeigt sich Miss Giddens entzückt von der Wohlerzogenheit der Geschwister, wenngleich sie sich über manche Verhaltensweisen Floras und Miles‘ wundert. Eines Tages erblickt die junge Gouvernante rätselhafte Erscheinungen – einen unbekannten Mann auf dem Turm des Anwesens, der plötzlich verschwindet, und eine in schwarz gekleidete Dame im Schilf – und ist zutiefst beunruhigt. Sie erfährt von der Hausdame, dass der ehemalige tyrannische Hausverwalter Quint und die vorherige Erzieherin der Geschwister, Miss Jessel, vor einiger Zeit ein unmoralisches Verhältnis miteinander eingegangen und daraufhin beide auf tragische Weise zu Tode gekommen seien. Miss Giddens befürchtet, dass die Geister der beiden Toten Besitz von den Kindern ergriffen haben…

Jack Clayton, der zu den Vertretern des britischen „Free Cinema“ gerechnet wird, gelang mit The Innocents ein atmosphärisch außerordentlich dichter, beklemmender Horrorfilm im Gewand der Schauerromantik. Freddie Francis‘ Kamera schwelgt in den geheimnisvollen Kulissen der englischen Parkanlage und dem gediegenen Interieur des Herrenhauses und liefert somit die optimale Grundlage für eine bizarre Geistergeschichte.

Den beiden Kinderschauspielern, Pamela Franklin und Martin Stephens, gelingen die Interpretationen ihrer schwierigen Parts außerordentlich gut, indem sie überzeugend die Gemütszustände der Kinder, die zwischen geheimnistuerischer Überlegenheit und Verletzbarkeit, Selbstsicherheit und Irritation changieren, darstellen.

Deborah Kerr spielt die vielschichtige Rolle der Protagonistin mit enormer Intensität: denn das Drehbuch aus der Feder keines Geringeren als Truman Capotes, das von einer psychoanalytischen Lesart der literarischen Vorlage geprägt ist, lässt offen [SPOILER ], inwiefern jene Geistererscheinungen der Einbildung Miss Giddens‘ entspringen; die Phantome tauchen nur in Anwesenheit der Erzieherin auf und bleiben den restlichen Angestellten verborgen. Clayton gelingt es, diese „Leerstelle“, d.h. die Frage nach Wahn und Wirklichkeit, bis zum tragischen Ende des Films beizubehalten [SPOILER ENDE].

Die unterdrückte Sexualität der aus einer puritanischen Pfarrersfamilie stammenden Protagonistin, die sich nur allzu gerne von dem frühreifen Charme des Knaben Miles verführen lässt, zeugt ebenfalls von einer psychologisierenden Interpretation der Novelle von Henry James. Charakteristisch hierfür ist etwa die Szene, in der Miss Giddens mit den Geschwistern „verstecken“ spielt und diese sucht, bis plötzlich Miles sie von hinten mit den Worten: „Jetzt bemächtige ich mich Ihrer!“, packt und fest umklammert hält. Anstatt sich gegen das ihr körperlich unterlegene Kind zu wehren, winselt Miss Giddens förmlich um Gnade, weshalb jene Szene nahezu an ein sexuelles Rollenspiel erinnert…

The Innocents beweist, dass Spannung und Grusel auch (oder erst recht!) ohne aufwendige beziehungsweise gar blutige Schock- Effekte entstehen kann, und profitiert außerdem von dem psychologisch versierten Drehbuch Capotes. Weiterhin antizipiert Claytons Werk gewissermaßen den knapp 20 Jahre später entstandenen Schocker The Shining von Stanley Kubrick, in dem ebenfalls unklar bleibt, inwiefern es die nach außen projizierten „eigenen Dämonen“ des Protagonisten sind, die ihn dazu anleiten, Böses zu tun…



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8
von 10