Crash
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Kritik

Crash
„Crash“ // Deutschland-Start: 31. Oktober 1996 (Kino) // 22. Mai 2020 (Mediabook)

Das Leben des jungen Filmproduzenten James Ballard (James Spader) wird wortwörtlich aus der Bahn geworfen, als er als Geisterfahrer einen schweren Autounfall verschuldet. Er selbst überlebt schwer verletzt, ebenso wie Dr. Helen Remington (Holly Hunter), die Beifahrerin des anderen Unfallwagens, deren Mann jedoch ums Leben kommt. Die beiden, dergestalt gewaltsam miteinander konfrontiert, kurieren ihre Blessuren im selben Krankenhaus aus und lernen sich dort kennen. Der Unfallverursacher ist zunächst von Schuldgefühlen geplagt, die jedoch bald einer neuartigen Faszination für und Sexualisierung von Autos bzw. Autounfällen weicht.

Freiheit und Gefangenschaft
Das Auto ist bis heute für viele ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit. Das gilt selbstverständlich hierzulande – man denke nur an die reflexartige Empörung bei der Diskussion um ein Tempolimit auf Autobahnen –, aber auch und insbesondere in Nordamerika. Das Auto symbolisiert hier einen autarken, vermeintlich sicheren privaten Raum sowie die Illusion von persönlicher Freiheit. Man höre sich nur einen beliebigen Song von Bruce Springsteen an, dessen Songtexte diesen Americana-Mythos immer wieder beschwören. Der kanadische Regisseur David Cronenberg setzt dieser mythisch verklärten Erzählung in Crash etwas entgegen. Der Film thematisiert das inhärente Gewaltpotenzial des Automobilverkehrs, welches sich derzeit in Form des autoritären SUV-Wahns wieder überlebensgroß manifestiert. Bei Cronenberg bedeutet Autofahren jedoch nicht Freiheit, sondern im Gegenteil Gefangenschaft, nicht zuletzt im Gefängnis der eigenen Triebe.

Glanz der Oberflächen
Direkt in der ersten Einstellung des Films wird die Fetischisierung von Autos extrem überzeichnet in Szene und mit der Objektifizierung von Frauen und deren Degradierung zum unbelebten Sexobjekt in Beziehung gesetzt. Der glänzende Lack des Fahrzeugs und die makellose Haut der zu diesem Zeitpunkt noch namenlosen weiblichen Figur erscheinen analog als pure Oberfläche. In gewisser Hinsicht ist diese Anfangssequenz schwerer zu ertragen als die expliziten – aber freilich zugleich hochstilisierten – Gewaltdarstellungen im weiteren Verlauf des Films. Die dargestellte Figur stellt sich kurz darauf als Catherine Ballard (Deborah Kara Unger) heraus, die Ehefrau des Protagonisten James Ballard – die gleichnamige Literaturvorlage für Crash stammt von James Graham Ballard; die Namensdopplung dürfte dabei kein Zufall sein. Die beiden führen eine augenscheinlich lieblose Ehe, die lediglich von gegenseitiger sexueller Anziehung zusammengehalten wird. Ballard selbst ist ein emotional ziemlich abgestumpfter Filmproduzent, was durchaus als Seitenhieb auf die Filmindustrie gewertet werden darf, auch wenn diese in Crash nur eine kleine Nebenrolle spielt.

Verhängnisvoller Zusammenstoß
Nach dem schweren Unfall zu Beginn des Films kann es Ballard kaum erwarten, wieder selbst zu fahren und schafft sich das gleiche Modell seines Unfallwagens noch einmal an – was wiederum die Ersetzbarkeit und Beliebigkeit der begehrten Objekte unterstreicht. Gemeinsam besuchen Ballard und Remington eine (illegale) Reinszenierung des berühmt-berüchtigten Unfalls, bei dem James Dean 1955 ums Leben kam. Auch hier schleicht sich wieder der Bezug auf das Filmgeschäft und dessen destruktive Begleiterscheinungen ein.

Gesellschaftskritik
Organisator dieser nicht ungefährlichen „Performances“ ist der undurchsichtige Bob Vaughan (Elias Koteas), der auch sonst seinen Fetischismus für Autounfälle systematisch kultiviert. Die beiden Rekonvaleszenten sind von ihm fasziniert und lassen sich von ihm in eine fremde Parallelwelt entführen. Vaughan selbst beschreibt die Crashs als „fertzilizing rather than destructive, mediating sexuality, a reshaping of the human body by technology.“ Diese Aussage lässt natürlich aufhorchen, ist Cronenbergs Filmschaffen doch beinahe Synonym mit dem Subgenre body horror. Filme wie Shivers (1975), The Fly (1986) oder auch Naked Lunch (1991) machten Cronenberg zum vielleicht bedeutendsten Vertreter des filmischen body horror; Crash weckt jedoch insbesondere Erinnerungen an seinen Film Videodrome aus dem Jahr 1983. Was dort am Beispiel von raubkopierten Snuff-Filmen artikuliert wird, findet seine Entsprechung in der Gesellschaftskritik von menschlicher Isolation und Entfremdung in Crash. In Videodrome mutieren die Figuren letztlich selbst zu Abspielgeräten für Gewaltpornos, in Crash wird die durch einen Unfall versehrte und verstümmelte Gabrielle (Rosanna Arquette) durch ihre Krücken und Prothesen quasi selbst halb zur Maschine.

Medienkritik
Doch Cronenbergs komplexer Film eröffnet noch eine weitere Dimension der Auseinandersetzung mit seinem Sujet: Objekt der Begierde sind nämlich nicht nur die Unfälle selbst, sondern ebenso deren mediale Repräsentationen. Die Fetischisten rezipieren exzessiv Fotografien und Videoaufnahmen von Verkehrsunfällen und fertigen diese auch selbst an. Die gewalttätige Bilderflut wird richtiggehend zur Sucht. Doch nicht nur die Parallele zu den Snuff-Filmen in Videodrome ist hier ganz offensichtlich. Die leblosen bzw. leblos spielenden Körper neben den demolierten Blechbergen erinnern unmittelbar an Jean-Luc Godards Week-end (1967); die fanatische Jagd der Figuren nach möglichst spektakulären Unfallbildern finden ihre zeitgenössische Entsprechung bzw. Aktualisierung in Dan Gilroys fantastischem Nightcrawler (2014). Die Medien sind hier, frei nach Marshall McLuhan, Verlängerungen des Körpers und eröffnen so eine ganz neue, psychische Ausprägung des body horror. „Some things hurt more, much more, than cars and girls“, sangen Prefab Sprout 1988 in Cars and Girls. Und auch wenn der Text ausdrücklich als Kritik am eindimensionalen Songwriting des eingangs erwähnten Bruce Springsteen gemeint ist: Nach Crash hört man die Zeilen garantiert mit anderen Ohren.

Credits

OT: „Crash“
Land: Kanada, UK
Jahr: 1996
Regie: David Cronenberg
Drehbuch: David Cronenberg
Vorlage: James Graham Ballard
Musik: Howard Shore
Kamera: Peter Suschitzky
Darsteller: James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas, Deborah Kara Unger, Rosanna Arquette

Bilder

Trailer

Filmfeste

Cannes 1996

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„Crash“ ist der vielleicht umstrittenste Film von Regisseur David Cronenberg – und das will bei dessen Œuvre durchaus etwas heißen. Während er von vielen Kritiker*innen als pervers verschrien wurde, erhielt er 1996 in Cannes den Spezialpreis der Jury für Originalität und künstlerischen Wagemut. Keineswegs leicht zugänglich, hält der Film jedoch großes Erkenntnispotenzial angesichts von Isolation und Entfremdung in einer hochtechnisierten Welt bereit.
8
von 10