Videodrome

Videodrome

Videodrome
„Videodrome“ // Deutschland-Release // DVD/Blu-ray: 13. September 2018

Skrupel? So etwas kennt Max Renn (James Woods) nicht. Als Betreiber eines privaten Fernsehsenders weiß er, dass schockierende Videos nun einmal am besten gehen, Sex und Gewalt sind sein Sujet. Doch auch er hat sich an den ewig gleichen Orgien satt gesehen, etwas Neues muss her! Da stößt er auf die Übertragung eines Programms namens „Videodrome“, das mit sexuell aufgeladenen Folterszenen genau das ist, was er sich für seinen Sender wünscht. Auch seine masochistisch veranlagte Freundin Niki Brand (Deborah Harry) ist Feuer und Flamme, spielt selbst mit dem Gedanken, Teil dieser Sendung zu werden. Max’ Nachforschungen führen ihn kurze Zeit später zu dem zurückgezogen lebenden Professor Brian O’Blivion (Jack Creley) und dessen Tochter Bianca (Sonja Smits). Während er so seinem Ziel immer näherkommt, leider er zunehmend an eigenartigen und äußerst gewaltvollen Halluzinationen, bis er nicht mehr entscheiden kann, was real und was nur Einbildung ist.

In dem umfangreichen Gesamtwerk von über 20 Spielfilmen des kanadischen Regisseurs David Cronenberg (Dead Zone, A History Of Violence) gehört Videodrome sicher zu den bekanntesten. Und das, obwohl den Film 1983 kaum jemand gesehen hat. An den weltweiten Kinokassen ging seine düstere Vision zum Fernsehen ziemlich unter. In Deutschland war es noch ein klein wenig schlimmer, denn dem Film war seinerzeit ein Kinostart verwehrt. Im Home-Entertainment-Bereich sah es nicht besser aus: Eine bereits entschärfte Version, die 1985 erschien, wurde sofort indiziert. Erst im März dieses Jahres, rund 35 Jahre nach Erscheinen, wurde das alptraumhafte Band aus dem Jugendschutzkeller hervorgeholt und wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Bekannt und doch auch grotesk
Zu dem Zeitpunkt war Videodrome aber längst ein Kultklassiker. Das Alter sieht man dem Film natürlich an, einige der Spezialeffekte sind mehr als drei Jahrzehnte später eher drollig als furchteinflößend. Andere sind dafür noch immer beeindruckend. Vor allem aber brennen sich die Bilder aufgrund ihrer Fremdartigkeit ins Gedächtnis. Futuristische Elemente treffen auf Body Horror. Wenn Max zum Ende hin mit den grausigen Szenen verschmilzt, kommt eine verstörende Note hinzu: Das Leben in, vor und mit dem Fernseher wird zu einer grotesken Vision, der man sich kaum entziehen kann.

Realistisch ist diese natürlich nicht. Es ist teilweise ja nicht einmal klar zu erkennen, was genau da eigentlich geschieht und worüber Cronenberg denn nun reden wollte. Und doch griff er der Entwicklung des Fernsehens vorweg, das in den vergangenen Jahrzehnten deutlich expliziter geworden ist. Dass Videodrome vor 30 Jahren noch als indizierungswürdig galt und heute unbedenklich ist, mit einer FSK 16 zudem, zeigt, wie sehr sich die Sehgewohnheiten geändert haben. Und gewöhnlicher Sex in der Öffentlichkeit bringt ohnehin nur noch die wenigsten wirklich in Wallung, spätestens durch das Internet ist Sex schließlich überall. Da braucht es schon ein bisschen mehr.

Der Verlust von Realität
Die anfänglichen Diskussionen in dem Film, ob ein Zurschaustellen von Gewalt und Sex ein Ventil ist oder das Publikum abstumpfen lässt, ist daher gleichzeitig überholt und hoch aktuell. Wobei unklar bleibt, ob Cronenberg hier überhaupt an einem gesellschaftlichen Diskurs interessiert war. Denn dafür bleibt vieles zu unfassbar, zu wenig konkret auch. Nicht einmal über die Figuren lernen wir wirklich etwas. Max ist zwar knapp anderthalb Stunden zu sehen, wir erfahren aber lediglich von seinem beruflichen Opportunismus – gut ist, was Zuschauer bringt. Der Rest bleibt komplett fremd, im Fall des Professors auf eine sehr kuriose Weise.

Spannend ist Videodrome dafür, erzählt von einer steigenden Eskalation, nicht nur als Zuschauer, von einem zunehmenden Kontrollverlust. Wer zu sehr mit dem Fernsehen im Einklang lebt, der verliert sich darin, kann nicht mehr unterscheiden, was innerhalb, was außerhalb ist. Es fehlt an einer außenstehenden, verlässlichen Person, die einen Gegenpol zu der sehr subjektiv erzählten Geschichte von Max bilden könnte. Ist er verrückt? Geht da wirklich etwas Böses in seinem Fernseher vor sich? Ist er Opfer oder Täter in einem Spiel, dessen Regeln er überhaupt nicht kennt? Cronenberg verweigert eine Antwort, überlässt es dem Publikum, das Gesehene zu verarbeiten, aus den surrealen Szenen schlau zu werden, sich auf diese Welt einzulassen oder sich ihr zu verweigern und das Gerät wieder auszuschalten. Zur Sicherheit.



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Der Betreiber eines Fernsehsenders für Erwachsene sucht nach dem neuesten Kick und wird bei einem brutalen Folter-Sex-Programm fündig. Was anfangs noch wie eine Diskussion wirkt, welche Auswirkungen explizite Sendungen auf das Publikum haben, wird zunehmend rätselhafter, grotesker und surrealer. Eine eindeutige Antwort verweigert der Kultklassiker „Videodrome“, gibt auch sonst wenig preis, ist aber trotz teils veralteter Tricks bis heute sehenswert – und teilweise verstörend.
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von 10