Bong Joon Ho Interview
Joon-ho Bong bei der Deutschlandpremiere von "Parasite" beim Filmfest München 2019 (© Ronny Heine)

Joon-ho Bong [Interview]

Während Jong-ho Boon in seiner Heimat die Kinosäle zum Platzen bringt, genießt der südkoreanische Regisseur und Drehbuchautor im Westen in erster Linie Kultstatus. Doch dank seines neuesten Films Parasite (Kinostart: 17. Oktober 2019) ist er auch bei uns in aller Munde. Kein Wunder: Mit seiner in Cannes mit dem großen Preis ausgezeichneten Mischung aus Satire, Drama und Thriller thematisiert er auf unnachahmliche Weise den Klassenkampf und die wachsende Schere zwischen arm und reich, kombiniert dabei Gesellschaftskritik mit hohem Unterhaltungs- und Überraschungsfaktor. Wir konnten Boon bei der Deutschlandpremiere von Parasite beim Filmfest München 2019 zum Interview treffen und ihm dort einige Fragen zu seinem Meisterwerk stellen,

Unseren Glückwunsch noch zum großen Preis in Cannes. Wie überrascht waren Sie, als Sie ihn erhalten haben?
Sehr. Ich versuche das im Moment auch eher zu vergessen, weil ich das noch nicht wirklich verarbeiten konnte. Ich habe noch einige Dutzende Vorführungen vor mir, auf die ich mich erst einmal konzentrieren will.

Es war ja auch deshalb etwas Besonderes, weil das erste Mal ein Film aus Südkorea ausgezeichnet wurde.
Das Land war deswegen im Anschluss auch völlig überdreht. Als ich zurückgekommen bin, habe ich so viele Journalisten am Flughafen gesehen. So etwas habe ich noch nie erlebt, das war schon ein komisches Gefühl. Ich bin ja kein Olympia-Sieger oder so. Ich glaube nicht, dass sich noch einmal eine so große Menschenmasse bilden wird, wenn das nächste Mal jemand eine Goldene Palme mitbringt.

Haben die sozialen Unterschiede in den letzten Jahrzehnten so stark zugenommen, dass Sie das zu dem Film inspiriert hat?
Durch den Aufschwung hat sich in Südkorea alles sehr stark entwickelt. Aber auch der Unterschied zwischen arm und reich wird immer größer. Das ist ein allgemeines Problem des Kapitalismus, dass diese Schere immer weiter auseinandergeht. Dieses Phänomen tritt überall auf, nicht nur in Südkorea. Deswegen ist das so ein wichtiges Thema, gerade auch für Filmemacher. Als Regisseur und Künstler willst du die Probleme und die Realität aufzeigen.

Woran merken Sie im Alltag, dass es diesen Unterschied zwischen arm und reich gibt?
In meinem Film hab ich das Motiv des Geruchs genommen, um die Kluft zwischen reich und arm darzustellen. Ein Unterschied sind auch die Umgebungsgeräusche. Wenn du zu den Reichen gehst, hörst du praktisch kein Geräusch außer Vogelgezwitscher, während bei den Ärmeren überall Lärm drum herum ist. Aber auch beim Thema Sonnenlicht merkst du diesen Unterschied. Wenn du in einem dieser halben Kellergeschosse wohnst wie die Familie in dem Film, dann bekommst du vielleicht zehn Minuten Sonne am Tag. Solche Lebensbedingungen setzen dir natürlich sehr zu. Was mir aber noch mehr Angst macht, ist dass wir nie aus dieser Lebensrealität herauskommen. Dass es nicht besser wird. Dieses Gefühl wollte ich mit dem Film ausdrücken und habe dafür dieses Bild der Treppe verwendet. In Südkorea herrscht seit der Asienkrise 1997 das Gefühl, dass du dich noch so sehr anstrengen kannst und trotzdem nichts erreichen wirst. Dass du gar keine Chance hast. Dass es diese Leiter, die die Menschen vorher noch verbunden hat, inzwischen nicht mehr gibt.

Wie wird die Kapitalismuskritik Ihrer Filme in Südkorea aufgenommen?
Da ich meine Kapitalismuskritik schon in Okja und Snowpiercer aufgezeigt habe, waren die Zuschauer bereits gewöhnt, wie ich meine Geschichte erzähle. Meine Filme wurden da wie eine Serie aufgenommen. Die koreanischen Zuschauer kommentieren die Filme auch sehr ausführlich im Netz. Da liest du sehr unterschiedliche Geschichten, je nachdem, woher die Leute kommen und unter welchen Umständen sie leben. Beispielsweise findest du Kommentare wie: Bei dem Film lachst du zuerst über das, was geschieht, aber danach fängst du an, darüber nachzudenken.

Neben den satirischen Elementen, gibt es auch Geschichten, die sich in Südkorea zugetragen und Sie inspiriert haben?
Der Ausgangspunkt ist der Unterschied zwischen arm und reich. Deswegen musste sich der Film so weit entwickeln. Er musste so weit gehen und so krass werden, auch wenn das für das Publikum nicht immer angenehm ist. Die Kluft zwischen reich und arm wurde auch aufgenommen in Snowpiercer. Aber da ist es wirklich im Rahmen von Science-Fiction. Bei Parasite geht es um die reale Welt.

Der Film handelt von einer armen Familie, die sich bei einer reichen Familie einschleicht und anfängt, für sie zu arbeiten. Wer ist der Parasit im Film?
Das hängt von deinem Blickwinkel ab. Wenn man körperliche Arbeit als Maßstab nimmt, dann kann durchaus die reiche Familie der Parasit sein. Die meisten werden aber erst einmal die ärmeren Figuren als Parasiten ansehen, weil sie von dem Reichtum der anderen leben. Es tut mir auch leid, die einfachen Menschen als Parasiten zu bezeichnen, und ich möchte, dass das Publikum das merkt.

Parasite
„Parasite“ ist das neueste Werk des Ausnahmeregisseurs Joon-ho Bong und erzählt mit viel schwarzem Humor die Geschichte einer armen Familie, die sich bei einer reichen einschleicht (© Koch Films/capelight pictures)

Ihre letzten beiden Filme Snowpiercer und Okja haben Sie mit vielen Hollywood-Stars gedreht. War es Ihnen ein Bedürfnis, jetzt wieder einen rein koreanischen Film zu drehen?

Bei Snowpiercer ging es um das Überleben der Menschheit aus aller Welt. Da war es dann auch klar, dass ich den Film auf dieser internationalen Ebene drehen musste. Bei Parasite geht es hingegen um soziale Klassen in einer Gesellschaft. Deswegen wollte ich das auch wirklich in meiner Umgebung drehen. Das hat dann mit den Nationen nichts zu tun. Um die Leute aus meinem Umfeld darzustellen, war es unvermeidbar, in Südkorea zu drehen.

Ist es denn einfacher, in Südkorea zu drehen? Bei einer internationalen Beteiligung gibt es doch wahrscheinlich noch mehr Kontrollinstanzen.
Ich habe mich schon 2013 mit meinem Produzenten zusammengesetzt und entschieden, diesen Film zu machen, also lange vor Okja. Aber es war schon anstrengend, Okja zu drehen, das stimmt. Der Film beginnt in der tiefsten Provinz von Südkorea, führt später aber bis nach New York. Das war schon ein ziemlicher Aufwand. Und es tut mir natürlich schon sehr viel besser, wenn ich nach der Dreharbeit ganz normal nach Hause gehen kann. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste.

Wie haben Sie die Netflix-Kontroverse erlebt, gerade auch in Bezug auf Okja? Die einen freuen sich, weil sie auf diese Weise viel Freiheit genießen. Andere werfen Netflix vor, das Kino kaputt zu machen.
Netflix unterstützt auch ungewöhnliche Filme wie Roma von Alfonso Cuarón, die es sonst nicht geben würde. Letztendlich ist das nur eine von mehreren Optionen für mich, um Filme zu drehen. Ich hoffe nur, dass Netflix und Kinobetreiber noch einen Mittelweg finden und flexibler werden. Die beste Möglichkeit, sich einen Film anzuschauen, ist immer noch ein Kino, weil du da gezwungen bist, wirklich den Film zu schauen. Wenn du dir den Film zu Hause anschaust, auf DVD, Blu-ray oder Netflix, klar, dann kannst du zwischendurch immer stoppen, um zum Beispiel auf Toilette zu gehen oder zu telefonieren. Das ist praktisch als Zuschauer, für einen Filmemacher aber schon auch irgendwie bitter. Ich habe auch immer wieder versucht, den Film ganz normal im Kino laufen zu lassen. Immerhin so 100 Kinos habe ich dafür gefunden. Und ich habe den Film auch auf Filmfestivals gezeigt. Netflix geht es ja eigentlich ziemlich gut. Dann können die eigentlich doch mal einen Film drei Monate laufen lassen und erst danach zum Streaming anbieten. Deswegen geht es ihnen nicht schlechter.

Wie viele Filmideen spuken Ihnen im Kopf herum und welche werden Sie als nächstes realisieren?
An konkreteren Geschichten habe ich drei Stück im Kopf. Aber so kleine Samen von Ideen habe ich schon Hunderte. Die sind noch nicht spruchreif, ich lasse meine Ideen immer über mehrere Jahre reifen. Das war bei den letzten Filmen auch nicht anders. Zum Ärger meiner Frau. Die schimpft immer mit mir, dass ich mal Gas geben soll. „Ridley Scott hat doch auch gleichzeitig Gladiator und Black Hawk Down gedreht. Was machst du so lange? Trödel nicht herum!“

Können Sie über eines der Projekte schon reden?
Ich habe beispielsweise vor, Parasite noch etwas auszubreiten, um noch detaillierter auf die einzelnen Figuren einzugehen. Das ging bei der Länge leider nicht. Da musste ich mich kürzer fassen.

Bietet man Ihnen manchmal auch die Regie für große Hollywood-Produktionen an?
Seit ich The Host gedreht habe, habe ich eine Agentur in den USA. Die schlägt mir tatsächlich auch immer etwas vor. Da war sogar Arrival dabei. Meine Frau hat später brutal mit mir geschimpft, dass ich das nicht angenommen habe. Das hätte ich mir nicht entgehen lassen dürfen. Aber ich bin einfach ein eingefleischter Drehbuchschreiber, da komme ich nicht aus meiner Haut.

Zur Person
Joon-ho Bong wurde 1969 in Daegu, Südkorea, geboren. Er studierte zunächst Soziologie an der Yonsei University in Seoul, bevor er ein zweijähriges Programm an der Korean Academy of Film Arts absolvierte. Schon sein erster Spielfilm Hunde, die bellen, beißen nicht über einen Universitätsdozenten, der unliebsame Hunde entführt, wurde positiv von Kritikern aufgenommen. Seinen Durchbruch schaffte er mit seinem zweiten Film Memories of Murder (2003) über eine reale Mordserie. Der satirische Monsterfilm The Host (2006) und der international besetzte Science-Fiction-Film Snowpiercer (2013) zählen mit jeweils mehr als neun Millionen Besuchern in Südkorea zu den 20 erfolgreichsten Filmen aller Zeiten. Sein neuester Film Parasite (2019) gewann die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes.



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