Andre Ovredal Scary Stories to Tell in the Dark
Der norwegische Filmemacher André Øvredal bei der Deutschlandpremiere von "Scary Stories to Tell in the Dark" beim Fantasy Filmfest 2019 (Alle Bilder: © Entertainment One Germany)

André Øvredal [Interview]

Bücher können die Fantasie anregen! Aber können sie auch die Realität verändern? Das zumindest geschieht in dem Horrorfilm Scary Stories to Tell in the Dark (Kinostart: 31. Oktober 2019). Basierend auf der bekannten Geschichtensammlungen von Alvin Schwartz erzählt der norwegische Filmemacher André Øvredal von einer Gruppe von Kindern, die zufällig über ein unheimliches Buch stolpern und es im Anschluss mit furchterregenden Kreaturen zu tun bekommen. Wir haben den Regisseur anlässlich der Deutschlandpremiere beim Fantasy Filmfest 2019 gesprochen und zu seiner Adaption, dem Horror-Genre und der Zukunft des Kinos befragt.

Wann und wie bist du zu dem Projekt hinzugestoßen?
Guillermo schrieb mehrere Tweets darüber, wie sehr er meinen letzten Film The Autopsy of Jane Doe mochte. Danach haben wir uns ein bisschen über Twitter ausgetauscht, was ganz lustig war. Sechs Monate später habe ich das Drehbuch zu Scary Stories to Tell in the Dark bekommen, das er bereits freigegeben hatte. Eigentlich hätte er bei dem Film ja Regie führen sollen. Aber dann fragte er mich, ob ich Interesse hätte, es zu lesen und eventuell auch Regie zu führen. Da musste ich nicht lange überlegen. Ich liebte das Drehbuch, und mit Guillermo zu arbeiten, war eine fantastische Gelegenheit. Danach musste ich nach L.A. und mein Konzept in einem riesigen Board Meeting vorstellen. Wie es aussehen sollte, wie es sich anfühlen sollte. Die Produzenten mochten das alle und schon war die Sache fest. Für meine Verhältnisse ging das alles wahnsinnig schnell. Im November/Dezember 2017 habe ich mein Konzept gepitcht, anderthalb Jahre später ist schon die Premiere.

Kanntest du vorher die Geschichten von Alvin Schwartz?
Nein, kannte ich nicht. Sobald ich aber das Drehbuch gelesen hatte, habe ich die drei Bücher gekauft und gelesen. Das sind über 100 Kurzgeschichten. Viele davon sind sehr unterhaltsam. Bei manchen steht am Ende die Aufforderung: „Und jetzt drehe dich zu deinem Freund und mache: Buh!“ Wie der Titel schon sagt sind die Geschichten dazu gedacht, im Dunkeln anderen vorgelesen zu werden. Das war ein großer Hit für Kids in den 80ern. Aber sie scheinen auch heute noch populär zu sein.

Was war die größte Herausforderung, diese Geschichten dann für die Leinwand zu adaptieren?
Die Kreaturen richtig hinzubekommen, damit sie so aussehen wie in den Büchern. Die Zeichnungen in den Büchern sind ebenso berühmt wie die Geschichten. Das war eine riesige Herausforderung, dass sie am Ende auch real aussehen. Guillermo wollte hier auch nur die besten Leute haben. Sie haben zum Beispiel diese fantastische Firma Spectre Motion engagiert, aber auch Mike Hill und Norman Cabrera, die Künstler auf dem höchsten Level sind. Ich glaube schon, dass wir den Zeichnungen gerecht geworden sind und bin ziemlich glücklich darüber.

Nachdem du die Geschichten vorher nicht kanntest, mit welchen Horror-Geschichten bist du als Kind aufgewachsen?
Wir haben unsere eigenen Märchen, die nicht so weit weg sind von den Märchen der Brüder Grimm. Norwegische Folklore mit Trollen und so weiter, richtig brutal und furchterregend. Die wurden mit dann vorgelesen, zum Beispiel von meinen Babysittern, meiner Großmutter oder meiner Tante. Manchmal auch direkt vorm Schlafengehen, was vermutlich keine so gute Idee war.

Im Film basieren die einzelnen Geschichten teilweise auf den Ängsten der Figuren, weil sie von dem Buch gelesen werden. Wenn es eine Geschichte gäbe, die nur für dich geschrieben wird, wie würde die aussehen?
Oh Gott. Wahrscheinlich würde sie irgendwie in einem Wald spielen. Als Kind bin ich nachts durch einen Wald gelaufen, der zwischen unserem Haus und dem unserer Großeltern lag. Das waren nur ein paar Hundert Meter. Ich erinnere mich, wie ich gerannt bin, weil ich so große Angst vor dem Wald und der Dunkelheit hatte.

Wann hattest du das letzte Mal Angst?
Ich bin kein so großer Freund vom Fliegen, deswegen macht mir das hin und wieder mal Angst. Aber auch, wenn ich Überschriften lese von dem, was draußen in der Welt so vor sich geht. Filme machen mir hingegen nicht mehr wirklich Angst. Als Regisseur von Horrorfilmen bist du beim Schauen so sehr mit der Analyse beschäftigt, wie was gemacht wird, dass du sie selbst nicht mehr wirklich erlebst.

Als Experte auf dem Gebiet: Was ist das Geheimnis, um anderen Angst einzujagen?
Einnehmende Figuren. Du musst dem Publikum die Zeit geben, dass sie deine Figuren auch wirklich mögen und sich selbst in ihnen wiederfinden. Wichtig ist auch, eine Spannung aufzubauen, wie bei Hitchcock. Die Figuren in brenzlige Situationen zu stecken und das langsam zu verstärken. In Conjuring – Die Heimsuchung gibt es eine Szene, in der die Mädchen aufwachen und diese Dunkelheit neben der Tür sehen und darüber reden. Ist da etwas? Ist da etwas? Das ist eine furchterregende Szene und wird nur ganz langsam aufgebaut. Du musst die Vorstellungskraft des Publikums miteinbeziehen, anstatt alles nur zu zeigen.

Scary Stories to Tell in the Dark
Der Albtraum, der aus dem Buch kam: In „Scary Stories to Tell in the Dark“ bekommen es ein paar Kinder mit schrecklichen Kreaturen zu tun, die einer Geschichtensammlung entstammen

Damit Figuren einnehmend sind, müssen sie aber auch passend besetzt sein. Wie lange hat es gebraucht, um die richtigen Darsteller zu finden?
Ganz unterschiedlich. Bei manchen haben wir sofort die Idealbesetzung gehabt, bei anderen mussten wir länger suchen. Es war richtig schwierig, den Schauspieler für Ramón zu finden. Wir waren so glücklich, als wir ihn am Ende des Prozesses doch noch gefunden haben. Zoe Colletti, die Stella spielt, hatten wir hingegen sofort. Wir hatten eine E-Mail mit ihrem Vorsprechen bekommen und ich wusste sofort: Das ist sie! Sie war auch unglaublich am Set. Wir haben viele großartige Schauspieler für Chuck und Auggie gesehen. Der Trick ist hier, zwei zu finden, die auch wirklich zusammen funktionieren, da sie ja auch zusammen arbeiten müssen. Das war ein längerer Prozess, diese Kombination zu hinzubekommen, dass sie auch wirklich als Freunde durchgehen.

Du hast Conjuring als Beispiel für einen guten Horrorfilm genannt. Kannst du uns noch ein paar Favoriten nennen, egal ob aktuelle oder Klassiker?
Der Exorzist ist natürlich ein großartiger Film. Das Omen. Poltergeist. Alien. Der weiße Hai. Ich würde auch Sieben als Horrorfilm bezeichnen. Das Waisenhaus. Sixth Sense. The Others. Es. Und Conjuring eben. Jedes Jahr gibt es mindestens zwei oder drei wirklich herausragende Horrorfilme. Ich habe beispielsweise Midsommar und Crawl fast direkt nacheinander gesehen. Die sind komplett unterschiedlich, aber auf ihre Weise eben unterhaltsam und richtig furchterregend.

Warum ist es für uns unterhaltsam, uns zu fürchten?
Furcht ist ein so starkes Gefühl, dass du das manchmal diese Auswirkungen spüren willst, ohne aber dass du die Situation erleben willst, die dieses Gefühl auslöst. Das Kino ist der perfekte Ort dafür, weil du dieses Gefühl zusammen mit anderen erlebst und er total sicher ist.

Also sind die Kinos sowas wie die Entsprechung für die Lagerfeuer, an denen man die Geschichten gelesen hat?
Ja, genau. Ich vergleiche es auch gerne mit einem Rockkonzert, weil es ein gemeinsames Erlebnis ist. Ein sehr tiefgehendes Erlebnis auch, bei dem du lachst oder schreist. Da ist so viel Gefühl in dem Raum.

Manche sagen ja, dass das Kino langsam stirbt, weil an seine Stelle andere Formen der Unterhaltung treten – Stichwort Streaming. Wird dieses Gemeinschaftsgefühl damit verlorengehen?
Natürlich können wir heute TV-Serien auf unseren iPhones anschauen. Letztendlich sind wir aber soziale Wesen und wollen zusammen sein. Deswegen glaube ich auch nicht, dass Kinos sterben werden. Diese Diskussionen zur Zukunft des Kinos hat es ja immer wieder gegeben, wenn etwas Neues erfunden wurde: Fernsehen, VHS, Kabel-TV, DVD. Und doch hat es überlebt, Jahr für Jahr.

Was sollten Kinos tun, um zu überleben?
Kinos investieren derzeit viel in die Technik und den Komfort der Zuschauer. Gute Sitze und gute Filme, das ist schon eine Menge wert.

Scary Stories to Tell in the Dark
Zeitlos: „Scary Stories to Tell in the Dark“ nimmt uns mit in die ländlichen USA Ende der 60er.

Dein Film spielt im Jahr 1968. Wie schwierig war es, das Gefühl der späten 60er zu rekreieren, obwohl du da noch nicht einmal geboren warst?
Ich hatte fantastische Mitarbeiter, die die 60er kannten. Der Produzent, Guillermo, wir hatten eine Kostüm Designerin, die damals schon Filme gedreht hat. Dann hatten wir David Brisbin, der ein fantastischer Szenenbildner ist. Wenn du Filme machst, ist es ein echter Glücksfall, von Leuten umgeben zu sein, die das alles sehr viel besser können als du selbst. Die auch ein Auge haben für die ganzen Details. Der Film sollte beispielsweise nicht nach New York 1968 aussehen, sondern wirklich das Leben im ländlichen Gebiet darstellen.

Warum hast du überhaupt das 60er Jahre Setting genommen?
Das wurde schon vom Studio, Guillermo und den Autoren festgelegt, bevor ich dazugeholt wurde. Ich denke, dass die Zeit auch deshalb ausgesucht wurde, weil sie ähnlich turbulent war wie die heutige und das Publikum sich so leichter darin wiederfindet. Auf diese Weise konnten sie Parallelen ziehen. Das ist auch das Großartige an Horrorfilmen: Du kannst gesellschaftliche Themen einbauen, teils sehr versteckt.

In der letzten Zeit gab es neben Scary Stories to Tell in the Dark noch viele weitere Horrorfilme oder auch Serien, die in der Vergangenheit spielen. Hast du eine Erklärung dafür?
Vielleicht wollen die Leute einfach keine Filme drehen, in denen jeder ein Handy hat. Conjuring hat das so ein bisschen gestartet. Danach hattest du Stranger Things und Es. Der Erfolg von diesen Titeln zeigt, dass wenn die Geschichte und die Figuren gut sind, dann spielt die Zeit keine wirkliche Rolle.

Jetzt, da der Film fertig ist, gibt es bereits Pläne für eine Fortsetzung?
Wir diskutieren das tatsächlich, da der Film recht erfolgreich war bislang. Und wir haben ja drei Bücher mit hundert Geschichten, aus denen wir aussuchen können. Also warum nicht?

Gibt es denn andere Filmprojekte, an denen du bereits arbeitest?
Ich arbeite an dem Film Mortal, der nächstes Jahr rauskommen soll. Der ist bereits abgedreht. Der nächste, den ich drehen werde, ist The Long Walk und basiert auf einem Buch von Stephen King.

Also bleibst du dem Horror-Genre erst einmal treu. Jemals in Versuchung gewesen, ein anderes Genre auszuprobieren?
Mortal ist ziemlich anders. Das ist fast wie eine Superheldengeschichte, aber sehr geerdet. Ansonsten scheint mir in Zukunft noch viel Horror zu blühen, ja.

Letzte Frage: Gibt es deiner Meinung nach einen Unterschied zwischen europäischem und amerikanischem Horror, nachdem du beides nun kennengelernt hast?
Nicht so wirklich. Europäische Horrorfilme sind vielleicht etwas nachdenklicher und an einer Stimmung interessiert, während amerikanische Filme mehr Wert auf die Geschichte legen.

Zur Person
André Øvredal wurde am 6. Mai 1973 in Norwegen geboren. Er studierte am Brooks Institute of Photography in Kalifornien, wo er auch seinen ersten Film drehte, den Thriller Future Murder. Einem internationalen Publikum wurde er durch seine Horrorfilme Trollhunter (2010) und The Autopsy of Jane Doe (2016) bekannt. Zuletzt drehte er Scary Stories to Tell in the Dark (2019), basierend auf den Büchern des Autors Alvin Schwartz.



(Anzeige)