Get Me Some HAIR!
© Lars Barthel

Get Me Some HAIR!

„Get Me Some HAIR!“ // Deutschland-Start: 16. Mai 2019 (Kino)

Ursprünglich erfüllten Haare ja durchaus sinnvolle Funktionen, wenn der Mensch sich in der Welt da draußen durchschlagen musste. Schutz vor Kälte zum Beispiel bzw. Wärmedämmung im Allgemeinen. Die Feuchtigkeit kann damit reguliert werden. Und auch vor Sonneneinstrahlung soll sie uns schützen. Diese Funktionen erfüllt das Haar natürlich noch immer, ist aber bekanntermaßen um die des Beauty-Accessoires ergänzt worden. Ob nun der Friseurbesuch, Haarschmuck, die Wahl der richtigen Farbe oder Form – wie wir unsere Haare tragen, beeinflusst maßgeblich unser Erscheinungsbild. Und sie können Inhalt großer Diskussionen sein.

Diese Erfahrung hat auch Lars Barthel gemacht. Seit vielen Jahren schon ist der Filmemacher mit Antoinette verheiratet, einer gebürtigen Jamaikanerin. Die wiederum ist, wie viele ihrer Landsfrauen, sehr unglücklich darüber, was Gott und die Biologie ihr da mitgegeben haben. Zu struppig sind ihre Haare, zu widerspenstig. Also muss eine Alternative her, die pflegeleicht ist und nach etwas aussieht. Dabei spielt es fast keine Rolle für sie, ob der neue Schmuck nun aus Plastik besteht oder echt ist, Hauptsache, er sieht gut aus.

Zwischen Persönlichem und Universellem
Barthel selbst kann damit nur wenig anfangen. Kann auch nicht nachvollziehen, warum Antoinette unbedingt darauf besteht, ihr echtes Haar unter einem falschen zu verstecken. Nun lässt sich über Geschmack bekanntlich streiten, was das Ehepaar auch immer wieder in Get Me Some HAIR! tut. An vielen Stellen meint man sogar, der Dokumentarfilm sei letztendlich nur ein Home Video über ein Paar, das sich liebt, aber immer wieder an Grenzen stößt – eigene und die des Partners. Er solle akzeptieren, wie sie ist, sagt sie. Das wäre aber nicht sie, erwidert er. Zwei Standpunkte, die sich gleichzeitig nachvollziehen und nicht nachvollziehen lassen.

Während die mal genervten, mal zärtlichen Auseinandersetzungen sehr viel private Persönlichkeit in den Film bringen, so weitet sich der Blick doch irgendwann. Auf der Suche nach einer Erklärung für Antoinettes Widersinn tauchen die beiden in die Geschichte der Schwarzen ein, reden von Sklaverei. Reden auch von Rassismus: Wer anders aussieht, der wird auch anders behandelt, selbst heute noch. Haare werden so nicht nur zu einem Schutz vor Wetter und Widrigkeiten. Sie werden auch zu einem Schutz vor den Menschen, die zwar modernste technische Errungenschaften nutzen, zivilisatorisch aber auf dem Stand von anno dazumal stehengeblieben sind.

Oberflächenbehandlung
Sonderlich in die Tiefe geht der Dokumentarfilm dabei nicht, der unter anderem auf dem DOK.fest München 2018 lief und nun im Wettbewerb von achtung berlin 2019 gezeigt wird. Barthel verzichtet darauf, auch Experten zu befragen, weder aus dem biologischen noch dem sozialen Bereich. Später taucht Get Me Some HAIR! zwar auch in den für uns eher kuriosen Bereich des Haarhandels ein – in Burma verkaufen Frauen ihre Haare, um so die Familie zu unterstützen. Doch die dazugehörigen Fragen, was dieser Verkauf für die Betroffenen bedeutet, die werden nur gestreift. Der über 20 Jahre hinweg entstandene Film gibt mit seiner Mischung aus Persönlichem und Universellem zwar Stoff, über den es sich nachzudenken lohnt, ohne aber selbst mehr draus zu machen.



(Anzeige)

Meine Frau versteckt ihre echten Haare unter falschen: Aus dieser sehr persönlichen Situation wird bei „Get Me Some HAIR!“ eine allgemeine Überlegung zur Funktion unseres Kopfschmuckes, auch in einem gesellschaftlichen Kontext. Das ist als Denkanstoß interessant, geht aber nicht sonderlich in die Tiefe.