Reiss aus
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Reiss aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum

Reiss aus
„Reiss aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum“ // Deutschland-Start: 14. März 2019 (Kino) // 25. Oktober 2019 (DVD/Blu-ray)

Irgendwie ist das schon praktisch mit dieser komplett vernetzten Welt. Man muss eigentlich gar nicht mehr nach draußen gehen, um zu erfahren, wie es an anderen Orten so aussieht. Es reicht den Leuten über die Schulter zu sehen, die das für einen tun. Leuten, die einem Kulturen und Landschaften näherbringen, für die wir nicht die Zeit haben, nicht das Geld, vielleicht auch nicht den Mut. Die für uns das erledigen, wovon wir träumen, ohne dass wir die dazugehörigen Strapazen selbst erleben müssen. Einmal Weltreise frei Haus. Oder fast, das Ticket fürs Kino muss ja noch bezahlt werden.

Das tun offensichtlich einige, zumindest ist es auffällig, wie viele solcher Reisedokus inzwischen hierzulande auf den Leinwänden zu sehen sind. Daran dürfte Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt nicht ganz unschuldig gewesen sein, das 2017 immerhin knapp 350.000 Besucher in die Kinos lockte. Zahlen, von denen die meisten deutschen Spielfilme nur träumen können. Oder eben die thematisch ähnlichen Dokumentarfilme, die in den letzten Monaten ihr Publikum suchten – etwa Anderswo. Allein in Afrika oder Egal was kommt.

Schon mal gehört
Wenn nun mit Reiss aus ein weiterer Beitrag erscheint, ist das für die Anhänger solcher Filme natürlich eine gute Nachricht. Endlich geht es wieder los! Andere werden sich hingegen fragen, was genau dieser Dokumentarfilm nun bieten soll, das nicht schon die diversen Kollegen vorher gezeigt haben. Und zumindest teilweise bestätigt sich diese Skepsis auch. Vor allem die ständigen Betonungen, wie unglaublich gastfreundlich die Menschen in Afrika sind, sind schon ein wenig abgenutzt. So schön es auch ist, wenn sich hier jemand für den oft verschmähten Kontinenten einsetzt, zumal das hier tatsächlich aus einer Leidenschaft heraus geschieht: Das wirkt alles etwas zu brav aufgesagt. Wie auswendig gelernt.

Spannender ist es, wenn sich der Film von den Allgemeinplätzen löst. Lena Wendt, die zusammen mit ihrem Freund Ulrich Stirnat zwei Jahre lang durch Afrika reiste, ist studierte Journalistin. Und auch wenn der Film ursprünglich gar nicht geplant war, sondern erst im Nachhinein aus dem vorhandenen Material entstand, man merkt Wendt ihre Erfahrungen an. Denn da sind fantastische Bilder dabei, die sie mit ihrer Kamera festgehalten hat, eigentlich für Familie und Freunde daheim. Und sie weiß natürlich auch, welche Geschichten es wert sind, erzählt zu werden.

Da treffen wir Aktivisten, die gegen das Unrecht ihres Landes ansingen. Frauen, die versuchen, jungen Mädchen durch Bildung eine Zukunft zu geben. Und auch sonst schweigen sich Wendt und Stirnat nicht über die Schattenseiten Afrikas aus. Wir erfahren von korrupten Grenzbeamten, halbherzigen wohltätigen Projekten. Sehen Müllberge, die von der Bevölkerung achtlos zurückgelassen werden und nun ins Meer weiterwandern, weil sich niemand dafür interessiert. Aber auch das Desinteresse Europas bzw. der westlichen Welt kommt zur Sprache. Manchmal wünschte sie sich, wir würden Afrika einfach in Ruhe lassen, sagt Wendt an einer Stelle.

Die Geschichte eines Paares
Diese Kommentare aus dem Off betreffen aber nicht nur das schwierige Verhältnis zwischen Afrika und dem Rest der Welt, der in dem Kontinent primär eine jedem offenstehende Schatztruhe sieht, die geplündert werden will. Genauso oft thematisieren die beiden Reisenden hierin sich selbst. Reiss aus ist eben nicht allein ein Reisefilm oder eine Abhandlung über Afrika. Es ist auch ein sehr persönlicher Film über ein Paar, das sich unterwegs neu kennenlernt. Das muss nicht immer positiv sein, an vielen Stellen fragt man sich als Zuschauer durchaus, warum die beiden überhaupt zusammen sind. Sie ist dauerfröhlich, will irgendwie so gar nichts Negatives daran finden, wenn Inneres nach Außen gekehrt wird, nichts funktioniert wie gedacht und man zu keiner Zeit Ruhe findet. Er ist das Gegenteil, eher verschlossen, braucht Platz für sich, hatte auch mit nicht einmal 30 Jahren schon einen Burnout.

Sehr viel tiefer als das geht der Dokumentarfilm nicht, für eine tatsächliche Charakterisierung ist der bloße Kontrast zu wenig. Wer also wissen will, was eine solche Reise mit einem als Menschen macht, der ist am Ende nicht wirklich schlauer, dafür ist das Ganze auch zu sehr ständiges auf und ab. Zumindest aber schaffen es Wendt und Stirnat, sich auf diese Weise doch etwas von der Konkurrenz abzuheben und den bekannten Geschichten einen eigenen kleinen Stempel aufzudrücken.



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In „Reiss aus“ begleiten wir ein Paar, das zwei Jahre lang Afrika bereiste und dabei sowohl die Menschen dort wie auch sich selbst neu kennenlernte. Der Dokumentarfilm ist dabei eine sehr schön bebilderte Mischung aus Reisefilm und erstaunlich persönlichen Einblicken, auch wenn er unterwegs immer wieder an Allgemeinplätzen Rast macht.