Dirty John the Dirty Truth
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Dirty John, The Dirty Truth

Dirty John the Dirty Truth
„Dirty John, The Dirty Truth“ // Deutschland-Start: 26. Februar 2019 (Netflix)

Man vertraut, hofft, liebt und am Ende trachtet einem der eigene Partner nach dem Leben. Debra Newell erhoffte sich, wie so viele andere auch, die große Liebe auf einer Datingseite zu finden. Ihr Wunsch ging scheinbar in Erfüllung. Traf sie dort doch John, einen charmanten Doktor, der all ihre Erwartungen übertraf. Später wird sich herausstellen, dass sie nur eine von vielen ist, denen John seinen pürierten Lügensmoothie zum Frühstück serviert. Anstatt den emotionsgetriebenen Hochstapler zum Teufel zu jagen, vergibt sie ihm. Ein Tauziehen zwischen ihrer Familie, die um ihr Leben fürchten, und John, der sich aalglatt aus jeder ihm präsentierten Bärenfalle seiner Vergangenheit windet. Debra ignoriert alle Warnsignale und findet sich in seinem Sumpf aus Drogensucht und manischer Kontrolle wieder, dem sie hoffnungslos verfallen ist. Der Glaube an ein Happy End ist größer als die lauernde Gefahr zwischen ihren Bettlaken.

Der wahre John
John Meehan oder auch Dirty John, wie er liebevoll von seinen Unifreunden tituliert wird, ist Betrüger, Stalker, Heiratsschwindler und so vieles mehr, wofür man ein Sternchen in seiner polizeilichen Akte erhält. Im Knast war er bereits, einstweilige Verfügungen sammelt er wie Fußballsticker und wenn „Frauen hinter das Licht führen“ eine Sportart wäre, würde er wahrscheinlich immer auf dem Treppchen stehen. Kein falsches Hollywood, sondern echte Realität!

Auf der Leinwand oder in der Sicherheit der eigenen vier Wände wirkt so eine Geschichte zu erschreckend, um wahr zu sein. Filme wie Catch Me If You Can verleihen Trickbetrügern zudem einen unwiderstehlichen Charme, von dessen Selbstbewusstsein sich jeder gerne eine Scheibe abschneiden würde. Selbst die zuletzt erschienene Netflixserie Dirty John ließ es sich nicht nehmen, seine Machenschaften aus dem grellen Licht eines krankhaften Psychopathen zu ziehen und in das eines ambitionierten Playboys zu stellen.

Es musste so kommen
Ein großer Unterschied, wenn man Opfern und Beteiligten innerhalb der Dokumentation Glauben schenken darf. Eine Ansammlung von persönlichen Interviews, mit Debra, ihren Töchtern, ehemaligen Partnerinnen sowie Augenzeugen. Gepaart mit Bild- und Tonmaterial aus der privaten Sammlung, die das schaurige „Malen nach Zahlen“ Bild allmählich ausschmücken. Gerade weil alle über John Bescheid wussten, aber niemand etwas unternahm, um ihn endgültig zu stoppen – bis es zu spät war. 2016 greift John Debras Tochter Terra auf dem Parkplatz vor ihrem Apartment mit einem Messer an. Sie kämpft um ihr Leben und es gelingt ihr, ihm das Messer zu entwenden. Dann sticht sie zu, immer und immer wieder. Sie oder er, da ist sie sich sicher. John erleidet durch Stichverletzungen am Kopf einen Hirntod.

Kein manischer Serienkiller, dafür ein labiler Drogenabhängiger, der seine Sucht zu verstecken wusste oder zumindest genügend Ausreden parat hatte, um jegliche Fragen im seichten Nebel seiner hohlen Lügen zu verstummen. Johns Psyche, ob Kindheitstrauma oder Veranlagung, ist hierbei genauso interessant, wie die Reaktionen seines Umfelds. Die beklemmende Hilflosigkeit eines Kollektivs, deren Furcht vor einem Mann jegliche Vernunft zu übertrumpfen scheint.

Das Making Of
Dirty John, The Dirty Truth deckt die weichgewaschene Porträtierung der Serie auf und gibt einen kurzen Einblick in die groteske Manie, die Johns aufwendiges Puppenspiel beinhaltet. Ein Mann ohne Skrupel, in seiner bemitleidenswerten Existenz, in einem Netz aus Lügen. Ein Scharlatan, der sich an den Schwächen Einzelner labt. Es bleibt jedoch weiterhin das „Warum?“. Während sich im Rahmen des Dirty-John-Podcasts mit der Psyche von Opfer und Täter auseinandergesetzt wurde, ist dies lediglich eine Aufarbeitung der Ereignisse. Ist die chronologische Aneinanderreihung von Erzählungen noch so bildlich nachvollziehbar und durch authentisches Material belegt, kratzt es nur an der Oberfläche eines psychologischen Problems, einer emotionalen Befangenheit, die in uns allen lauert. Ob in Form von John oder Debra, diese therapeutische Dienstleistung bleibt ungeklärt.



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Die Dokumentation ist ein Kontrastspiel zur gleichnamigen Serie und verlässt sich auf die natürliche Morbidität des Falls anstatt neues Hollywoodmaterial hinzuzudichten. Ein Tiefgang in die psychologischen Beweggründe auf Opfer- und Täterseite fehlt. Das reale "Making Of", das einige interessante Details zum Fall beisteuert.