Antiporno

Antiporno

„Antiporno“, Japan, 2016
Regie: Sion Sono; Drehbuch: Sion Sono
Darsteller: Ami Tomite, Mariko Tsutsui

„Antiporno“ // Deutschland-Start: 16. Mai 2019 (Kino) // 16. Oktober 2020 (DVD/Blu-ray)

Das Leben sei wie eine Schachtel Pralinen, erklärte uns Forrest Gump seinerzeit. Man wisse nie, was man kriegt. Und das gilt dann auch für Sion Sono. Nicht nur, dass der japanische Regisseur und Drehbuchautor einen quantitativ beachtlichen Output hat. Er ist so variantenreich, von poetisch-nachdenklich (The Whispering Star) bis zu surreal-brutal (Tag), dass es unmöglich ist vorherzusagen, was er wohl als nächstes macht. Es ist manchmal sogar schwierig zu definieren, was genau man denn da gerade einverleibt hat.

Antiporno ist eines seiner Werke, das sich beharrlich weigert, in eine der Schubladen zu schlüpfen, die wir für Filme bereithalten. Lediglich der Rahmen der Entstehungsgeschichte ist einigermaßen fix. In den 1970ern startete das Studio Nikkatsu eine Reihe von Erotikfilmen, die später als Roman Porno bezeichnet wurden. Das Besondere bei diesen Streifen war die künstlerische Freiheit, die Nikkatsu den Regisseuren überließ. Jeder Film musste in einer Stunde mindestens vier Nackt- oder Sexszenen enthalten. Darüber hinaus durfte jeder machen, was er will. In Folge entstanden jedes Jahr Filme, die nicht nur beim Publikum sehr beliebt waren, sondern aufgrund der Experimentierfreude auch bei Kritikern – einige gelten sogar als Klassiker.

Der Ruhm vergangener Erotiktage
Antiporno entstand nun in einer von Nikkatsu lancierten Reihe, die an die damaligen Werke anschließen soll. Es herrscht dann auch nicht unbedingt ein Mangel an nackter Haut, Sexszenen sind ebenfalls dabei. Mit Erotik hat das Drama jedoch nur bedingt zu tun. Der Film beginnt damit, dass die Künstlerin Kyōko (Ami Tomite) in ihrem Bett aufwacht – leicht bekleidet natürlich – und anschließend gleich zur Toilette geht, die praktischerweise Teil des großen Allzweckzimmers ist. Schlafzimmer, Bad, Atelier, alles geht nahtlos ineinander über. Und damit auch die Szenen, die der sexuellen Erregung dienen und die, die für die meisten doch bitte hinter verschlossenen Türen stattfinden sollen. Eine Frau, die darüber nachgrübelt, ob sie heute schon Stuhlgang hatte? Das gehört eher selten zu den Situationen eines Pornos.

Auch sonst ist hier vieles nicht ganz das, als was es zunächst erscheint. Wenn beispielsweise im nächsten Moment Kyōkos Managerin Noriko (Mariko Tsutsui) erscheint, dann wird aus der zunächst beruflich-nüchternen Beziehung schnell eine der ganz anderen Art. Denn Noriko wäre gern eine Hure. Das passt nicht so ganz zu ihrer unterwürfigen Persönlichkeit, die im starken Kontrast zu der lauten und ausschweifenden Kyōko steht. Es passt auch nicht zu dem, was Antiporno als nächstes erzählen wird.

Wenig Handlung mit vielen Denkanstößen
Zu erzählen hat Sono nämlich einiges, gleichzeitig aber auch wieder nicht. Man könnte die gesamte Handlung des nicht einmal 80 Minuten dauernden Films in einen Satz pressen. Man könnte sie aber auch als Grundlage für eine komplette Abhandlung nehmen, die eine Reihe von Themen miteinander verknüpft. Das Thema Erotikfilm natürlich. Das Machtgefüge in Filmen allgemein, gerade auch aus weiblicher Sicht. Der Voyeurismus und Sexismus, dem Frauen in diesem Bereich ausgesetzt sind. Oder auch das Spiel mit Identität, die im Bereich Schauspiel zwangsläufig fließend ist.

Der Beitrag vom Japan-Filmfest Hamburg 2018 lädt aber nicht nur zum Nachdenken über die Rolle der Frau ein, lange bevor es die #MeToo-Bewegung gab. Er bietet auch sehr viel fürs Auge. Gerade die knalligen Farben mit den starken Kontrasten muss man erst einmal verarbeiten, gleiches gilt für die harten Übergänge und die zwar nicht unbedingt subtilen, wohl aber surrealen Symbole, die Sono einbaut. Schön ist das nicht, soll es auch nicht sein. Der Japaner lässt hier mal wieder seiner Lust an der Provokation freien Lauf, die uns im Laufe der Jahre einige erinnerungswürdige Momente beschert hat. Man muss diese Zufallspraline nicht mögen, die das Enfant terrible dem Publikum darreicht. Vergessen wird man sie aber wohl kaum mehr im Anschluss.



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Wie der Titel schon sagt, ist „Antiporno“ zwar Teil einer Erotikreihe, selbst aber trotz häufiger Nackt- und Sexszenen nicht unbedingt erotisch. Vielmehr ist das knallbunte bis surreale Drama um eine ausschweifende Künstlerin gleichermaßen eine anstrengende Zumutung wie eine faszinierende Anregung, bei der Offensichtliches und Surreales Hand in Hand geht.
7
von 10