Traces of Sin

Traces of Sin

„Gukôroku“Traces of Sin, Japan, 2016
Regie: Kei Ishikawa; DrehbuchKôsuke Mukai
Vorlage: Tokurô Nukui; Musik: Takashi Ohmama
Darsteller: Hikari Mitsushima, Satoshi Tsumabuki, Keisuke Koide, Wakana Matsumoto

Tanaka (Satoshi Tsumabuki) könnte im Moment gut etwas Ablenkung gebrauchen. Seine Schwester Mitsuko (Hikari Mitsushima), zu der er ein enges Verhältnis hat, sitzt hinter Gittern. Sie soll ihren dreijährigen Sohn derart vernachlässigt haben, dass er inzwischen mit dem Tod ringt. Da trifft es sich ganz gut, dass ein älterer Mordfall noch immer ungeklärt ist. Das wohlhabende Paar Takou (Keisuke Koide) und Yukie (Wakana Matsumoto) wurde zu Hause zusammen mit der kleinen Tochter ermordet. Die Polizei steht noch immer vor einem Rätsel, da es offensichtlich kein Raubmord war. Und so macht sich Tanaka selbst auf die Suche, spricht mit alten Bekannten der beiden und muss dabei feststellen, dass die Bilderbuchfamilie in der Vergangenheit sich nicht so ganz vorbildhaft verhalten hat.

Das erste, was bei Traces of Sin auffällt sind die Bilder. Düster sind sie, voller Schatten, selbst tagsüber. Kaum ein Licht, kaum eine Farbe erhellt die Szenen. Alles ist gedämpft, blass, ein wenig unwirklich sogar. Mag sein, dass der Mord aus Leidenschaft geschah. Dem Film selbst sieht man das jedoch erst einmal nicht an. Vor allem Tanaka verzieht kaum ein Gesicht, läuft mit seinem kleinen Notizbuch herum, befragt Leute und ist doch nie so richtig da. Als wäre er auf Autopilot geschaltet. Ein Mann, der ein Rätsel lösen will, seine Aufgabe erfüllen. Mehr nicht.

Viel Leid, viele Verdächtige
So nüchtern das Drumherum und Hauptprotagonist, so groß ist der Kontrast zu dem, was der Film im Laufe von zwei Stunden erzählen wird. Wie ein klassischer Krimi beginnt Traces of Sin. Ein ungeklärter Mord, ein Journalist auf der Suche nach Antworten. Dabei mangelt es nicht gerade an Verdächtigen. Anders als bei klassischen Wodunnits, in denen Zuschauer von Anfang an eine ganze Reihe von möglichen Tätern präsentiert bekommen, lässt sich der Film hier Zeit. Er läuft auch etwas anders ab.

Die Adaption von Tokurô Nukuis Roman sucht keine Fußspuren oder zurückgelassene Beweise. Sie spielt nicht am Tatort. Den bekommen wir kaum zu sehen. Sie spielt nicht einmal in der Gegenwart. Nach und nach trifft sich Tanaka mit früheren Wegbegleitern, mit Verflossenen und Bekannten der Ermordeten. Die Dialoge und vielen Flashbacks dienen jedoch nicht dazu, den Tathergang zu rekonstruieren. Stattdessen setzen sich die vielen Bestandteile zu einem Porträt der beiden Toten zusammen. Und es ist kein schönes Porträt, trotz des Geldes, trotz des guten Aussehens. Aber auch die anderen kommen nicht unbedingt gut weg. Sympathieträger? Die sind in Traces of Sin sehr rar gesät.

Der Mord ist nur der Anfang
Der Beitrag von den 2017er Ausgaben von Nippon Connection bzw. dem Japan-Filmfest Hamburg wandelt sich so mit der Zeit von einem reinen Krimi zu einem gesellschaftskritischen Drama. Von Insidern ist die Rede. Leute aus gutem Haus mit viel Geld, die einen eigenen Stand bilden, in den Normalsterbliche normalerweise nicht hereinkommen. Nicht genug jedoch, dass ihnen die Welt offensteht. Sie blicken auch auf andere herab, treiben mit ihnen ihre Spielchen, die über bloße Selbstsucht hinausgeht. Je mehr wir über die beiden Verblichenen erfahren, je mehr Menschen wir begegnen, die von ihnen verletzt wurden, umso weniger wichtig wird, wer es denn nun am Ende getan hat.

Eine Antwort auf die Frage bekommen wir dennoch. Und sie fällt noch einmal brutaler aus, als man es sich im Vorfeld vielleicht ausgemalt hat. Ob es die Wendung gebraucht hätte, darüber lässt sich streiten. Denn so effektiv, so schockierend sie auch ist, sie lenkt etwas von dem ab, was zuvor aufgebaut wurde. Lässt alles in einem so komplett anderen Licht erscheinen, dass die zuvor entwickelten Emotionen überhaupt keinen Platz mehr haben. Auch eine sehr surreale Sequenz passt nicht so recht zu dem betont nüchternen Film, der sich mit sehr realen Themen auseinandersetzt. Und doch ist das Spielfilmdebüt von Kei Ishikawa sehr bemerkenswert. Sehr sehenswert. Düstere Krimis mit kaputten Ermittlern hat es in den letzten Jahren zuhauf gegeben, inspiriert von den skandinavischen Vertretern. Der japanische Kollege geht aber noch einen Schritt weiter, indem er einem auch noch das letzte bisschen Glauben an die Menschheit raubt. Eine Gesellschaft zeigt, so zerfressen, so verroht, dass der einzige Ausweg die Flucht nach vorne bleibt.



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„Traces of Sin“ beginnt wie ein klassischer Krimi, wandelt sich aber mit der Zeit in ein zunehmend gesellschaftskritisches Drama. Die schattenhaften Bilder geben die düstere Stimmung vor und sind doch nichts im Vergleich zum Inhalt. Der ist trostlos, später auf eine überraschende Weise brutal und raubt einem zum Schluss den letzten Glauben an das Gute im Menschen.
8
von 10