Detroit
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Detroit

(OT: „Detroit“, Regie: Kathryn Bigelow, USA, 2017)

Detroit
„Detroit“ läuft ab 23. November 2017 im Kino

Die schwarze Bevölkerung in Detroit leidet in den 1960en unter ständiger Diskriminierung und willkürlichen Schikanen. Im Sommer 1967 eskaliert die Situation schlussendlich und es kommt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, aber auch regelmäßigen Plünderungen in Geschäften. Inmitten dieser hitzigen Atmosphäre kommt es in dem überwiegend von Schwarzen bewohnten Algiers Motel zu einem dramatischen Zwischenfall. Als einer der Bewohner einen Schuss mit einer Spielzeugpistole abfeuert, stürmen Polizei und Armee das Gebäude, darunter die Polizisten Philipp Krauss (Will Poulter) und Demens (Jack Reynor). Sie sind fest entschlossen, den Schützen zu fassen und setzen daher jeden unter Druck, der sich gerade in dem Motel aufhält, beispielsweise den Sänger Larry (Algee Smith) und dessen bester Freund Fred (Jacob Latimore), den Ex-Soldaten Greene (Anthony Mackie) sowie die beiden weißen Freundinnen Julie Ann (Hannah Murray) und Karen (Kaitlyn Dever). Doch die Einschüchterungen bringen nicht das erwünschte Ergebnis. Und so beschließt Krauss, aufs Äußerste zu gehen.

Nicht nur Krauss, auch Kathryn Bigelow mutet ihren Mitmenschen eine ganze Menge zu. Zum dritten Mal hat sich die amerikanische Regisseurin hier mit dem Journalisten Mark Boal zusammengetan. Zum dritten Mal fassten sie dafür ganz heiße Eisen an, um die ihre meisten Kollegen lieber einen großen Bogen machen – aus verständlichen Gründen. Nachdem die beiden in Tödliches Kommando – The Hurt Locker und Zero Dark Thirty einen wenig schmeichelhaften Blick auf die amerikanische Kriegsführung geworfen haben, geht es bei Detroit um eine zumindest etwas alltäglichere Situation. Aber eine, die mindestens ebenso schwer zu ertragen ist. Denn auch wenn die Geschichte um den Zwischenfall im Algiers Motel nunmehr 50 Jahre zurückliegt, die Parallelen zur aktuellen Lage in den USA sind kaum zu übersehen.

Ein Tag so schrecklich wie heute
Willkürliche Polizeigewalt und Rassismus, das ist eine Kombination, die in den letzten Jahren immer wieder für Entsetzen gesorgt hat. Warum also nicht eine vorangegangene Episode zeigen und damit der Gesellschaft vor Augen führen, wie wenig sich getan hat? Wie schnell es zu einem Flächenbrand kommen kann? Detroit muss dann auch gar nicht viel Zeit aufwenden, um die Hintergründe zu erläutern. Einige wenige Szenen reichen, um sowohl die angespannte Lage wie auch die Figuren grob zu skizzieren. Ambitionierte Sänger, deren Auftritt abgesagt wurde, widerspenstige Jugendliche, Soldaten außer Dienst – es ist eine bunte Mischung aus Menschen und Schicksalen, die an dem unglückseligen Tag zufällig zusammenfand und durch eine Tragödie zusammengeschweißt wurde.

Die tragischste Gestalt ist dabei sicher die des Wachmanns Melvin Dismukes (John Boyega). Der ist selbst schwarz, genießt aufgrund seines Berufes aber einen Sonderstatus. Wie sehr darf er den drangsalierten Hotelgästen zur Seite stehen, ohne selbst zum Opfer zu werden? Der reale Dismukes litt auch Jahre später noch darunter, hier zwischen den Stühlen gestanden zu haben und dafür von anderen auch kritisiert worden zu sein. Er habe mit den Verbrechern kollaboriert, hieß es. Zumindest in Detroit ist davon aber wenig zu spüren. Vielmehr zeigt der Film den moralischen Zwiespalt auf, so wie insgesamt Schwarz und Weiß zu einem dreckigen Grau verschwimmen.

Es darf auch mal einfacher sein
Das soll nicht bedeuten, dass Bigelow und Boal doch mal für Vereinfachungen zu haben wären. Vor allem die Figur des Philipp Krauss ist alles andere als differenziert gezeichnet. Von Anfang sind sein Hang zur Selbstjustiz und sein Rassismus offenkundig. Größere Schwankungen gibt es da nicht, auch keine weitergehenden Charaktermerkmale. Das macht ihn natürlich zu einem idealen, wenn auch nicht sonderlich interessanten Feindbild – für eine frei erfundene Figur inmitten des aufwendig recherchierten Films ist das ein bisschen wenig Tiefgang. Stoff zum Nachdenken wird auf eine solche Weise zumindest nicht mitgegeben, zumal das eine oder andere auch nicht ganz plausibel erscheint. Dass beispielsweise keiner in der Todesgefahr auf die Idee kommt, die Spielzeugwaffe zu erwähnen, die sie alle zuvor gesehen haben, lässt sich kaum begründen.

Wohl aber ist es Stoff, der äußerst schmerzhaft ist, es auch bis weit über den Film hinaus bleiben wird. Obwohl das Ergebnis des Vorfalls bekannt ist, so spannt Detroit doch sehr auf die Folter. Der begrenzte Schauplatz des Motels, das Gefühl des Ausgeliefertseins, der Mangel an echten Helden, all das trägt dazu bei, dass einem als Zuschauer die Geschichte durch Mark und Bein ging. Das Publikum ist damit in bester Gesellschaft: Aufgrund ihrer Arbeitsweise, die den Schauspielern wenig Raum für Planung ließ, forderte Bigelow ihnen einiges ab. Der Dreh wurde zu einer Tortur, die sich bis in die Kinosessel hinein spüren lässt. Wut und Ohnmacht diktieren das Geschehen, der Unglaube, dass etwas Derartiges geschehen konnte, die Angst auch, dass es wieder passieren könnte. Es wieder passieren wird, so viele Jahrzehnte später.



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„Detroit“ erinnert an einen rassistisch bedingten und tödlichen Vorfall, der 50 Jahre zurück liegt und dabei erschreckend aktuell erscheint. Trotz der einen oder anderen Vereinfachung und Unglaubwürdigkeit ist das Thrillerdrama eine spannende und erschütternde Geschichtsstunde, die durch Mark und Bein geht.
8
von 10