Stromaufwaerts
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Stromaufwärts

(OT: „En amont du fleuve“, Regie: Marion Hänsel, Belgien/Niederlande/Kroatien, 2016)

Stromaufwaerts
„Stromaufwärts“ läuft ab 28. September 2017 im Kino

Sie sind beide schon im gut mittleren Alter und sind eng miteinander verwandt. Doch bis vor Kurzem wussten Homer (Olivier Gourmet) und Joé (Sergi López) gar nichts voneinander. Kein Wunder: Während Homer beim gemeinsamem Vater aufwuchs, lebte Joé bei seiner Mutter. Erst als ihr Vater stirbt und die beiden sich bei der Beerdigung gegenüberstehen, erfahren sie, dass es den jeweils anderen überhaupt gibt. Aber besser spät als nie. Und so beschließen die beiden Halbbrüder, eine gemeinsame Bootsfahrt durch Kroatien zu unternehmen – wo sich auch ihr Vater zuletzt aufgehalten hat. Aber auch die idyllische Landschaft kann nicht lange verbergen, wie unterschiedlich die zwei sind. Und wie zerrüttet die Familie.

Tod und Leben sind in Filmen ja oft eng miteinander verknüpft. Das Ende des einen ist der Anfang des anderen. Manchester by the Sea erzählte Anfang des Jahres die herzzerreißende Geschichte eines Mannes, der sich nach dem Tod des Bruders um dessen Sohn kümmern muss. Dieses Motiv haben wir zuletzt häufiger auf der Leinwand gesehen: Ein Familienmitglied stirbt, der Rest kommt zurück in die Heimat und muss sich nicht nur mit dem Tod, sondern auch der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen.

Die Suche nach der Gemeinsamkeit
Stromaufwärts ist da ganz ähnlich. Und doch auch ganz anders. Auch hier wird es mit einer Beerdigung beginnen, auch hier finden Familienmitglieder zueinander. Der Unterschied ist jedoch, dass es hier keine gemeinsame Vergangenheit auszugraben gibt. Denn die gab es ja nie. Joé hat seinen Vater nie gekannt, dessen Existenz war zu Hause immer in Tabuthema gewesen. Und doch hat er sich immer gefragt, wie er wohl gewesen sein mag. Das tut er noch heute, mit rund 50 Jahren.

Kinder sind sie beide nicht und stehen doch im Schatten ihres Vaters. Der eine, weil er ihn nicht kannte. Der andere, weil er ihn kannte. 15 Jahre hat Homer nicht mit ihm gesprochen, aus gutem Grund, wie wir später feststellen. Dabei wird Regisseurin und Co-Autorin Marion Hänsel nicht nur diesen lange geheim halten. Sie lässt sich bei ihrem Film allgemein nicht gern in die Karten schauen. Stromaufwärts beginnt damit, dass die beiden Männer am Hafen ihre letzten Vorbereitungen treffen. Da sind Kinder, der kleine Hund, der später dabei sein wird, das Wasser, Boote. Wer die Männer sind, was sie wollen, in welcher Verbindung sie stehen – der Film verrät es nicht. Kontext: Fehlanzeige.

Vom Schweigen und versteckten Wunden
Das macht den Einstieg für den einen interessant, neugierig stimmend, für den anderen vielleicht frustrierend und ungeduldig stimmend. Stromaufwärts ist Mystery, ohne ein Mysteryfilm zu sein. Das ist ungewöhnlich und doch überaus passend für einen Film, der viel vom Unbekannten und Ungesagten handelt. Von Tabuthemen und Wahrheiten, die man nicht wahrhaben wollte. Es ist ein Abbild des Lebens, das sich auf dem Boot allmählich aufbauen wird. Ein Leben, das viele Wunden zurückgelassen hat, zwei Männer, die es nie gelernt haben, groß zu reden – was ironisch ist, wenn einer von ihnen als Autor sein Geld verdient.

Ein bisschen Humor findet sich dann auch immer wieder in Stromaufwärts. Es sind jedoch keine Gags im eigentlichen Sinn, nicht einmal wirkliche Situationskomik. Aber man darf doch schmunzeln, wie die beiden verschlossenen Männer da sitzen, sich darum bemühen, sich einander kennenzulernen und mehr zu erfahren, aber irgendwie nicht wirklich wissen, wie das nun gehen soll. Und es ist wunderbar authentisch, wie Gourmet (Daguerreotype) und López (Pans Labyrinth) mit kleinen Gesten und feinem Minenspiel da Identitäts- und Sinnsuche betreiben. Später wird der Film ein wenig zulegen, die gemütlich ungemütliche Fahrt schippert dann fast schon in Krimigewässern umher. Und gezofft wird in Familien ja ohnehin, egal ob man sich nun kennt oder nicht. Ansonsten aber ist die niederländisch-belgisch-kroatische Koproduktion ein Fall für Genießer: Während um uns wunderbare Aufnahmen aus Kroatien vorbeigleiten, tauchen wir immer tiefer ein in die Familiengeschichte und in die Psyche der beiden Männer, die vielleicht nicht die ganz großen Sympathieträger sind, einem aber doch irgendwie nahegehen.



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Zwei Halbbrüder erfahren auf der Beerdigung des gemeinsamen Vaters voneinander und beschließen, eine Bootsfahrt zu unternehmen – das hört sich nach einer Katastrophe an. Der Film ist es nicht. Vielmehr ist „Stromaufwärts“ ein authentisches und wohltuend ruhiges Drama über zwei Männer, die noch mit 50 von dem übermächtigen Schatten ihres Vaters verfolgt werden und sich unbeholfen annähern.
8
von 10