Kare Kano

(„Kareshi Kanojo no Jijō“ directed by Hideaki Anno and Kazuya Tsurumaki, 1998-99)

Kare KanoGeheimagenten, Cyborgs, Fabelwesen – in den letzten Wochen standen in unserem fortlaufenden Animationsspecial fast immer sehr ungewöhnliche Figuren im Mittelpunkt. Dass es ganz anders geht, zeigt Teil 68, dessen Geschichte direkt aus dem Alltag entnommen wurde und dennoch – oder gerade deshalb – eine der interessanten Anime-Romanzen überhaupt ist.

Sie sieht gut aus, ist zu allen hilfsbereit und freundlich, hat dazu noch die besten Noten – Yukino Miyazawa gilt bei den anderen als absolut perfekt. Doch das ist nur eine Maske, das Ergebnis eines krampfhaften Kampfes um Anerkennung und ständiger Lügen. Der einzige, der um ihr Geheimnis weiß, ist ihr neuer Mitschüler Soichiro Arima, der ebenfalls nach außen hin makellos wirkt und dahinter seine dunkle Seiten verbirgt. Und so zögert er auch nicht, Yukinos Schwäche gnadenlos auszunutzen und diverse Gefälligkeiten zu erpressen – bis dabei dann ganz andere Gefühle entstehen.

Nachdem Hideaki Anno 1995 mit seiner psychologisch-philosophischen Mechaserie Neon Genesis Evangelion die Animewelt umgekrempelt hatte und damit weltweit für Furore sorgte, war die Neugierde groß, was der japanische Regisseur wohl als nächstes tun würde. Die Antwort folgte rund drei Jahre später und fiel ganz anders aus, als es wohl jemand erwartet hätte. Keine blutige Action stand auf dem Programm, kein Science Fiction, sondern die Verfilmung des Mangas „Kare Kano“ von Masami Tsuda, der von einer Romanze zweier Schüler handelt.

Seinem Faible für seelische Abgründe blieb er aber auch hier treu: Anders als bei vielen Liebesgeschichten, wo die Protagonisten zu makellos sind, um wahr zu sein, wird es hier hinter der Fassade mitunter ziemlich hässlich. Wer bin ich eigentlich? Wer will ich für andere sein? Wie werde ich von ihnen gesehen? Diese Fragen dürfte sich so ziemlich jeder einmal in seinem Teenageralter gestellt haben, die Schwierigkeiten von Yukino und Soichiro ihr Inneres und Äußeres in Einklang zu bringen, zu ihren eigenen Schwächen und Unsicherheiten zu stehen, wird hier vielen aus der Seele sprechen. Die beiden mögen mit ihren geheimen Intrigen nicht immer sympathisch sein, sind dabei aber glaubwürdig. Kare Kano – im englischsprachigen Raum auch als His and Her Circumstances bekannt – verzichtet auf das in Anime oft anzutreffende, völlig übertriebene Melodram, präsentiert stattdessen kleine Alltagsgeschichten über Geltungsbedürfnis, Eifersucht, Unsicherheit und verwirrende Gefühle.

Dabei ist die Serie auch noch überraschend witzig, baut sowohl inhaltlich wie auch optisch viele humorvolle Elemente ein. Zu viele, nach Ansicht von Tsuda, die nur wenig angetan von Annos Adaption war, die den Comedyteil stärker betonte als der Manga. Die Folge: Der Regisseur räumte nach 18 Folgen das Feld, überließ für die verbliebenen acht die Verantwortung seinem langjährigen Mitarbeiter Kazuya Tsurumaki (FLCL), was eine spürbar andere Stimmung nach sich zog. Eine Fortsetzung war damit ebenfalls vom Tisch, was sehr schade ist, da Kare Kano so mittendrin einfach abbricht, die Serie nur eine Einleitung ohne wirklichen Abschluss ist.

Doch trotz des unbefriedigenden Endes und des uneinheitlichen Tons ist die Mangaverfilmung für jeden empfehlenswert, der auch nur ansatzweise etwas mit Liebeskomödien anfangen kann. Und auch für die Liebhaber ungewöhnlicher Optik hat Kare Kano einiges zu bieten. Die Zusammenarbeit der Animationsstudios Gainax (Gurren Lagann, Wish Upon the Pleiades) und J.C.Staff (Selector Infected WIXOSS, Honey and Clover) ist vielleicht nicht die technisch versierteste, dafür aber sehr abwechslungsreich: Ob nun Szenen aus dem Manga eingeblendet werden, sich das Bildformat plötzlich ändert, Realaufnahmen oder auch mal nur Textdialoge zum Einsatz kommen, Anno bewies, dass ein massentaugliches Thema und Experimentierfreude sich nicht ausschließen müssen. Und das ist eine Kombination, die man in dem oft gleichförmigen Anime-Medium viel zu selten findet.



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Ein Anime über eine Schulromanze? Ja, aber eine, die es in sich hat: „Kare Kano“ setzt sich glaubwürdig und dabei sehr komisch mit den Alltagsproblemen und -lügen zweier Jugendlicher auseinander, ist dabei optisch sehr abwechslungsreich umgesetzt. Zum Schluss kippt die Stimmung jedoch spürbar, die Serie bricht mittendrin ab.
7
von 10