Kino’s Journey
© KEICHI SIGSAWA ● MEDIA WORKS / „Kino’s Journey“ Production Committee

(„Kino no tabi“ directed by Ryūtarō Nakamura, 2003)

Kinos JourneyNachdem wir letzte Woche in Felidae die Gärten und Hinterhöfe unserer Umgebung erkundet haben, geht es in Teil 46 unseres fortlaufenden Animationsspecials in die weite Welt hinaus. Doch was uns dort erwartet ist nicht minder traurig und düster als im Katzenkrimi.

Drei Tage, nicht mehr, nicht weniger – genau so lange will Kino auf ihrer Reise durch die Welt in jedem Land Halt machen. Viel ist das nicht, aber doch genug, um einen Eindruck in die jeweilige Gesellschaft und ihre Einwohner zu gewinnen. Nur in Begleitung ihres sprechenden Motorrads Hermes erlebt sie dabei Abenteuer, macht mal berührende, dann wieder gefährliche Erfahrungen, die oft auch in Frage stellt, wie sie die Welt sieht.

Wenn Animefans den Namen Ryūtarō Nakamura hören, dann denken sie in erster Linie an Serial Experiments Lain, jene bahnbrechende Science-Fiction-Serie, mit der er Ende der 90er viele Entwicklungen des Internets bereits vorwegnahm. Dabei war der Japaner noch an einigen anderen interessanten Filmen und Serien beteiligt, darunter auch an Kino’s Journey. Während die auf der gleichnamigen Light-Novel-Reihe von Keiichi Sigsawa basierende TV-Produktion in den USA regelmäßig in Geheimtipplisten auftaucht, ist sie hierzulande relativ unbekannt. Ein Grund dafür ist mit Sicherheit, dass sie mit dem Bankrott des damaligen Verleihs ADV Films der Bezug recht rar geworden ist. Doch der Kauf lohnt, gerade für  Freunde ungewöhnlicher Anime.

Mit der Optik hat dies eher weniger zu tun, mehr als Durchschnitt hat das wenig bekannte Studio A.C.G.T hier nicht abgeliefert. Hintergründe und Animation sind einfach, einige der Figuren sind durch ihr kantiges Design auffälliger, insgesamt sind sie aber oft austauschbar. Lediglich der zeitweilige Gebrauch einer starken Überblendung à la Lain sticht etwas hervor, wenn besondere Situationen auch als solche erkenntlich gemacht werden sollen.

Was Kino’s Journey bei der Verpackung verpasst, macht es durch den seltsamen, zum Nachdenken anregenden Inhalt aber mehr als wett. Schon die Titelfigur hat so gar nichts mit dem Gros der Animeserien zu tun. Still und zurückhaltend im Auftreten erfahren wir erst nach einigen Folgen, dass der vermeintliche in einen Mantel gepackte Junge in Wirklichkeit ein Mädchen ist. Dies wird jedoch nicht als großer Twist verkauft, sondern beiläufig in einer Rückblende erzählt. Doch viel mehr als das verrät uns die Serie auch nicht. Wir wissen nicht, wer Kino ist, wer der angesprochene Meister, warum sie auf Reise geht. Nicht einmal eine wirkliche Entwicklung dürfen wir mitmachen: Was bei anderen eine Steilvorlage für eine Coming-of-Age-Geschichte gewesen wäre – eine Jugendliche fährt durch die Welt und lernt andere Sitten und Ansichten kennen – ist hier eher ein Abenteuer, das mal Science Fiction, mal Fantasy ist, vor allem aber ein Drama.

Schon ihre erste Station in einem Land, in dem sämtliche Menschen aus Angst vor Schmerz in völliger Isolation leben, gibt die melancholische Richtung von Kino’s Journey vor. Oft stehen hier traurige Schicksale im Mittelpunkt, der Kampf ums Überleben, der Kampf gegen das Vergessen, der Kampf fürs Vergessen. Selbst in den skurrileren Momenten ist häufig auch Düsteres verborgen. Das soll nicht heißen, dass es nichts zu lachen gäbe, gerade das sprechende Motorrad Hermes als Sidekick sorgt für diverse kleine Absurditäten. Selbst Actionszenen fehlen hier nicht, denn Kino ist sowohl mit Schuss- wie auch Stichwaffen äußerst geschickt, am Ende der Serie werden eine ganze Reihe von Menschen ihr Leben gelassen haben.

Doch skurriler Witz hin, blutige Action her, Kino’s Journey ist in erster Linie eine sehr ruhige Angelegenheit, die sehr viele interessante Fragen zum menschlichen Miteinander aufwirft. Dürfen wir eine kleine Gruppe an Menschen opfern, damit der Rest in Frieden leben kann? Wie gehen wir damit um, wenn wir keine Traditionen mehr haben? Was machen wir, wenn Maschinen unsere sämtliche Arbeit erledigen und wir uns damit selbst nutzlos gemacht haben? Einen Zusammenhang zwischen diesen Fragen wird keiner gebaut, die Folgen stehen immer für sich alleine. Und wirkliche Antworten werden ebenfalls keine gegeben. Die Reise in die fremden Länder, die muss hier jeder für sich antreten, und dabei für sich mitnehmen, was er selbst dort findet. All das macht die Serie sicher nicht zu Blockbustermaterial, zumal das Philosophieren manchmal etwas forciert ist, die Charakter nie wirklich real wirken. All diejenigen, die auch nach den Credits noch gerne über das Gezeigte nachdenken, werden hier jedoch viele spannende Anregungen finden.



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Ein Mädchen reist durch die Welt und lernt dabei die unterschiedlichsten Menschen und Kulturen kennen: Die philosophisch angehauchte, insgesamt eher ruhige Animeserie ist optisch nur durchschnittlich, die Figuren wirken nie wirklich real. Dafür regt „Kino’s Journey“ aber mit den oft traurigen Geschichten zum Nachdenken an.
8
von 10