Pieta

Pieta

(„Pieta“ directed by Kim Ki-duk, 2012)

PietaEine Frau mittleren Alters, gehüllt in ein bodenlanges Kleid und einen ebenso langen Schleier, auf ihrem Schoß liegt ein erwachsener Mann – das Cover von Pieta erinnert ganz bewusst an die gleichnamige Darstellung der Maria mit dem vom Kreuz genommenen Leichnam Jesu Christi. Mitleid und Frömmigkeit lauten die Übersetzungen des italienischen Wortes „pietà“. Doch für beides ist im Leben von Kang-do (Lee Jung-jin) kein Platz. Sein Geld verdient der junge Mann als Schuldeneintreiber für Kredithaie. Besonders gierige Kredithaie: Zurückzuzahlen ist die zehnfache Summe, innerhalb eines Monats. Weil bei derart harten Vertragsbedingungen die Chancen, den Kredit zu begleichen, gegen Null gehen, hat Kang-dos Boss bereits vorgesorgt: Jeder Schuldner muss zeitgleich eine Versicherungspolice abschließen. Sollte der Unterzeichnende plötzlich arbeitsunfähig werden, wird ein hoher Betrag fällig. Kang-do muss also nur noch die Geschäftspartner zum Krüppel machen und sein Boss streicht die Versicherungspolice ein.

Schön ist dieses Leben natürlich nicht, aber Kang-do hat sich ganz gut damit arrangiert. Immerhin reicht es, um sich eine kleine Wohnung in Seoul leisten zu können. Dieser graue wie grausame Alltag wird jedoch eines Tages durchbrochen, als eine Frau (Cho Min-soo) auftaucht und sich als seine verschollene Mutter Min-sun vorstellt. Zunächst will der junge Mann von seinem angeblichen Familienglück nichts wissen und versucht, die Fremde aus seinem Leben fernzuhalten – wenn es sein muss mit Gewalt. Doch mit der Zeit akzeptiert er die neue, ungewohnte Situation. Als Min-sun daraufhin so plötzlich verschwindet, wie sie aufgetaucht ist, macht er sich auf die Suche nach ihr; eine Suche, die ihn in seine eigene grausame Vergangenheit zurückführt.Pieta Szene 1

Das Land des massiven wirtschaftlichen Aufschwungs, einer der Original-Tigerstaaten, das Land des Elektroriesen Samsung und des Gangnam Styles, einer boomenden Unterhaltungsindustrie überhaupt – so kennen wir Südkorea. Aber es gibt auch ein zweites Südkorea, das wir nicht kennen. Eines, das uns nicht von Hochglanzbildern oder poppigen Musikvideos entgegenspringt. Eines der vielen Verlierer, die während des Tigersprungs an der Seite herunterfielen und in Vergessenheit gerieten. Gerade das heruntergekommene Industrieviertel am Fluss Cheonggyecheon ist voll von ihnen. Und hier ist es auch, dass die Kredithaie ihre willigen Opfer finden. Wenn sich nämlich jemand von Kang-dos Boss Geld leiht, dann handelt es sich dabei natürlich nicht um einflussreiche Wirtschaftsbosse sondern um kleine unbedeutende Menschen, die verzweifelt an dem Traum eines eigenen Ladens festhalten. Ein Laden, der oft so schäbig ist, dass man nicht auf Anhieb sieht, wo er aufhört und der allgegenwärtige Müll auf den Straßen beginnt.

Eine Kapitalismuskritik sollte Pieta laut Regisseur und Drehbuchautor Kim Ki-duk werden. Und die ist auch allgegenwärtig zu spüren, wenngleich sie sich ein wenig hinter den vordergründigen Thrillerelementen um den brutalen Kang-do versteckt. Dabei sind die Gewaltszenen weniger explizit, als man meinen möchte. Wir wissen zwar, welche Grausamkeiten er an den Schuldnern ausübt, gezeigt wird davon jedoch durch geschickte Schnitte und Kameraeinstellungen fast nichts. Überhaupt gehört dies sicher zu den Stärken von Kim Ki-duk, wie er mit wenig Mitteln das Maximum aus seinen Geschichten holt. Zwanzig Tage Drehzeit, ein geringes Budget, mehr brauchte der Südkoreaner nicht, um Pieta fertigzustellen. Und dieser Minimalismus gilt auch für seine Dialoge: Wie schon in Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling, seinem vermutlich bekanntesten Film, verzichtet er auf überflüssige Wörter und lässt lieber Bilder und Stimmungen für sich sprechen.Pieta Szene 2

Den Schauplatz stärker ins Kopfkino zu verlegen, nimmt Pieta aber nichts von seiner Wucht. Auch so dürften die meisten Zuschauer auf ihren Sitzen und Sofas unruhig hin und her rutschen, um dem unbequemen Film zu entkommen. Glaubwürdig ist das Geschehen zwar nicht immer, intensiv dafür umso mehr. Letztes Jahr erhielt Kim Ki-duk für diese Mischung aus Sozialdrama und Rachethriller deshalb auch als erster Koreaner den Goldenen Löwen beim Filmfestival in Venedig. Zu zartbesaitet sollte man dennoch besser nicht sein, wenn man die traurige Welt im Cheonggyecheon-Viertel durchstreifen möchte. Glücksmomente sind Mangelware und wenn sie doch aufblitzen – meist in Szenen des neugefundenen Mutter-Sohn-Gespanns – verschwinden sie schnell wieder hinter den Fassaden der Werkstätten und Wellblechhäuser; Ruinen des Wohlstands, die genauso zerstört sind wie ihre Bewohner.



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Der neueste Film des Südkoreaners Kim Ki-duk ist trotz – vielleicht auch aufgrund? – seiner minimalen Mittel ein gewaltiger wie gewalttätiger Film über Schuld und Sühne geworden, ein unbequemer Blick auf die Verlierer einer Gesellschaft, in der Geld alles andere verdrängt.
7
von 10