Lichter

Lichter

(„Lichter“ directed by Hans-Christian Schmid, 2003)

LichterNachdem der deutsche Filmemacher Hans-Christian Schmid in dem Psycho-Thriller „23“ und der Tragik-Komödie „Crazy“ die Jugend in den Mittelpunkt seines Interesses stellte und sich damit schon einen Namen machen konnte, sucht er in „Lichter“ erstmals erwachsenes Terrain auf. An Anspruch und Tiefe hat es in den vorangegangenen Filmen bereits nicht gefehlt, so hat er sich die Messlatte selbst hoch gelegt.
Der Schauplatz ist die Grenzregion zwischen Deutschland (Frankfurt/Oder) und Polen (Slubice). Hier spielen sich unterschiedliche Schicksale ab Der noch sehr junge Zigarettenschmuggler Andreas (Sebastian Urzendowsky) wird durch ständige Demütigungen (z.B. unerwiderte Liebe) gezwungen seine passive Haltung aufzugeben. Ingo (Devid Striesow) ist Pächter eines Matratzen-Discounts. Er wehrt sich gegen den geschäftlichen Bankrott und dem existentiellen Aus. Antoni (Zbigniew Zamachowski), ein polnischer Taxifahrer, will seiner Tochter unbedingt ein Kommunionskleid besorgen. Um an das Geld zu gelangen ist er sogar bereit moralische und gesetzliche Grenzen zu übertreten Die Ukrainer Kolja (Ivan Shvedoff), Anna (Anna Janowskaja) und Dimitri (Sergej Frolov) haben alles aufgegeben, um in den Westen einen Neuanfang zu wagen. Dafür sind sie sogar bereit erhebliche Risiken einzugehen. Die Dolmetscherin für Flüchtlinge Sonja (Maria Simon) bekommt während ihrer Arbeit bei der Polizei Mitleid mit einem Flüchtling und hilft diesem. Philip (August Diehl) ist ein junger deutscher Architekt. Bei einer Wiederbegegnung mit seiner Ex-Freundin Beata (Julia Krynke) auf einer Geschäftsreise in Polen erkennt er seine Fehler. Verzweifelt versucht er diese wieder gut zu machen.
Unabhängig der deutsch-polnischen Beziehungen auf der politischen Bühne erzählt Schmid von deutsch-polnischen Menschenschicksalen, die so oder zumindest auf ähnliche Weise, täglich geschehen. Dafür wählt der Filmemacher keine chronologische Erzählstruktur. Er spinnt ein verschachteltes Episoden-Netz, wodurch ein postmodernes Sittengemälde entsteht, ja eine soziologische Milieu- und Charakterstudie vorgelegt wird. Die Auswüchse Globalisierung, die ökonomischen Strukturen und Zwänge sowie fehlgeleitete Menschen- und Weltbilder, zeichnen um die Oder eine eiskalte Seelenlandschaft. Der Titel Lichter ist Programm („Nomen est Omen“): Lichter werfen Schein und verursachen Schatten für diejenigen, die kein Licht haben. Im übertragenen (politischen oder wirtschaftlichen) Sinn: Deutschland hat jede Menge Licht (Wohlstand, Arbeitsplätze) und Polen liegt im Schatten (Armut). Auf einer zweiten (metaphorischen) Ebene erzeugt Licht Schein, also Illusion oder Täuschung. So wird das Handeln oft von falschen Hoffnungen getragen bzw. die guten Absichten werden „ent-täuscht“.
Schmid macht in den 102 Minuten darüber hinaus deutlich, dass es in der Realität kein Schwarz-Weiß gibt. Vielmehr zeichnet er ein Abbild der Wirklichkeit mit all seinen Graustufen und Nuancen nach. Eine Episode zeigt auf, dass wenn jemand aus ethischen Gründen handelt, noch lange nicht deswegen dafür belohnt werden muss. Umgekehrt, kann es passieren, dass wenn man ganz am Boden liegt, bedingungslose Hilfe erhält. Diejenigen, die gegen die Normen verstoßen, kann man nicht vollkommen moralisch diskreditieren, denn sie verfolgen auch nur dasselbe Ziel wie alle anderen auch: Glück.
Die Überzeugungskraft eines Films lebt von der Leistung seiner Schauspieler, vor allem dann, wenn es um derart authentische Stoffe handelt. August Diehl („Die Fälscher“, „Inglourious Basterds“), Maria Simon („Goodbye Lenin“, „Nichts als Gespenster“) oder Devid Striesow („Der Untergang“, „Die Fälscher“, „Yella“) stehen symptomatisch für das was deutsches Kino zu leisten vermag. Neben dem Engagement der Darsteller strahlt auch der Soundtrack des Films das düstere und verzerrte Weltbild Schmids wider. Die Indie-Pop-Band komponierte ebensolche Klanglandschaften: Die roh-klingenden, flächig- verzerrten Gitarrenmelodien fangen genau die verzweifelte Stimmung des Films ein und kanalisieren diese in das Gehör des Zuschauers, der so nach dem Film nicht mehr derselbe ist, wie zuvor.
Schmid versteht es auf innovative Weise – durch seinen erzähltechnischen Stil – anspruchsvolle Kost äußerst unterhaltsam und sogar spannend zu vermitteln. Er bietet nichts weniger als das nackte Leben. Aber wie er das macht, ist meisterlich. Deshalb gilt für „Lichter“: einer der besten deutschen Filme überhaupt. Somit hat der deutsche Filmemacher seine Messlatte nicht gerissen.



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