Ghost in the Shell
© 1995. 2008 Masamune Shirow / Kadansha Ltd. / Bandai Visual Co. Ltd.

(„Kōkaku Kidōtai“ directed by Mamoru Oshii, 1995)

Ghost in the ShellLetzte Woche zeigte uns Approved for Adoption, dass Animationsfilme hervorragend dazu geeignet sind, um sehr persönliche Rückblicke auf das eigene Leben zu geben. Teil 62 unseres fortlaufenden Animationsspecials ist das genaue Gegenteil, denn der futuristische Anime nahm vor 20 Jahren viele Fragen vorweg, die heute im Science-Fiction-Genre zum Standardrepertoire gehören.

Im Jahr 2029 haben die Menschen die Einschränkungen ihres natürlichen Körpers längst überwunden, künstliche Implantate verleihen ihnen deutlich gesteigerte Fähigkeiten. Doch diese technischen Hilfsmittel haben einen Nachteil: Sie lassen sich von anderen manipulieren. Ein unbekannter Hacker namens Puppet Master tut genau dies und ist dadurch in der Lage, die Cyborgs zu kontrollieren und Verbrechen verüben zu lassen, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Als auch verschiedene Staatsbeamte auf diese Weise ausgenutzt werden, soll eine Sondereinheit, angeführt von der fast vollständig künstlichen Major Motoko Kusanagi, den mysteriösen Hacker finden und unschädlich machen.

Akira und Ghost in the Shell – wann auch immer das Thema aufkommt, durch welche Filme Anime im Westen salonfähig geworden sind, tauchen fast zwangsläufig diese beiden Titel auf. Doch es ist nicht nur der Erfolg, der die beiden eint, sondern auch das Setting: Beide spielen sie in einer dystopischen Zukunft, in der unkontrollierbare technische Möglichkeiten zu einer Gefahr für die Gesellschaft geworden sind. Basierend auf einem Manga von Masamune Shirow („Appleseed“, „Dominion – Tank Police“) geht Ghost in the Shell an der Stelle noch weiter. Waren die Protagonisten in Akira noch menschlicher Natur, sind hier die Grenzen zwischen Mensch und Maschine so stark verwischt, dass die Zuordnung kaum mehr funktioniert.

„Was ist ein Mensch?“, lautet dann auch eine der zentralen Fragen des Films. „Was macht eine Persönlichkeit aus?“ eine weitere. Ein eigener Wille, könnte die Antwort lauten, Erinnerungen vielleicht oder auch Erfahrungen. Doch all das lässt sich hier manipulieren, die verstörendste Szene ist, als eine der Figuren feststellen muss, dass all die Bilder in seinem Kopf von außen eingefügt wurden, sein ganzes bewusstes Leben damit eine Lüge ist. Auch Motoko stellt sich diese Fragen und sucht dabei nach einem Sinn für ihre Existenz, haben für sie als Cyborg die bekannten Kriterien doch keine rechte Bedeutung mehr.

Diese ausgeprägte philosophische Komponente ist bei Ghost in the Shell Stärke und Schwäche zugleich. Auf der einen Seite ist der Film ein Fest für alle etwas nachdenklich veranlagten Zuschauer, die gerne auch nach dem Abspann etwas von dem Gezeigten mit ins eigene Leben nehmen. Und wie relevant die Fragen noch immer sind, zeigen Science-Fiction-Kollegen wie Ex Machina, die zwanzig Jahre später ganz ähnliche Fragen stellen. Gleichzeitig ist der Film aber durch die Kopflastigkeit etwas blutleer, es mangelt an einer echten Identifikationsfigur. Und auch die von Hongkong inspirierte Stadt, so stimmungsvoll sie hier auch dargestellt wurde, ist so weit weg von den Protagonisten und dem Inhalt, dass man nie das Gefühl hat, Teil von ihr oder einer wirklichen Welt im Allgemeinen zu sein – Ghost in the Shell ist mehr Gedankenexperiment als tatsächliche Zukunftsvision.

Dennoch gehört der der Beitrag vom Fantasy Filmfest 1996 für Genre- wie Animationsfans zum Pflichtprogramm: Regisseur Mamoru Oshii (Patlabor, Angel’s Egg) schuf hier einen Science-Fiction-Klassiker, der packend und anregend zugleich ist, Technikverliebtheit mit existenziellen Überlegungen verbindet. Audiovisuell ist das Ganze auch sehr stimmig umgesetzt, die dunklen Bilder und die elektronische Musik unterstützen die düstere Atmosphäre sehr schön. Etwas in die Jahre gekommen ist Produktion des Animationsstudios Production I.G (Jin-Roh, Psycho-Pass) dann aber doch, zum einen im technischen Bereich, aber auch die Charakterdesigns sehen schon sehr nach den 80ern aus. Etwas zeitgemäßer ist die Version Ghost in the Shell 2.0, bei dem es sich nicht, wie man vermuten könnte, um den Nachfolger handelt – dieser lautet Ghost in the Shell 2 – Innocence –, sondern um eine 2008 erschienene überarbeitete Fassung. Ob man diese dem Original vorziehen sollte, ist Geschmackssache: Einige Effekte sind deutlich moderner geworden, dafür gibt es einen seltsamen CGI- und Zeichentrickmix, der nicht immer aus einem Guss wirkt.



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Was macht einen Menschen aus? Können Maschinen eine Persönlichkeit haben? „Ghost in the Shell“ stellt Fragen, die auch 20 Jahre später noch zum Nachdenken anregen. Trotz seines etwas kopflastigen, blutleeren Inhalts ist der düstere Science-Fiction-Film daher Pflichtprogramm für Genre- und Animationsfans.
8
von 10