Zweitland
© Starhaus Filmproduktion
Zweitland
„Zweitland“ // Deutschland-Start: 20. November 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Heute ein Urlaubsparadies, aber vor gut 60 Jahren ein Pulverfass: Südtirol wurde jahrelang von einer Eskalation der Gewalt erschüttert. Auf der einen Seite der separatistische „Befreiungsausschuss Südtirol“, der die Vereinigung mit den österreichischen Gebieten Tirols herbeibomben wollte, auf der anderen Seite der italienische Staat, der mit aller Härte zurückschlug. Hintergrund war die anhaltende Benachteiligung der deutschsprachigen Bevölkerung, die mit dem italienischen Faschismus unter Mussolini begann und trotz eines Autonomiestatuts nach dem Zweiten Weltkrieg weiterging. Mittendrin in den Ereignissen um die sogenannte „Feuernacht“ 1961: Landwirt und Befreiungskämpfer Anton (Laurence Rupp), seine Frau Anna (Aenne Schwarz) und Bruder Paul (Thomas Prenn), der eigentlich in München Kunst studieren will, aber mit Anna den Hof versorgen muss, weil Anton nach der „Feuernacht“ flieht. Der aus Südtirol stammende Regisseur Michael Kofler macht daraus einen packenden Mix aus Familien- und Historiendrama mit erschreckend aktuellen Bezügen.

Ungleiche Brüder

Beim Ringkampf auf dem Dorffest versteht man, wie die ungleichen Brüder Paul und Anton zueinander stehen. Anton, der Ältere, ist eindeutig stärker. Aber Paul gibt nicht auf, bis der Schiedsrichter den Schultersieg anzeigt. Und selbst dann schlägt er dem großen Bruder unvermittelt ins Gesicht. Der nimmt die unfaire Attacke nicht krumm, sondern legt den Arm um den Jüngeren. Als wollte er sagen: Glückwunsch, gut gekämpft. Es steht also nicht so einfach zwischen den beiden, wie man es im politischen Kontext gerne hätte. Schwarz-Weiß-Denken ist im familiären Kontext nicht angebracht. Und auch Anna, die wieder als Lehrerin arbeiten möchte und für die damalige Zeit erstaunlich fortschrittliche Ansichten vertritt, ist keine Figur aus dem politischen Lehrbuch, sondern ein komplexe Persönlichkeit mit vielen Ecken und Kanten. Die knappen Szenen, in denen die Charaktere in ihrer ganzen Vielfalt bereits skizziert sind, machen Hoffnung auf eine Konstellation jenseits eines Lehrstücks, in dem die Figuren nur Platzhalter für Ideologien wären.

Michael Kofler, der hier sein Spielfilmdebüt vorlegt, stammt selbst aus einer ländlichen Gegend in Südtirol. Schon in seiner Jugend fragte er sich, wie es sein konnte, dass das heute so selbstverständliche Zusammenleben von Italienern und Tirolern noch vor relativ kurzer Zeit so spannungsgeladen war. Gesprochen wurde darüber in seiner Jugend nicht. Es war ein Tabu, auch wenn die Narben der Vergangenheit noch sichtbar waren. Also beschloss Michael Kofler, der in London studierte und heute in München lebt, zu recherchieren und die Ereignisse in einem Drehbuch zu verarbeiten.

Fataler Kreislauf der Gewalt

Zweitland bemüht sich dabei nicht um einen Blick aus der Distanz, sondern springt mitten hinein in die unterschiedlichen Perspektiven der Akteure. Die Handkamera von Felix Wiedemann ist nahe dran an den Gesichtern der Hauptdarsteller. Sie erspürt die inneren Erschütterungen, die Demütigungen und die unterdrückte Wut vor allem von Anna und Paul, die ihre Gefühle in sich hineinfressen müssen, um zu überleben. Sie registriert aber auch Bedenken oder zumindest leise Zweifel bei der italienischen Polizei, bei der einige ihren Job übereifrig und andere eher nachdenklich tun. Und sie lässt die nervöse Spannung greifbar werden, die sich spätestens seit den Anschlägen auf knapp 40 Strommasten in der „Feuernacht“ über die Gegend und ihre Bewohner legt. Der Sprengstoff explodiert nicht nur in der Realität, er liegt gleichsam in der Luft und droht jederzeit hochzugehen, bei jedem Wort, jeder Aktion, jedem falschen Blick.

Lange Zeit macht es der Film nicht leicht, Partei zu ergreifen, denn gute Argumente scheinen alle zu haben. Jene, die Taten statt Worte sprechen lassen. Die anderen, die auf Vernunft und Verhandlungen setzen. Und vor allem die, die sich aus der „großen“ Politik raushalten und mit Akten der Menschlichkeit kleine Zeichen setzen. Das ist gezielt so inszeniert, wie Michael Kofler in einem Interview bestätigt: „Ich sehe mich nicht als jemanden, der Position beziehen muss oder soll. Mir ist es wichtig, beide Konfliktparteien zu zeigen und zu verstehen.“

Liest man bei Wikipedia über die „Feuernacht“ nach, so staunt man, wie viel exakte Nachzeichnung der Historie in den Film eingeflossen ist. Trotzdem ist Zweitland keine Geschichtsstunde, sondern ein Drama, das dank der drei überzeugenden Hauptdarsteller auch allein als Familiengeschichte funktionieren würde. Und trotz einer unglaubwürdigen Zuspitzung am Schluss fasziniert der Film vor allem durch seine klare Positionierung in Sachen politischer Gewalt. Erschreckend konsequent führt er vor, wie aus der anfänglichen Zerstörung von Infrastruktur letztlich ein fataler Kreislauf aus Untergrund, Radikalisierung und schließlich gezielten Morden erwächst. Den aktuell so erfolgreichen Neuen Rechten und ihren militanten Hilfstruppen möchte man den Film deshalb unbedingt ans Herz legen. Wer seine Anhänger auffordert, den Bundestag zu stürmen, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann bei Demonstrationen Galgen mitgeführt werden.



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Zweitland
fazit
Vor dem Hintergrund separatistischer Terroranschläge im Südtirol der 1960er entfaltet „Zweitland“ ein komplexes Dreiecksgeflecht zwischen einem Attentäter, seiner Frau und seinem Bruder. Regisseur Michael Kofler hält keine Geschichtsstunde ab, sondern taucht ein in eine Atmosphäre, die erschreckende Bezüge zur Gegenwart aufweist.
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