Falstaff – Glocken um Mitternacht
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Falstaff – Glocken um Mitternacht

Falstaff – Glocken um Mitternacht
„Falstaff – Glocken um Mitternacht“ // Deutschland-Start: 27. Dezember 1968 (Kino) // 18. April 2024 (DVD)

Inhalt / Kritik

Falstaff (Orson Welles) ist ein in die Jahre gekommener und in die Breite gegangener Ritter und Müßiggänger, der sich seinen spärlichen Lebensunterhalt mit Gaunereien verdingt. Einer seiner besten Kumpane ist der junge Heinz (Keith Baxter), als Prinz von Wales einer der möglichen Thronfolger für den aktuellen König Heinrich IV. (Sir John Gielgud). Aber auch „Heißsporn“ Heinrich Percy (Norman Rodway) hat aufgrund seiner Blutlinie Chancen, der neue Regent Englands zu werden, wenn der kränkelnde Herrscher in absehbarer Zeit verstirbt. Währenddessen vergnügen sich Falstaff, Heinz und ihre Freunde weiterhin mit Überfällen im Wald, bei denen Heinz sich einen Spaß daraus macht, seinen dicken Kumpan an der Nase herumzuführen. Bei den anschließenden Treffen in der Pension von Frau Hurtig (Margaret Rutherford) zeigt der prahlerische Falstaff einmal mehr, wie er auf äußerst charmante Weise die Wahrheit dehnen und manipulieren kann, um am Ende als großer Held seiner Erzählung dazustehen. Die Tage des Müßiggangs finden aber bald ein Ende, als Heinrich Percy auf seine Rechte pocht und seine Männer in die Schlacht um den Thron führt.

Der liebenswerte Lügenbaron

Die literarische Figur des Falstaffs geht auf William Shakespeare (1564-1616) zurück, der den dicken Ritter gleich in mehreren seiner Bühnenstücke einbaute. Neben größeren Parts in Heinrich IV. – Teil 1, Heinrich IV. – Teil 2 und Die lustigen Weiber von Windsor wird Sir John Falstaff auch in Shakespeares Heinrich V. noch einmal erwähnt, in dem schließlich dessen Tod geschildert wird. Filmgenie Orson Welles (1915-1985; Citizen Kane, Der dritte Mann) hat sich 1965 all dieser Shakespeare-Vorlagen angenommen, zusätzlich noch Elemente aus Richard II. eingebaut und die Erzählstimme (im Original: Ralph Richardson) als verbindendes Element mit Zitaten aus Raphael Holinsheds Chroniken von England, Schottland und Irland bestückt. Herausgekommen ist dabei Orson Welles‘ ganz eigene Geschichte um die beliebte komische Nebenfigur Falstaff, die Welles darüber hinaus auch noch auf kongeniale Weise auf der Leinwand selbst verkörpert hat.

Für den Regie-Titanen Orson Welles war es zeitlebens nicht einfach, seine Filmvorhaben zu finanzieren. Obwohl er sich mit Citizen Kane den Ruf erworben hatte, ein Regie-Wunderkind zu sein, und auch nachfolgende Werke, wie beispielsweise Im Zeichen des Bösen, zu den großen Klassikern der US-amerikanischen Filmkultur gehören, blieb die Finanzierung seiner Werke stets eine Herausforderung. Der Prozess aus dem Jahr 1962, Welles‘ Adaption des unvollendeten Romans von Franz Kafka, konnte trotz internationaler Starbesetzung mit Anthony Perkins, Romy Schneider und Jeanne Moreau, lediglich als französisch-italienisch-westdeutsche Koproduktion gestemmt werden. Falstaff war Welles‘ nachfolgendes Kinoprojekt, das er abermals nicht in den USA produzieren konnte, sondern als spanisch-schweizerische Koproduktion gedreht wurde. Aber auch hier konnte er auf ein exzellentes Darstellerensemble zurückgreifen. Jeanne Moreau besetzte er erneut in einem kleinen Gastauftritt, ansonsten glänzt der Film durch seine gefeierten Shakespeare-Mimen John Gielgud und Keith Baxter, auch die schrullige Miss Marple-Legende Margaret Rutherford bereichert den Film.

Unwürdiger Thronfolger

Orson Welles hat es als (nicht genannter) Drehbuchautor geschafft, fünf Shakespeare-Stücke sinnvoll zu verdichten und im Kern auf die Figur Falstaff zu fokussieren, so dass am Ende eine eigenständige Geschichte herausgekommen ist, die nach den Worten des zeitgenössischen, einflussreichen Filmkritikers Vincent Canby „vielleicht der größte Shakespeare-Film“ ist, „der je gedreht wurde, ohne Ausnahme.“ Der 1966 in Cannes uraufgeführte Falstaff – Glocken um Mitternacht kann in der Tat auch heute noch überzeugen, da er mit einer Garde geeigneter Darsteller in Szene gesetzt wurde, die die klassischen Dialoge ohne großen Pathos lebensecht und mitreißend zu proklamieren verstehen. Orson Welles hat das Ganze mit viel Feingefühl in Szene gesetzt und die ihm geradezu auf den massigen Leib geschneiderte Rolle mit Selbstironie und Spielfreude ausgefüllt.

Edmond Richards Kameraführung ist für die damalige Zeit überaus dynamisch ausgefallen. Die Vielzahl der unterschiedlichen Kameraperspektiven und der gleichfalls rasante Schnitt erwecken zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, man würde hier lediglich ein Theaterstück bebildern. Hinzu kommen einige überaus spektakulär inszenierte Massenszenen (als nicht genannter Regisseur der zweiten Einheit war Schmuddelfilmer Jesús FrancoNachts, wenn Dracula erwacht – an der Produktion beteiligt), die auch heute noch für Staunen sorgen, zumal sie mitunter recht blutrünstig ausgefallen sind. Liebhabern der Shakespeare’schen Sprache und den hier beteiligten Darstellern sei der Film nach wie vor ans Herz gelegt. In der Pidax-Reihe „Arthouse“ ist Falstaff – Glocken um Mitternacht nun wieder neu auf DVD erschienen. Das Schwarz-Weiß-Bild (im Widescreen-Format 1,78:1) ist nicht weiter zu beanstanden, ebenso wenig der Ton (Deutsch und Englisch in Dolby Digital 2.0, optional mit deutschen Untertiteln). Als einziges Extra hat man eine nette animierte Bildergalerie mit aufgespielt.

Credits

OT: „Campanadas a medianoche“
Land: Spanien, Schweiz
Jahr: 1965
Regie: Orson Welles
Drehbuch: Orson Welles
Vorlage: William Shakespeare
Musik: Angelo Francesco Lavagnino
Kamera: Edmond Richard
Besetzung: Orson Welles, Keith Baxter, John Gielgud, Margaret Rutherford, Jeanne Moreau, Fernando Rey, Norman Rodway

Bilder

Trailer

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Falstaff – Glocken um Mitternacht
fazit
Der Film kann auch heute noch überzeugen, da er mit einer Garde geeigneter Darsteller in Szene gesetzt wurde, die die klassischen Shakespeare-Dialoge ohne großen Pathos lebensecht und mitreißend zu proklamieren verstehen. Orson Welles hat das Ganze mit viel Feingefühl in Szene gesetzt und die ihm geradezu auf den massigen Leib geschneiderte Titelrolle mit Selbstironie und Spielfreude ausgefüllt.
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