Morgen ist auch noch ein Tag C’è Ancora Domani
© Tobis Film / Claudio Iannone / Luisa Carcavale

Morgen ist auch noch ein Tag

Morgen ist auch noch ein Tag C’è Ancora Domani
„Morgen ist auch noch ein Tag“ // Deutschland-Start: 4. April 2024 (Kino)

Inhalt / Kritik

Rom, 1946: Delia (Paola Cortellesi) lebt mit ihrem Mann Ivano (Valerio Mastandrea) und den drei Kindern in einer engen Kellerwohnung. Hier ist auch noch der alte und bettlägerige Schwiegervater Ottorino (Giorgio Colangeli) zu versorgen, ein Macho vom alten Schlag. Auch auf Delias Mann hat die frauenfeindliche Haltung des Vaters und der damaligen Gesellschaft abgefärbt. Ivano schlägt Delia aus nichtigen Anlässen, er demütigt sie quasi aus Gewohnheit, tagein und tagaus. Die Frau lässt es klaglos geschehen, als eine Art böses Schicksal, das einem widerfährt, wenn man aus verblendeter Verliebtheit den falschen Mann heiratet. Trotz allem ist Delia eine Kämpferin. Ihre Tochter Marcella (Romana Maggiora Vergano) soll es einmal besser haben. Dafür tut die Mutter alles. Und dann erhält sie auch noch einen geheimnisvollen Brief, der mit einem Mal die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen scheint im spannenden Emanzipationsdrama von Regisseurin und Hauptdarstellerin Paola Cortellesi.

Buntes Treiben in Schwarz-Weiß

Ein Schwarz-Weiß-Film mit einer Heldin aus dem einfachen Volk: Regisseurin Paola Cortellesi verbeugt sich in ihrem Debüt tief vor der neorealistischen Glanzzeit des italienischen Kinos. Aber nicht Nostalgie treibt die in ihrer Heimat populäre Schauspielerin und Moderatorin um, sondern ein selbstbewusster Umgang mit der Tradition, der sie frisches Blut injiziert. Unterdrückung und weiblicher Widerstand liegen bei ihr so nahe zusammen wie Sozialdrama und Komödie. Morgen ist auch noch ein Tag erzählt keine reine Leidensgeschichte, sondern feiert die List, die Tapferkeit und den Mut von Frauen, die zur Generation von Cortellesis Großmüttern zählen und das Land nach der Katastrophe des Faschismus an vorderster Front mit aufgebaut haben.

Der Verfremdungseffekt humorvoller Einlagen wertet die genaue Recherche keineswegs ab. Der Film basiert unter anderem auf Erzählungen aus der eigenen Familie sowie auf Schicksalen von deren Nachbarn und Bekannten. So entsteht ein authentisches Bild einer Zeit, in der ein Großteil der Frauen die Gewalt der Männer wie ein Naturgesetz akzeptiert. Nach der Rückkehr der Männer aus dem Krieg lassen sich viele in alte Rollen zurückdrängen, nicht nur in Bezug auf rohe physische Gewalt. Die Ungerechtigkeit lauert an allen Ecken und Enden: bei der Schulbildung für die Mädchen, bei der ungleichen Bezahlung, beim Verbot, einer Arbeit nachzugehen und zudem beim fehlenden Wahlrecht.

Das alles streift der Film wie beiläufig und erzielt damit nachhaltigere Effekte, als wenn er mit dem Finger darauf gezeigt hätte. Zugleich erzählt er von der Komplexität und Widersprüchlichkeit des Lebens, selbst unter bedrückenden Umständen. Gleich zu Beginn schildert eine lange Kamerafahrt den alltäglichen Trubel auf den römischen Straßen: Ein Frisör schneidet Haare im Freien, ein Kriegsversehrter pfeift der attraktiven Delia nach, junge Mädchen üben Tänze ein, und die GIs der amerikanischen Besatzungsmacht betrachten lässig das bunte Treiben.

Selbstbewusste Gegenmodelle

Kurz nach der Befreiung vom Faschismus pulsiert die Hoffnung auf eine bessere Zukunft durch die altehrwürdige Stadt. Auch einige Frauen lassen sich davon anstecken. Da ist zum Beispiel Delias beste Freundin Marisa (Emanuela Fanelli), eine Gemüsehändlerin, die ihren Mann vor versammelter Kundschaft herunterputzt und eine Ehe auf Augenhöhe führt. Und da ist die Inhaberin eines Textilgeschäfts, die selbstbewusst einem Lieferanten Paroli bietet, der ihre Unterschrift nicht akzeptieren will, sondern nach der ihres Mannes verlangt. Es sind solche Gegenmodelle, die das Schwarz-Weiß-Format bunt erscheinen lassen. Und auch die Figur der Delia ist keineswegs als graue Maus oder Leidensmadonna gezeichnet. Unter der pragmatischen Duldungsmiene lässt sich das Aufblitzen von Protest und Aufbegehren kaum übersehen.

Die Mischung aus neorealistischen Bezügen, cineastischem Stilwillen und unterhaltsamem Spannungskino erklärt auch den großen Erfolg des Regiedebüts von Paola Cortellesi in ihrem Heimatland. Laut Presseheft war die Tragikomödie mit fünf Millionen Besuchern im vergangenen Jahr der erfolgreichste Film in Italien, noch vor Barbie und Oppenheimer. Und das, obwohl das erstaunlich reife Erstlingswerk keinerlei Eskapismus betreibt, sondern hochaktuelle Probleme aufgreift. In Italien werden jedes Jahr rund 100 Frauen durch männliche Gewalttäter ermordet. Im übrigen Europa sieht es kaum besser aus, von dem Gender-Pay-Gap und dem alltäglichen Sexismus ganz zu schweigen.

Credits

OT: „C’è Ancora Domani“
Land: Italien
Jahr: 2023
Regie: Paola Cortellesi
Drehbuch: Furio Andreotti, Giulia Calenda, Paola Cortellesi
Musik: Lele Marchitelli
Kamera: Davide Leone
Besetzung: Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, Emanuela Fanelli, Giorgio Colangeli, Vinicio Marchioni, Francesco Centorame

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Morgen ist auch noch ein Tag
fazit
„Morgen ist auch noch ein Tag“ ist eine neorealistisch angehauchte Tragikomödie mit einem guten Schuss Lebensfreude und einem geschlechterpolitischen Impuls, der nicht eigens ausgestellt wird, sondern wie selbstverständlich daherkommt. Regisseurin und Hauptdarstellerin Paola Cortellesi erzählt mit Herzblut von der Generation ihrer Großmütter – und spricht damit höchst aktuelle Probleme an.
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