Christos Nikou bei der Premiere von "Fingernails" beim BFI London Film Festival (Foto: Dave Benett)

Christos Nikou [Interview]

Fingernails erzählt die Geschichte von Anna (Jessie Buckley), der durch einen neuen Test wissenschaftlich bewiesen wurde, dass sie ihren Freund Ryan (Jeremy Allen White) liebt. Und doch bleiben Zweifel, weshalb sie bei dem Institut eine Stelle annimmt, wo eben diese Tests durchgeführt wird. Doch dadurch wird es erst richtig kompliziert, weil sie Amir (Riz Ahmed) kennenlernt und ihm dadurch näherkommt. Zum Start des Liebesfilms am 3. November 2023 auf Apple TV+ haben wir uns mit Regisseur und Autor Christos Nikou unterhalten. Im Interview erzählt er uns, wie er auf diese Idee gekommen ist und ob er selbst einen solchen Test bei sich durchführen lassen würde.

Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Fingernails verraten? Wie bist du auf die Idee gekommen?

Ich hatte die Idee vor einigen Jahren, als ich versucht habe zu verstehen, was Liebe bedeutet. Das versuche ich heute übrigens immer noch, weil ich vieles nicht verstehe. Warum ist Liebe so schwierig? Und warum benutzen heute so viele Dating Apps, bei denen die darauf angewiesen sind, dass ihnen ein Algorithmus die Antwort gibt? Die Menschen wischen mit ihrem Finger nach links oder rechts, immer auf der Suche nach dem perfekten Treffer. Das war für uns der Anlass, um uns ganz allgemein Gedanken über Liebe zu machen, ohne dabei notwendigerweise auch Antworten zu geben.

Und weshalb die Sache mit den Fingernägeln? Ihr hättet ja auch etwas anderes nehmen können, um zu überprüfen, ob eine Liebe echt ist. Das hatte für mich schon etwas von einem Horrorfilm …

Echt? Das war gar nicht meine Absicht, auch weil ich persönlich Horrorfilme nicht mag. Natürlich ist es hart zu sehen, wie jemand der Fingernagel herausgerissen wird. Aber es war für uns eine Möglichkeit aufzuzeigen, dass du dabei etwas verlierst. Wir wollten den Schmerz der Liebe mit einem physischen Schmerz verbinden. Dass es die Finger trifft liegt daran, dass wir sie andauernd verwenden, wenn wir in der digitalen Welt unterwegs sind. Da war das für uns passend. Außerdem stecken wir Ringe an die Finger, wenn wir heiraten und nutzen das als eine Liebesauszeichnung. Wenn wir einen Ring tragen, wollen wir allen anderen demonstrieren, dass wir uns lieben.

Nachdem du so viel über das Thema nachgedacht hast, bist du zu einem Schluss gekommen, was Liebe überhaupt ist? Wie würdest du sie definieren?

Das ist natürlich schwierig. Uns war es aber wichtig zu sagen, dass Liebe weh tun kann und dass sie etwas ist, an der du jeden Tag arbeiten musst. Es reicht eben nicht, sie einfach nur einmal zu beweisen und das war es dann. Du kannst auch nicht erwarten, dass du auf alles eine Antwort bekommst oder dass alles sofort klappt. Du musst dabei Geduld haben.

Würdest du denn sagen, dass Liebe etwas Biologisches ist? Denn das wird ja impliziert, wenn man die Liebe im Fingernagel messen kann.

Ich denke, dass Liebe etwas Instinktives ist. Du musst auf deinen Instinkt hören und nichts anderes. Und du musst dich darauf einlassen, wenn sie da ist. Das hört sich jetzt nach einem ziemlichen Klischee an, aber du lebst nur einmal. Deswegen ist es wichtig, dass du alles fühlst, selbst dann, wenn es einmal weh tun sollte.

Ich fand die Idee faszinierend, dass in deinem Film Liebe wissenschaftlich bewiesen werden kann. Wenn es diese Möglichkeit gäbe, wäre das etwas Positives oder etwas Negatives?

Für mich wäre das ganz definitiv negativ. Wie ich gesagt habe, ist Liebe für mich nichts, das du beweisen kannst. Du musst an ihr arbeiten. Außerdem fände ich es seltsam, wenn dir jemand anderes sagt, ob du jemanden liebst. Liebe ist keine Wissenschaft.

Du würdest diese Möglichkeit also nicht nutzen, wenn es sie gäbe?

Nein. Ich traue mir selbst da dann doch mehr als anderen. Und wenn ich mich irre, dann ist auch das in Ordnung. Wir sind hier, um Fehler zu machen.

Aber könntest du nachvollziehen, wenn andere die Antwort haben wollen?

Das schon, ja. Es gibt Leute, die eine solche Antworten wollen und brauchen. Viele wollen sie ja schon, noch bevor sie jemanden treffen. Wenn sie jemanden in einer App kennenlernen, wollen sie alles vorher schon wissen, um keine Überraschungen zu erleben. Für mich ist das aber falsch und sogar etwas erschreckend. Das Leben ist schön, eben weil es überraschend ist und du nicht weißt, was passieren wird.

Und wenn du dann in der Beziehung bist, solltest du dann alles wissen wollen?

Das ist schon das Ideal. Aber das kann nur geschehen, indem du viel Zeit mit jemandem verbringst und die Person täglich siehst. Das kann dir kein Algorithmus abnehmen.

Dieses Bedürfnis, sich eine Liebe beweisen zu lassen, hat das deiner Meinung nach zugenommen?

Ich denke schon, ja. Die Menschen sind sehr unsicher und kommen damit nicht klar. Dabei denke ich, dass es manchmal gut ist, unsicher zu sein. Wir können nicht alles wissen und müssen das auch nicht. Wir sind keine Götter.

Und wenn jemand mit Beziehungsproblemen zu dir kommen würde? Hättest du einen Rat?

Weiß ich nicht. Das hängt davon ab, ob ich die Person kenne. Es gibt so viele Paare, die in einer Paartherapie sind. Das ist auch etwas, das ich nicht verstehe. Wie kannst du jemanden um Rat fragen, der dich gar nicht kennt? Wie will der das denn beurteilen können? Das ist wie bei den Menschen in unserem Film, die alle einem Institut vertrauen.

In deinem Film spielt Musik eine große Rolle. Wenn du ein Lied aussuchen müsstest, das für dich das perfekte Liebeslied ist, welches wäre das?

I Hope That I Don’t Fall in Love With You von Tom Waits. Das höre ich immer, wenn ich mich gerade verliebe. Keine Ahnung warum.

Fingernails war dein erster englischsprachiger Film. Dein Debüt Apples war noch auf Griechisch gewesen. War das von Anfang an geplant, dass der neue auf Englisch sein würde?

Tatsächlich ja. Vom Moment an, als ich an der Geschichte gearbeitet habe, war das auf Englisch geplant. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon mit Leuten in den USA gearbeitet. Es war einfacher, das Projekt auf Englisch umzusetzen. Außerdem ist es eine sehr universelle Geschichte und ich wollte, dass möglichst viele sich den Film anschauen können.

Und wie war die Erfahrung für dich? Hat das alles geklappt?

Sicher. Mein Englisch ist vielleicht nicht das Beste. Aber die filmische Sprache besteht sowieso aus den Bildern, weswegen das kein Problem für mich war. Ich würde sogar einen Film auf Deutsch drehen, selbst wenn ich nur ein einziges deutsches Wort kenne: „wunderbar“.

Letzte Frage: Arbeitest du schon an einem neuen Projekt? Gibt es etwas, das du uns verraten kannst?

Ich will einen Film über Komparsen drehen, die in einem berühmten Film mitspielen.

Vielen Dank für das Gespräch!



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