Stephen Frears (Mitte) während der Deutschland-Premiere von "The Lost King" beim Filmfest München 2023 (© Filmfest München / Bojan Ritan)

Stephen Frears [Interview]

The Lost King (Kinostart: 5. Oktober 2023) erzählt die Geschichte von Philippa Langley (Sally Hawkins), die sich nach einer Theateraufführung von Richard III. dem historischen König so verbunden fühlt, dass sie sich auf die Suche nach seinen sterblichen Überresten macht. Dafür erntet sie zunächst nur Spott, wird von vielen nicht ernstgenommen. Doch sie bleibt hartnäckig und am Ende gelingt ihr die Sensation. Wir haben Regisseur Stephen Frears während der Deutschland-Premiere des Dramas beim Filmfest München 2023 getroffen. Im Interview sprechen wir über reale Vorbilder, den Reiz der Geschichte und lügende Politiker.

The Lost King erzählt die wahre Geschichte von Philippa Langley, die die sterblichen Überreste von Richard III. sucht. Was hat dich an der Geschichte gereizt?

Es ist einfach eine tolle Geschichte. Natürlich ist es komplett lächerlich, dass unter einem Parkplatz die Überreste eines Königs gefunden wurden. Und doch ist es eine Geschichte, die viele Menschen berührt. Ich mochte die Hartnäckigkeit der Frau. Ihren Mut, das so durchzuziehen. Dann gibt es diese Attacke auf Shakespeare. Und natürlich das Ergebnis, das so niemand erwartet hätte. Es gab also einiges an der Geschichte, das ich mochte.

Ist diese Hartnäckigkeit etwas, das du bewunderst?

Ja und nein. Du kannst einen Menschen bewundern und gleichzeitig denken: Komm schon, werde erwachsen. Das sind schon widersprüchliche Gefühle. Aber das ist manchmal so. Das Leben kann kompliziert sein.

War Philippa beim Film involviert?

Beim Drehbuch, ja. Bei mir nicht. Wenn ich eine Frage hatte, wurde sie an Philippa weitergeleitet und sie hat mir geantwortet. Beim Dreh selbst war sie aber nicht dabei. Tatsächlich habe ich sie erst getroffen, als der Film bereits fertig war.

Als du die Schauspielerin für Philippa gesucht hast, worauf kam es dir an? Weshalb Sally Hawkins?

Es war eher umgekehrt, dass ich Sally begegnet bin und wusste, dass sie die Richtige ist. Wirklich gesucht habe ich also gar nicht. Sally ist jemand, die zerbrechlich wirkt, aber in Wahrheit aus Stahl ist. Sie hatte ein schwieriges Leben und musste das alles überwinden, was sie zu einem sehr starken Menschen gemacht hat. Deswegen war sie perfekt für Philippa, die auch beides ist: zerbrechlich und hart.

The Lost King
In „The Lost King“ ist Philippa Langley (Sally Hawkins) von dem gleichnamigen verstorbenen König (Harry Lloyd) besessen. (© X Verleih AG)

Du hast mehrere Filme hintereinander gedreht, die von realen Personen handeln. Ist das etwas, das du gezielt suchst?

Auf keinen Fall. Das ist etwas, das sich ergeben hat. Wobei die Menschen solche Geschichten lieben. Wenn du sagst, dass du eine wahre Geschichte erzählst, hast du mehr Leute, die dir zuhören.

Warum sind die Menschen denn so daran interessiert?

Keine Ahnung. Darauf habe ich selbst keine Antwort.

Wie bist du denn auf diese Geschichte gekommen?

Sie war damals in allen Nachrichten. Ich komme selbst aus Leicester, wo die Überreste gefunden wurden. Die Stadt ist damals völlig durchgedreht. Ich selbst habe nur gelacht, als ich davon gehört habe, wie die anderen auch.

Aber warum jetzt zehn Jahre später noch einen Film dazu machen?

Letztendlich waren es Steve Coogan und Jeff Pope, die mich dazu gebracht haben. Sie hatten das Drehbuch geschrieben, das mir sehr gut gefallen hat. Sie waren es also, die die Idee hatten. Ich habe nur zugestimmt. Außerdem hatten wir eine gute Zeit zusammen bei Philomena.

Wird denn heute noch über die Geschichte gesprochen?

Nein. Nur in Leicester. Die können nicht genug davon bekommen.

Bei Philippa wird irgendwann klar, dass die Suche nach Richard mehr als nur archäologisches Interesse ist. Warum ist ihr das so wichtig?

Es stimmt, dass es dabei um mehr geht. Die Suche ist für sie etwas Persönliches, ein Teil ihres Reifungsprozesses. Für sie ist Richard III. eine Möglichkeit zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Sie gewinnt an Selbstvertrauen und ist am Ende ein anderer Mensch geworden. Warum es nun ausgerechnet dieses Thema ist, das sie so angesprochen hat, weiß ich nicht. Im Grunde hätte es jedes Thema sein können.

Hilft dir die Arbeit an solchen Filmen auch selbst zu wachsen?

Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich versuche natürlich als Filmemacher zu wachsen. Nur, woran mache ich das fest? Man hat mir damals bei Die Queen gesagt, dass ich das alles richtig hinbekommen habe. Aber was heißt das?

Ist das etwas, worüber du dir überhaupt Gedanken machst, dass es am Ende richtig ist?

Das schon, klar. Beispielsweise hat die Universität von Leicester damals gesagt, dass sie es waren, die die Überreste gefunden hat. Das war völlig gelogen. Die wollten einfach nur den Ruhm einheimsen für die Arbeit, die Philippa geleistet hat. Und das Schlimmste ist: Einige Zeitungen haben die Universität und ihr schändliches Verhalten sogar verteidigt. Es gibt schon einige richtig dumme Leute bei der englischen Presse. Und niemand hat sich entschuldigt für diese ganzen Lügen. Da ist es schon ziemlich befriedigend, das wieder geradezurücken und die Wahrheit zu zeigen.

Wollen die Leute denn belogen werden?

Absolut, da bin ich ganz sicher. Deswegen musst du besonders hart arbeiten, damit die Wahrheit noch durchdringt. Nimm den Brexit, der wirklich auf jeder Ebene eine Katastrophe war. Das kam nicht überraschend, du konntest das im Vorfeld schon sehen, dass es so laufen wird. Wenn du jetzt mit den Leuten darüber sprichst, siehst du, wie sie mit sich ringen, weil niemand zugeben will, falsch gelegen zu haben. Die Politiker reden schon gar nicht mehr darüber und wollen nicht daran erinnert werden. Die Art und Weise, wie sie bewusst gelogen und die Unzufriedenheit der Menschen ausgenutzt haben, war gleichzeitig kriminell und clever. Die Lügen waren spektakulär.

Ist das eine britische Eigenschaft oder universell?

Nun, niemand war so blöd wie wir und ist der EU ausgetreten. Es gibt mit Sicherheit auch Idioten in anderen Ländern, die sich gern anlügen lassen. Aber niemand war so gut darin wie die Briten.

In den USA haben sie Trump gewählt.

Das stimmt. Er wurde dort aber abgewählt. Zumindest ein Teil der Bevölkerung hat also dazugelernt und hasst den Mann jetzt.

Und doch gibt es immer noch viele, die ihn als Präsident gut fanden.

Oh ja. Es ist unglaublich, wie dumm manche Menschen sind. Aber es gibt mehr, die ihn hassen und deswegen zur Wahl gehen, weil sie sehen, was für ein grauenvoller Typ er ist.

In dem Film redet Philippa immer mal wieder mit Richard. Wenn du eine historische Persönlichkeit aussuchen könntest, um mit ihr zu reden, wen würdest du auswählen?

Vielleicht Billy Wilder oder John Ford, also jemand, der in meinem eigenen Beruf arbeitet. Carol Reed war ein so cleverer Regisseur und hat so gute Filme gedreht. Mit ihm hätte ich gern einmal gesprochen.

Letzte Frage: Was sind deine nächsten Projekte?

Ich habe zusammen mit Kate Winslet The Palace gedreht, eine große Serie für HBO. Und nächstes Jahr will ich tatsächlich einen Film über Billy Wilder drehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Stephen Frears wurde am 20. Juni 1941 in Leicester, England geboren. Er kam in den 1960er Jahren über das Theater zum Film. Seinen Durchbruch als Regisseur schaffte er 1985 mit dem Drama Mein wunderbarer Waschsalon, basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen Gefährliche Liebschaften (1988), Grifters (1990) und Die Queen (2006).



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