Die einfachen Dinge Les choses simples
Lambert Wilson als erfolgreicher Unternehmer in "Die einfachen Dinge" ( © Neue Visionen Filmverleih)

Lambert Wilson [Interview]

In Die einfachen Dinge spielt Lambert Wilson den erfolgreichen Unternehmer Vincent, der eines Tages eine Autopanne in den Bergen hat und dabei den Einsiedler Pierre (Grégory Gadebois) kennenlernt, der ihm aus der Patsche hilft. Was zunächst nach einer einmaligen Zufallsbegegnung aussieht, ist nur der Anfang eines ganz besonderen Verhältnisses. Nicht nur, dass sich Vincent später bei Pierre einquartiert, obwohl der davon nichts wissen will. Er verfolgt dabei noch ein ganz anderes Ziel. Anlässlich des Kinostarts am 21. September 2023 haben wir uns mit Lambert über die Arbeit an dem Film und das Thema Freundschaft unterhalten.

 

Warum hast du Die einfachen Dinge gedreht? Was hat dich an dem Film interessiert?

Ein erster Grund war, dass ich mit Grégory Gadebois arbeiten würde. Ich bin ein Fan von ihm und halte ihn für einen der besten Schauspieler Frankreichs. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, da war in einem Theaterstück, bei dem er allein auf der Bühne stand, wusste ich schon, dass ich mit ihm arbeiten will. Wir sind uns im Anschluss immer mal wieder über den Weg gelaufen, ohne aber dass es zu der Zusammenarbeit kam. Noch bevor ich das Drehbuch gelesen habe, stand deshalb für mich fest, dass ich „Ja“ sagen würde.

Und wie war es dann letztendlich, mit ihm zu spielen?

Großartig. Ich wusste, dass es bei ihm kein Wettstreit sein würde. Es gibt Schauspieler, die unbedingt gewinnen wollen, was ich absolut grauenvoll finde. Er braucht diese Aufmerksamkeit nicht und hat kein Interesse daran, Szenen an sich zu reißen. Er ist sehr engagiert, stellt sich dabei aber immer im Dienst der Geschichte. Das ist so viel einfacher, weil du dich ganz auf die Geschichte und die Figuren konzentrieren kannst. Allein dafür hat es sich gelohnt. Ich fand aber auch das Drehbuch interessant.

Was genau war es, das du interessant fandest?

Es reizte mich, jemanden zu spielen, der es gewohnt ist, sich selbst wie ein Schauspieler zu verhalten und ständig anderen etwas vorspielt. Er weiß dadurch schon gar nicht mehr, was real ist. Als Schauspieler bist du gezwungen, ständig Emotionen zu erzeugen und andere dafür wegzupacken. Du darfst beispielsweise auf einer Bühne keine Angst haben. Dafür musst du vielleicht andere unangenehme Gefühle erzeugen wie Wut oder Trauer. Durch diesen ständigen Wechsel kann es sein, dass du deine eigenen Gefühle verlierst und beispielsweise bei einer schlechten Nachricht, die dich richtig mitnehmen würde, nichts fühlst, weil deine innere Maschine kaputt ist. Vielleicht lachst du auch hysterisch an einer völlig falschen Stelle. Jemanden zu spielen, dem das ähnlich geht, war schon spannend.

Außerdem ist das Thema, einen Seelenverwandten zu finden, ein sehr schönes und wichtiges. Freundschaft. Tatsächlich war der ursprüngliche Titel „Ein großartiger Freund“.  Interessant fand ich in dem Zusammenhang, dass Éric Besnard, der Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat, die Tricks der Liebeskomödie nimmt und bei einer Geschichte über zwei Männer anwendet, die Freundschaft schließen. Dabei bleibt der Film auch zweideutig. Als meine Figur Vincent Pierre bei seinen Liebesproblemen helfen will, kommen sich die beiden sehr nah und für einen Moment weißt du nicht, was als nächstes geschieht. Wenn Vincent die Rolle der Frau spielt und „ich liebe dich“ sagt, treibt er diese Zweideutigkeit schon sehr weit.

Die einfachen Dinge Les choses simples
Der Beginn einer ganz eigenen Freundschaft in „Die einfachen Dinge“: Unternehmer Vincent (Lambert Wilson) nistet sich bei dem Unternehmer Pierre (Grégory Gadebois) ein. © Neue Visionen Filmverleih

An einer Stelle im Film diskutiert ihr auch über die Schwierigkeit, Freundschaften zu definieren. Wie würdest du sie denn definieren?

Freunde sind Menschen, die du dir aussuchst, im Gegensatz zu deiner Familie und dem Umfeld, in das du hineingeboren wirst. Du suchst dir Leute, mit denen es harmonisch ist, weil wir Menschen uns nach Harmonie sehnen. Leute, bei denen du dich geborgen fühlst. In jungen Jahren willst du dafür so viele wie möglich um dich haben. Doch mit der Zeit wird das weniger. Für mich selbst habe ich festgestellt, dass ich gerne auch allein bin, weshalb ich die Zahl an Leuten, die ich wirklich Freunde nennen würde, drastisch reduziert habe. Freundschaft bedeutet für mich auch eine Art Seelenverwandtschaft. So als hättest du diese Menschen vorher schon gekannt und würdest jetzt wieder eine Verbindung herstellen. Bei manchen musst du dich nicht einmal unterhalten. Mit meinen Freunden muss ich nicht reden, es reicht, wenn sie in meiner Nähe sind, damit ich mich verbunden fühle. Wichtig ist mir auch, dass diese Freundschaft an keine Erwartungen geknüpft sind. Dass ich keinen Nutzen habe, der darüber hinausgeht, dass ich da bin. Ich habe erkennen müssen, dass viele etwas von mir wollten und mich dadurch ausgenutzt haben. Deswegen habe ich mich von vielen Menschen trennen müssen und achte sehr verstärkt darauf, dass es eine reine Verbindung ist, keine zweckgebundene.

Aber Vincent will etwas von Pierre, es geht ihm also nicht nur um den Menschen. Kann darauf basierend eine Freundschaft entstehen?

Ich denke, dass Vincent selbst davon überrascht ist. Es stimmt, dass die Geschichte schlecht losgeht und mit einer Absicht verbunden ist. Aber davon muss er sich lösen, um eine Freundschaft zu beginnen. Freundschaften sind frei von Absichten und einem Nutzen. Sie sind auch frei von Rationalität. Wenn du Grégory und mich nimmst, wir sind sehr unterschiedliche Menschen. Wir brauchen einander nicht. Ich weiß nicht, ob ich uns wirklich Freunde nennen würde, aber jedes Mal, wenn wir uns sehen, ist da eine Verbindung.

Ab einem gewissen Punkt in der Geschichte ist Vincent fest entschlossen, Pierre bei seinen Liebesproblemen zu helfen, obwohl der sich gar nicht helfen lassen will. Ist das dann noch Hilfe? Wo ziehst du die Grenze zwischen einem anderen zu helfen und dich ihm aufzudrängen?

Das stimmt, das grenzt fast schon an Vergewaltigung, wie er Pierre bedrängt. Ich glaube schon, dass Vincent wirklich helfen will und dies aus altruistischen Motiven heraus tut. Er spürt, wie schüchtern Pierre ist. Und er hat die nötige Erfahrung, weil er ständig mit anderen Menschen zu tun hat und weiß, wie er sie bewegen kann. In meinem Beruf triffst du sehr viele Leute, die schüchtern sind und dabei so talentiert. Manchmal musst du sie wirklich antreiben. Ich drehe gerade eine richtig große Serie für Apple TV+. Es gab da eine Assistentin, die auf der Suche nach Arbeit war, und ich habe sie mitgeschleppt und allen möglichen Leuten vorgestellt. Sie wollte das gar nicht, ihr war das total unangenehm. Aber du musst das bei dieser Arbeit machen und deine Chancen ergreifen, wenn sie sich bieten.

Der Film spricht eine ganze Reihe von Themen an, über die man viel nachdenken kann. Was hast du für dich selbst von Die einfachen Dinge gelernt?

Zu Beginn der Geschichte wird Vincent während eines Interviews gefragt, ob er glücklich ist, und bricht dabei völlig zusammen, weil er auf diese Frage nicht vorbereitet war. Dabei ist das eine ganz einfache Frage. Mir ist das auch schon mal passiert und ich wurde in einem Interview etwas gefragt, was mich völlig aus dem Konzept gebracht hat. Seither stelle ich mir selbst diese Frage immer wieder. Und wann immer merke, dass ich nicht mit „ja“ antworte, hinterfrage ich alles. Was ist es, das mich davon abhält, glücklich zu sein? Was muss ich ändern? Kann ich es überhaupt ändern? Ich bin jemand, der immer unterwegs ist und etwas Neues sehen muss, weil er sich sonst langweilt. Ich bin auch jemand, der gern mit leichtem Gepäck reist. Wenn ich mein Haus sehe, habe ich manchmal de Drang, es zu verkaufen und alles hinter mir zu lassen. Was ich vom Film gelernt habe, ist stärker in mich hineinzuhören und darauf zu achten, was ich will und brauche.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Lambert Wilson wurde am 3. August 1958 in Neuilly-sur-Seine, Frankreich geboren. Er folgte schon früh dem Vorbild seines Vaters George Wilson, der selbst Schauspieler war, und machte von 1974 bis 1978 eine Schauspielausbildung am Drama Centre London. Sein Filmdebüt gab er 1977 in dem US-amerikanischen Drama Julia. In den 1980ern wurde er in seiner Heimat nach und nach bekannt, angefangen mit La Boum 2 – Die Fete geht weiter (1982). Vereinzelt drehte er aber auch weiterhin auf Englisch und spielte unter anderem in Matrix Reloaded (2003) mit.



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