Frauen in Landschaften
© Uwe Mann

Frauen in Landschaften

Frauen in Landschaften
„Frauen in Landschaften“ // Deutschland-Start: 14. September 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Haben Anke Domscheit-Berg (Die Linke) und Frauke Petry (ehemals AfD) politisch etwas gemeinsam, nur weil sie beide Frauen sind und aus Ostdeutschland stammen? Natürlich nicht. Und dennoch antworten beide ganz ähnlich, als Regisseurin Sabine Michel am Filmende fragt, ob der Westen etwas vom Osten lernen könne. Die Freiheit errungen und damit etwas ganz Unvorstellbares geschafft zu haben, halten beide für die wertvollste Erfahrung ihrer Biografie, die sie den Menschen in den alten Bundesländern voraushaben. In dieselbe Richtung äußern sich auch Manuela Schwesig (SPD) und Yvonne Magwas (CDU). Spätestens jetzt wird deutlich, warum der zunächst vielleicht irritierende Ansatz von Frauen in Landschaften so reizvoll ist: Politikerinnen ganz unterschiedlicher Couleur vor dem Hintergrund ihrer ostdeutschen Herkunft zu porträtieren – und damit weiterführende Diskussionen anzustoßen. So ähnlich, wie es zwei andere Filme von Michel getan haben, der autobiografisch inspirierte Zonenmädchen (2013) und der kontrovers diskutierte Montags in Dresden (2017). Mit der aktuellen Arbeit schließt sich der Kreis einer ostdeutschen Trilogie.

Jenseits der Tagespolitik

Am Anfang der Dokumentation stehen aber nicht die (blühenden oder nicht blühenden) Landschaften. Sondern eine Wand, ein Stuhl und am Boden sehr viel zerknülltes Zeitungspapier. Das strenge Setting setzt den Rahmen, der für jede der vier Politikerinnen gleich ist. Hier reden sie über ihre Eltern, ihren Werdegang, über prägende Erfahrungen und früh gewonnene Überzeugungen. Das weggeworfene Papier am Boden kann bedeuten, dass die aktuelle Tagespolitik außen vor bleiben möge in den Gesprächen. Aber zu 100 Prozent wird das nicht klappen, das scheint die in Dresden geborene Filmemacherin zu ahnen. Die alten Zeitungen wirken deshalb wie eine Mahnung, von der jeweiligen Parteilinie immer wieder zurückzukommen auf die eigenen Erfahrungen und Ansichten.

Denn drei Merkmale verbinden die vier Frauen ganz objektiv miteinander, ob sie es selbst so sehen oder nicht: Sie sind Mütter, sind in der Politik erfolgreich und vereinbaren Beruf und Familie in einer Weise, wie es in der ehemaligen DDR ganz selbstverständlich war. Sabine Michel fand auffällig, wie viele Spitzenkandidatinnen bei der Bundestagswahl 2017 aus Ostdeutschland stammten: Angela Merkel, Kathrin Göhring-Eckardt, Sahra Wagenknecht und Alice Weidel. Seitdem fing die Regisseurin an, ostdeutsche Politikerinnen zu begleiten: beim Straßenwahlkampf, im Bundestag und vor allem in ihrem Wahlkreis und ein bisschen auch privat. Nach und nach schälten sich die vier Protagonistinnen heraus. Sie sind so ausgewählt, dass jede Zuschauerin und jeder Zuschauer wohl ganz eigene Sympathien entwickeln wird, je nach eigener politischer Präferenz.

Loslassen oder Kontrollieren?

So kann man zum Beispiel die Schilderungen von Anke Domscheit-Berg (Die Linke) und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) am spannendsten finden. Ganz einfach deshalb, weil sie am persönlichsten antworten, bemüht sind um größtmögliche Offenheit und Ehrlichkeit, auch was die weniger erfreulichen Aspekte der Politik betrifft. So ist Yvonne Magwas den Tränen nahe, wenn sie davon berichtet, wie sehr ihr dreijähriger Sohn sie vermisst, wenn sie während der Sitzungswochen in Berlin sein muss. Die CDU-Frau berichtet auch, wie sie sich von der Me-Too-Bewegung berühren ließ und auf einen selbst erlebten Vorfall sexueller Belästigung heute ganz anders schaut, als sie das damals zum Zeitpunkt des Geschehens konnte. Ähnlich intime Einblicke gewährt Anke Domscheit-Berg, wenn sie von einem Burnout nach ihrer ersten Periode im Bundestag spricht, und darüber, wie sie sich vor der ständigen Überforderung zu schützen versucht.

Manuela Schwesig, der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und Frauke Petry, der Mitgründerin der AfD, merkt man viel stärker an, wie sehr sie gewohnt sind, das öffentliche Bild von sich zu kontrollieren, selbst wenn es um gezielte Einblicke in das Privatleben nach Art der „Home-Storys“ geht. Aber auch von ihnen kann man Dinge erfahren, die man so nicht wusste. Etwa die Prägung Manuela Schwesigs durch eine sehr große Familie und die einschneidende Erfahrung, als ihr Vater arbeitslos war und sich selbst als wertlos erlebte. Frauke Petry hingegen gibt Einblicke der indirekten Art, etwa wenn sie es ablehnt, darüber zu sprechen, welche Gefühle die Räumung des Bundestagsbüros in ihr auslöst. Ihr Gesicht spricht dabei ungewollt eine deutlichere Sprache. Aber wie auch immer: Dass man es bei allen Porträtierten mit Frauen zu tun hat, die ihr Leben äußerst tatkräftig in die Hand nehmen und dabei viele Widrigkeiten meistern – diesen Eindruck vermittelt der Film in jeder Minute. Und zwar ganz ohne expliziten Kommentar.

Credits

OT: „Frauen in Landschaften“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Sabine Michel
Drehbuch: Sabine Michel
Musik: Cathrin Pfeifer
Kamera: Uwe Mann

Bilder

Trailer

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Frauen in Landschaften
fazit
„Frauen in Landschaften“ setzt vier Porträts von ostdeutschen Politikerinnen in einen spannungsreichen Rahmen. Das Publikum ist selbst gefordert, die Gemeinsamkeiten zu entdecken. Regisseurin Sabine Michels nimmt es dabei durch klare Bildstrukturen und eine durchdachte Dramaturgie bei der Hand. Auch wenn sie nicht jede Politphrase herausschneiden kann oder will.
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