Wann kommst du meine Wunden küssen
© Markus Zucker / ©2022 Schiwago Film, DOMAR Film

Wann kommst du meine Wunden küssen

„Wann kommst du meine Wunden küssen“ // Deutschland-Start: 2. Januar 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Maria (Bibiana Beglau) lebt in Berlin und erregte einst Aufsehen mit ihrer Theater- und Performance-Kunst. Aber weil es im Moment nicht so gut läuft wie früher, setzt sie sich auf ein Motorrad und braust elf Stunden Richtung Süden. Sie will in den Südschwarzwald, zu ihrer krebskranken Schwester Kati (Katarina Schröter). Auf dem von den Eltern geerbten Bergbauernhof trifft sie auch zwei alte Bekannte aus der Hauptstadt wieder, Laura (Gina Henkel) und Jan (Alexander Fehling). Die haben den Hof der Schwestern gepachtet und versuchen sich in der Produktion von Ziegenkäse. Doch eigentlich ist Laura Schauspielerin. Sie war eine Weile der Star von Marias Projekten. Jan machte die Musik dazu – eine Leidenschaft, die er auch als Bergbauer nicht aufgegeben hat. Eine alte Scheune dient als Studio für elektronische Kompositionen. Eine Hintertür für die mögliche Rückkehr in den Kulturzirkus? Oder der Versuch, etwas Abwechslung in das eintönige Leben zu bringen?

Eisige Verhältnisse

Auf den Hängen liegt noch Schnee, als Maria in ihrer Motorradkluft wie ein Besucher vom andern Stern auf den Hof rollt. Die Begrüßung ist eisig, die wechselseitigen Beziehungen so eingefroren wie der Boden der Weiden. Mit Marias Ankunft ist klar: Es kann nur wärmer werden. Sei es durch die Reibung des vielfältigen Konfliktpotenzials, das in den kargen Kammern des einfachen Lebens lauert. Sei es durch den Prozess, den der poetisch angehauchte Filmtitel andeutet. Eine Wunde zu berühren, ist immer schmerzhaft, selbst bei einem Kuss. Aber ein zärtlicher Lippenhauch ist allemal besser als ständiges Kratzen. Wunden hat sich das Vierergespann aus drei Frauen und einem Mann zur Genüge zugefügt. Ob sie heilen können, wirkt auf den ersten Blick nicht sehr wahrscheinlich.

Eines zumindest ist klar: Die gängige Katharsis einer filmischen Heldenreise vom fehlerhaften Leben zum geläuterten Dasein wird man von Regisseurin Hanna Doose nicht erwarten dürfen, selbst wenn sie ihre Figur Laura in einer sehenswerten Spielerei den Film Gladiator zitieren lässt. Dazu war Dooses Debüt Staub auf unseren Herzen (2012) zu rau, zu widerspenstig und lebensnah. Irgendwie scheint die Regisseurin sogar auf den Erstling anzuspielen, denn Maria kommt auch deshalb nach Hause, um einen Film über eine Mutter-Tochter-Beziehung zu machen, also über exakt den Konflikt von Staub auf unseren Herzen. Tatsächlich schwebt die Mutter von Maria und Kati noch über den beiden Schwestern, auch wenn sie lange tot ist. Sie hat sich mit einem Sprung von der Talsperre das Leben genommen. Ein Ereignis, das nicht nur in jeder von beiden tiefe Spuren hinterlassen hat, sondern auch in deren Beziehung.

Magische Naturbilder

Das so zusammenzufassen, ist freilich schon ein wenig überzogen, denn die kammerspielartige Inszenierung verweigert sich höchst vorteilhaft einer vordergründigen Psychologie. Sie lässt den exzellenten Schauspielerinnen Raum zum Improvisieren und wirkt gleichzeitig real und poetisch. Nah an der Wirklichkeit, weil das Berliner Kultur-Raumschiff mit seinen Sprechweisen, Moden und Exaltiertheiten quasi unverändert im Schwarzwald gelandet zu sein scheint. Und ins Künstliche überhöht deshalb, weil symbolisch angehauchte Naturbilder auf magische Praktiken treffen – Kati möchte ihre Krankheit mit Schamanismus heilen.

Manchmal möchte man in die Handlung eingreifen und den Figuren helfen, sich endlich wieder aus dem Sumpf zu ziehen, in den sie durch überstürzte Entscheidungen und verletzte Gefühle geraten sind. Aber dann begreift man wieder, dass jede Abkürzung einen falschen Ton in die ehrliche Auseinandersetzung mit weiblicher Rivalität, verdrängten Ängsten und den Schatten der Elterngeneration schmuggeln würde. Der harmonische Akkord wäre dann zwar kinotauglich im Sinne klassischer Erzählmuster. Zum wahren Leben gehören eher die Holzwege des Schwarzwaldes. Dennoch: Dass langjährige Freundschaften unter Frauen, auch wenn sie jahrelang vereist waren, wieder auftauen können, ist die leise, aber nachdrückliche Hoffnung des Films.

Credits

OT: „Wann kommst du meine Wunden küssen“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Hanna Doose
Drehbuch: Hanna Doose
Musik: Kangding Ray
Kamera: Markus Zucker
Besetzung: Bibiana Beglau, Gina Henkel, Katarina Schröter, Alexander Fehling, Godehard Giese

Bilder

Trailer

Interview

Wer mehr über den Film erfahren möchte: Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Regisseurin und Autorin Hanna Doose zu treffen und im Interview über Wann kommst du meine Wunden küssen zahlreiche Fragen zu stellen.

Hanna Doose [Interview]

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Wann kommst du meine Wunden küssen
fazit
In ihrem zweiten langen Kinospielfilm entwirft Hanna Doose ein fein gezeichnetes Dreieck von zwei Schwestern und deren Freundin, die vor die Alternative „Wahrheit oder Pflicht“ gestellt werden und an ehrlichen Bekenntnissen nicht vorbeikommen. Den beiden Männern bleibt da nur der Platz am Rande, obwohl sie mit Alexander Fehling und Godehard Giese ebenfalls hervorragend besetzt sind.
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