Das Licht aus dem die Träume sind
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Das Licht, aus dem die Träume sind

„Das Licht, aus dem die Träume sind“ // Deutschland-Start: 12. Mai 2022 (Kino) // 3. November 2022 (DVD)

Inhalt / Kritik

Der achtjährige Samay (Bhavin Rabari) lebt mit seiner Familie in einem kleinen Dorf in Indien. Sein Vater Bapuji (Dipen Raval) ist arm, obwohl er offiziell als Brahmane zur oberen Kaste gehört. Die daraus resultierende strenge Religiosität macht es zur Sünde, sich zwielichtigen Vergnügungen wie dem Kino hinzugeben. Nur einmal nimmt der Vater den Sohn mit ins Lichtspielhaus, zur Belehrung und geistigen Erbauung. Gezeigt wird ein Film über die höchste Göttin. Im Nu ist es um den Jungen geschehen. Fortan huldigt er nur noch dem Spiel mit Licht, Farben, Bewegung. Samay freundet sich mit dem Filmvorführer Fazal (Bhavesh Shrimali) an und schockt den Vater mit der Nachricht, Regisseur werden zu wollen. Keine Verbote, keine Stockhiebe, nicht einmal das Gefängnis können den verschmitzten Buben mit den melancholischen Augen und den wilden schwarzen Locken davon abhalten, sich dem Zauber der bewegten Bilder hinzugeben. Er sieht alles, was in der benachbarten, mit dem Zug zu erreichenden Stadt gezeigt wird: Western, Action und natürlich ganz viel prallbuntes Bollywood.

Autobiografisch gefärbt

Wer sich derart sinnlich vor dem Rattern des Projektors, seinem blendend hellen Strahl und dem Einfädeln des Zelluloids verbeugt, kann eigentlich nur von seiner eigenen Geschichte erzählen. Tatsächlich ist Das Licht, aus dem die Träume sind autobiografisch gefärbt. Aber nicht zu hundert Prozent, wie Regisseur Pan Nalin (Samsara, 7 Göttinnen) betont. Tatsächlich verkaufte sein Vater Tee an einem abgelegenen Bahnhof, ebenso wie der Filmvater. Zudem war die eigene Mutter eine hervorragende Köchin, genau wie Samays Mutter Baa (Richa Meena), die ihrem Sohn die köstlichsten Speisen in der Lunchbox mitgibt und schon bald ahnt, dass sich der Junge daran nicht selber erfreut, sondern sich den Eintritt ins Allerheiligste der Filmvorführung erkauft. Andere Details der heiteren, mit viel Wärme und Augenzwinkern erzählten Geschichte sind hingegen erfunden. Schließlich ist es unwahrscheinlich, dass ein kleiner Bub wie nebenbei fast sämtliche Vorläufer des Kinos entdeckt, vom Schattenspiel über die Laterna Magica bis hin zu einem primitiven, selbst gebauten Vorführapparat.

Aber vielleicht ist es kein Zufall, dass Züge eine wichtige Rolle spielen, ganz wie bei Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat, einem der frühesten Werke der Filmgeschichte, gedreht und vorgeführt von den Brüdern Lumière. Zu Beginn sehen wir Samay ein paar Nägel auf die Gleise legen. Die Bahn nähert sich, fährt gefahrlos darüber hinweg – und der Junge freut sich über die plattgedrückten Metallteile, die sich hervorragend als Spitzen für seine Pfeile eignen. Die kleine Episode enthält im Kern beinahe alles, was den Film ausmacht: das technische Verständnis, das dazu führt, dass Samay irgendwann problemlos einen Projektor bedient. Aber auch ein gerüttelt Maß an Fantasie, die es dem Jungen ermöglicht, ungewöhnliche Wege zu suchen, und ihn zum Geschichtenerzähler prädestiniert. Schließlich zeigt sich schon früh die Begabung, aus wenig etwas zu machen und aus ärmlichen Verhältnissen zu entkommen, um als Student alles über das Filmemachen zu lernen.

Poesie der Farben

Natürlich kann ein Film, der im Titel das Licht feiert und ein paar verspielte Zitate für Cineasten bereithält, nicht düster daherkommen. Aus der Perspektive des Jungen wählt Kameramann Swapnil S. Sonawane Blickwinkel, die die Magie nicht nur des Kinos, sondern auch der Natur und der Kochkunst in satten Farben einfangen. Immer wieder verliebt sich der Film in den gleißenden Strahl weißen Lichts, dessen Zauber er in vielen Varianten zelebriert. Das verleiht seiner Ästhetik etwas leicht Märchenhaftes, obwohl die Inszenierung den harten Boden der Tatsachen nie verlässt, sondern ihn sanft abfedert, ähnlich dem mütterlichen Prinzip, das den Sohn im Gegensatz zum verzweifelnden Vater nie verloren gibt, sondern sein Talent im stillen Einverständnis erkennt und fördert.

Trotz des jungen Hauptdarstellers, der den Film bravourös trägt, gehört die neue Arbeit von Regisseur Pan Nalin nicht ins Coming-of-Age-Genre und ist auch kein Kinderfilm, sondern eine Hymne auf das Kino selbst, insbesondere auf den handfesten, technischen und haptischen Anteil seiner Produktionsbedingungen. Darin schwingt die Verbeugung vor dem Analogen mit, die jedoch nicht in reine Nostalgie abdriftet. Als die massiven Projektoren den Festplatten weichen müssen und das Zelluloid ausgedient hat, folgt Pan Nalin dem Abtransport in eine beeindruckende Recycling-Anlage. Aus dem Tod des Alten entsteht etwas Neues. Aber das Kino als solches überlebt.

Credits

OT: „Chhello Show“
Land: Indien, Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Pan Nalin
Drehbuch: Pan Nalin
Musik: Cyril Morin
Kamera: Swapnil S. Sonawane
Besetzung: Bhavin Rabari, Bhavesh Shrimali, Richa Meena, Dipen Raval, Paresh Mehta

Bilder

Trailer

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Das Licht, aus dem die Träume sind
Fazit
Halb autobiografisch erzählt der indische Regisseur Pan Nalin von einem achtjährigen Jungen, der sich unsterblich ins Kino verliebt und einmal Filme machen möchte, gegen den erbitterten Widerstand seines Vaters. Daraus macht der farbenfrohe Film nicht nur eine Feier der Fantasie, sondern auch des Lebens selbst, in seiner einfachen Schönheit.
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