West Side Story 2021
© 20th Century Studios

West Side Story (2021)

Inhalt / Kritik

West Side Story 2021
„West Side Story“ // Deutschland-Start: 9. Dezember 2021 (Kino) // 10. März 2022 (DVD/Blu-ray)

New York 1957: Jugendliche Banden machen die Stadt unsicher. Riff (Mike Faist) trifft mit seiner weißen Gang, den Jets, auf die Sharks: puerto-ricanische Einwanderer, angeführt vom charismatischen Bernardo (David Alvarez). Es kommt zu einer üblen Schlägerei, die der überforderte Officer Krupke (Brian d’Arcy James) nur mit Mühe beenden kann. Aber die Jets geben keine Ruhe. Sie suchen die Entscheidungsschlacht, um ein für alle Mal zu klären, dass die Sharks auf weißem Territorium nichts zu suchen haben. Für den Bandenkrieg will Riff seinen Kumpel Tony (Ansel Elgort) in die Gang zurückholen, der eigentlich Schluss gemacht hatte mit dem halbkriminellen Leben. Tony soll unbedingt auf den Ball kommen, auf dem auch die Sharks mit ihren Mädchen tanzen und wo Riff mit Bernardo die Wahl der Waffen besprechen will. Tony erscheint – und sieht María (Rachel Zegler), Bernardos Schwester. Mit dem ersten Blick ist es um die beiden geschehen. Wie der Blitz schlägt die verbotene Liebe in die verfeindeten Lager ein: Romeo und Julia in den schmutzigen Hinterhöfen von New York.

Eine Trümmerlandschaft

Sanft gleitet die Kamera von Janusz Kaminski über Schutthalden. Rostiges Eisen sticht heraus, dann rücken Häuserruinen in den Blick – Bilder wie aus dem zerbombten Berlin. Die kunstvoll arrangierte Sequenz weidet sich geradezu an der Zerstörung, kann sich kaum sattsehen an den Resultaten der Gewalt, die über einen gewachsenen Lebensraum hereinbricht, über die Brutalität, die ein ganzes Viertel dem Erdboden gleichmacht. Auf der Tonspur erklingen Motive des Musicals West Side Story, das Hollywood-Legende Steven Spielberg hier neu verfilmt.

Die Ruinen-Szene stammt nicht aus dem ursprünglichen Broadway-Musical, für das Leonard Bernstein die Musik schrieb, und auch nicht aus der ersten Verfilmung durch Robert Wise und Jerome Robbins im Jahr 1961. Spielbergs Remake bringt mit dem Abriss armer Stadtviertel zugunsten teurer Apartments ein höchst aktuelles Motiv in die Handlung ein. Erstaunlicherweise ist es nicht einmal erfunden. Drehbuchautor Tony Kushner hat recherchiert, dass in den 1950er Jahren die Häuserzeilen um den Lincoln-Platz und das San Juan Hill-Viertel tatsächlich dem Erdboden gleich gemacht wurden.

Bereits an diesem Beispiel wird Spielbergs genereller Umgang mit dem Stoff deutlich: Er will West Side Story ein Stück heutiger machen, aber er verlegt das Musical nicht in die Jetztzeit, sondern dreht im historischen Ambiente. Zugleich verschärft der Hinweis auf die Vertreibung – neudeutsch: Gentrifizierung – den Irrsinn, der bereits in Bernsteins Original steckt. Der amerikanische Traum ist sowohl für die weiße Unterschicht wie für die frisch zugewanderten Puerto-Ricaner eine bloße Wunschphantasie. Aber statt die Wut an den wirklich Schuldigen auszulassen, schlagen die Underdogs beider Lager einander die Köpfe ein. Und das im Kampf um ein Viertel, das gerade abgerissen wird. Weder die weißen Jets noch die dunkelhäutigen Sharks werden hierher künftig noch einen Fuß setzen. Verblendung, dein Name ist Riff und Bernardo.

Auch im Original gibt es Leute, die klüger sind. Der weiße Ladenbesitzer Doc zum Beispiel, bei dem die Jugendlichen abhängen, der aber mit seinem hilflosen Humanismus für die Halbstarken eine Lachnummer abgibt. Spielberg ersetzt ihn durch die Puerto-Ricanerin Valentina (Rita Moreno), sozusagen eine Frau von der anderen Seite, bei der der weiße Tony Arbeit und Unterschlupf findet. Valentinas Warnungen vor der Gewalt lassen sich nicht als weltfremd abtun. Sie weiß, wovon sie spricht, schließlich war sie mit dem inzwischen verstorbenen Doc, also einem Weißen, verheiratet. Sie kennt das Übel des damals wie heute grassierenden Rassismus aus eigener Erfahrung. Und: Sie hat in ihrem eigenen Leben Brücken gebaut. Aber auch mit dieser Neuerung wendet sich Spielberg nicht von der Vorlage ab, sondern verbeugt sich ausdrücklich vor der Vergangenheit. Denn Valentina-Darstellerin Rita Moreno hat bereits vor 60 Jahren im Original mitgewirkt, damals als Bernardos Geliebte Anita (heute: Ariana DeBose).

Starke Bilder

Auch mit visuellen Mitteln pustet Spielberg jede Menge Staub von der Vorlage. Sein wuchtiger Stil betont die Kontraste zwischen Liebe und Hass. Er lädt die Tanzszenen energetisch auf, geht mit dynamischen Kamerafahrten nah ran, lässt die Luft vibrieren. Immer wieder greift er zu kontraststarken Schnitten und kreiert symbolträchtige Bilder, etwa bei der legendären Balkonszene, wo er die Liebenden durch Gitter filmt. In jeder Einstellung ist zu sehen, welche Sorgfalt darauf verwendet wurde, den Musical-Klassiker auf Hochglanz zu polieren.

Zu spüren ist allerdings auch, wie ehrfürchtig Steven Spielberg den Stoff angeht. Eine radikale Modernisierung würde anders aussehen. Sie ließe keine Straßenkreuzer aus den 1950ern durchs Bild fahren, sondern hätte die nostalgischen Reminiszenzen bei Bühnenbild, Tanzstilen und Kostümen über Bord geworfen. Das wollte der mittlerweile 75-jährige Altmeister des amerikanischen Kinos offensichtlich nicht, der den Film im Abspann seinem Vater widmet. Schon immer ritt Steven Spielberg in seinen Arbeiten auch persönliche Steckenpferde. Bereits im Kindesalter verliebte er sich in die Musik von West Side Story. Den Stoff zu verfilmen, war seit vielen Jahren ein Traum von ihm. Die Konsequenz: Eingefleischte Musical-Fans kommen auf ihre Kosten. Aber man muss sich darauf einstellen, dass das Genre-Rad hier nicht neu erfunden wird. Womöglich auch deshalb der Filmstart in der Vorweihnachtszeit.

Credits

OT: „West Side Story“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Steven Spielberg
Drehbuch: Tony Kushner
Musik: Leonard Bernstein
Kamera: Janusz Kaminski
Besetzung: Rachel Zegler, Ansel Elgort, Ariana DeBose, David Alvarez, Mike Faist, Brian d’Arcy James, Rita Moreno

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