© Adam Jandrup

Andreas Koefoed [Interview]

In seinem neuesten Werk The Lost Leonardo (seit 23. Dezember 2021 im Kino) untersucht der dänische Dokumentarfilmer Andreas Koefoed die Reise eines mysteriösen Kunstgemäldes um die ganze Welt, bei dem vermutet wird, es könnte von Leonardo Da Vinci stammen. Wer jetzt aber denkt, dass die Kunstwelt öde und langweilig ist, der wird hier eines besseren belehrt. Doch was genau macht so ein Film in den Kinos in 2021, wo doch die letzten paar Jahre von einer immer stärkeren Nostalgiewelle an Reboots und Sequel begleitet wird? Diese und viele weitere Fragen haben wir Andreas Koefoed einmal ganz persönlich gestellt.

Beim Blick auf all die Reboots, Remakes, Prequels und Sequels der letzten Jahre, was hat ein Film über ein 500 Jahre altes Gemälde in den Kinos in 2021 zu suchen?

Das ist eine wirklich gute Frage – das habe ich mich am Anfang auch selber gefragt. Mein Ansatz oder Herangehensweise war folgende: Wir haben hier eine Geschichte über ein so altes Gemälde und da steht eine große Frage im Raum – Warum sind die Menschen besessen davon, alles über dieses Gemälde herauszufinden? Leonardo Da Vinci steht schon generell für geheimnisvollen Mythos und dann noch so ein Gemälde? Die Geschichte musste einfach erzählt werden! Dass das Gemälde dann in die Geschichte eingeht und nach der bedeutenden Auktion zum wertvollsten Kunstobjekt auf der Welt wird, auf der anderen Seite aber trotzdem eine Menge Fragezeichen aufwirft, macht die Geschichte aber auch so spannend. Ich wollte daher die Story von Anfang an erzählen, als es 2005 gefunden wurde und für unbedeutende Geldbeträge die Besitzer wechselte. Heute – 16 Jahre später – ergibt sich deshalb eine Geschichte, die auch sehr viel über Prestige und Geld, schlichtweg über unsere Gegenwart erzählt. Ich betrachte das Gemälde daher mit zwei unterschiedlichen Perspektiven. Einmal als ein Prisma, durch das wir einen Blick auf unsere aktuelle Welt erhalten. In der Hinsicht lässt sich gut abstrahieren, welche Mechanismen in der Welt um uns herum geschehen, beispielsweise im Kontext Kunsthandel. Auf der anderen Seite kann man das Gemälde aber auch als einen Spiegel sehen, um unser eigenes Verhalten einmal unter die Lupe zu nehmen. Ein Beispiel: Der Glauben ist bei der Geschichte ein essentieller Faktor, da man leider nicht mit absoluter Gewissheit sagen kann, ob das Bild nun wirklich ein Da Vinci ist. In dem Fall muss man sich dann eben entscheiden: glaubt man, dass es ein Da Vinci ist oder nicht? Solche und viele andere Verhaltensweisen, die ich im Film anschneide, bringt den Zuschauer in eine Situation, wo man sich dann selber so etwas fragt wie „Was hätte ich in dieser und jener Situation wohl gemacht?“. Ich denke durch diese zwei Sichtweisen wird die Dokumentation richtig sehenswert und relevant für Jedermann.

Wann haben Sie zum ersten Mal von dem geheimnisvollen Gemälde gehört und was passierte bis zu der Entscheidung, einen Film darüber zu machen?

Ich hörte zum ersten Mal von dem Gemälde im Frühling 2018, zwei Monate nach der Auktion. Durch einen befreundeten Produzenten erfuhr ich dann erst einmal von der ganzen Geschichte, da ich nicht wirklich in der Kunstwelt unterwegs bin. Nach den Gesprächen war ich aber direkt begeistert und dachte sofort – da muss ich einen Film machen, da man hier so viele „Zutaten“ hat, mit denen man arbeiten kann. Schon allein die ganzen Charaktere, die involviert waren, bieten eine große Bandbreite, die man erst einmal durcharbeiten muss. Letzten Endes ist es bei mir dann so: Wenn ich einerseits ein persönliches Interesse oder Neugier verspüre und das Ausgangsmaterial darüber hinaus etwas Universelles aufweist, also etwas, was uns alle angeht, dann ist die Entscheidung schnell gefällt.

Wie sah die Produktion aus, wenn man The Lost Leonardo mit Ihren anderen Werken vergleicht?

Meine anderen Werke thematisieren normalerweise einen Protagonisten und einen damit verbundenen Wachstumsprozess. Bei The Lost Leonardo sieht das natürlich ganz anders aus, weshalb sich auch die Produktion stark unterschieden hat. Gerade aufgrund so vieler Charaktere wird man mit der Frage konfrontiert: Wie bringt man alles unter einen Hut? Das hat dieses Mal zwar deutlich mehr die Hilfe von Drehbuchautoren und Rechercheassistenten erfordert, aber ich denke, dass wir das ziemlich gut gemeistert haben. Gerade beim Punkt, was man erzählt – da gäbe es noch so viel zu berichten, aber ein fünfstündiger Film wäre definitiv zu viel des Guten. Die Herausforderung bestand also darin zu schauen, was schneidet man raus, was ist vielleicht nicht ganz so wichtig und was muss aber definitiv in den Film rein, um ein gewisses Grundverständnis von beispielsweise Kunstrestauration zu vermitteln? Unerzählter Stoff ist aber noch reichlich vorhanden, weshalb es an einigen Tagen schon fast die Überlegung gab, eine Serie daraus zu machen. Wir stellten aber schnell fest, dass es da so viele Subplots gibt, worunter die Narrative dann gelitten hätte. Zu viel Tiefe ist ab einem gewissen Punkt einfach kontraproduktiv und deshalb haben wir eine goldene Mitte eingeschlagen. Das bringt aber auch seine Vorteile mit, so können selbst Kinder den Film gucken, ohne überfordert aus dem Kino gehen zu müssen.

Wie sah Ihre ursprüngliche Vision über die Geschichte aus und wie nahe kommt dieses Bild dem Endresultat, welches wir jetzt in den Kinos bestaunen können?

Ich denke meine Vision und das Endergebnis kommen sich ziemlich nahe. Natürlich gibt es ein paar Aspekte, die ich erst anders haben wollte aber man muss eben einsehen, dass man nur begrenzte Ressourcen und Möglichkeiten hat. Ein Beispiel: Mit dem Kurator vom Louvre hätte ich natürlich sehr gern einmal gesprochen, aber diese Menschen sind eben sehr beschäftigt und da kann man eben nicht viel machen. Die Geschichte aus erster Hand zu bekommen, ist bei so einer Geschichte aber elementar, da man bei einigen Fragen unter Umständen unterschiedliche Antworten bekommt, je nachdem wen man fragt. Wir haben unser Bestes versucht, um so nahe wie möglich an die erforderlichen Informationen heranzukommen, aber das ist eben ein Punkt, bei dem es Kompromisse oder zumindest einen Plan B erfordert, wenn Interviews abgesagt werden.

Denken Sie, dass die ganze Geschichte zum Teil auch auf menschlichen Fehlern fußt? Vielleicht wäre die Geschichte ganz anders ausgegangen, hätte der ein oder andere Charakter einige Entscheidungen anders getroffen.

Das kommt unter Umständen darauf an, wen man fragt. In der Zeit nach der Entdeckung wurde viel am Bild restauriert, was einen frühen Authentifikationsprozess erschwert hätte. Schon bei dem Beispiel haben wir einen Punkt, wo einige Kritiker Skepsis äußern und sagen, dass man das Gemälde nie hätte restaurieren dürfen. Vielleicht bin ich nicht der beste Ansprechpartner, was diese Frage anbelangt, aber ganz klar: Die Geschichte wäre gänzlich anders ausgegangen, schaut man auf vereinzelte Entscheidungen. Zum Beispiel auf die Entscheidungen seitens der Museen, die sich schon 2005 gegen den Kauf des Gemäldes entschieden haben. Über einen französischen Mittelsmann landete es stattdessen bei dem russischen Oligarchen und alles Weitere ist Geschichte.

Auf der einen Seite haben wir eine, man könnte schon fast sagen, Jahrhundertstory, auf der anderen Seite trägt die Geschichte aber auch Gier, Egoismus, und Selbstbereicherung in sich. Trotzdem kommen Menschen zur Sprache, obwohl die Geschichte kein gutes Bild auf sie wirft. In Sachen Transparenz, wie haben sie diese Menschen für ein Interview überredet?

Ich bin ein Outsider in der Kunstwelt und da war das vielleicht weniger einschüchternd für diese Menschen. Ich bin ja nicht einmal ein Journalist sondern „nur“ ein dänischer Regisseur und mein Ziel bestand vielmehr darin, diese tolle Geschichte zu erzählen. Wenn Menschen die Möglichkeit haben, ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen, dann geht man vielleicht auch mit einer anderen Motivation in so ein Interview. Zu Beginn war das aber auch einfach nur pures Sammeln von Geschichten. Dass sich nach und nach so viele Verstrickungen ergeben, das war gleichermaßen überraschend und faszinierend.

The Lost Leonardo erzählt so viel über Geschichtsschreibung und die Vergangenheit aber auch über unsere gegenwärtige Welt. War das die Grundidee oder wurde erst im Laufe der Produktion dieser Gegenwartsbezug entdeckt?

Im Grunde genommen war beides der Fall, da wir schon zu Beginn wussten, dass das Gemälde von Mohammed bin Salman gekauft wurde und es zu politischen Verstrickungen kam. Widmet man sich aber so einem multidimensionalen Thema in aller Tiefe, dann kristallisieren sich die unterschiedlichen Aspekte erst nach und nach heraus. Deswegen bekam der Film auch diese Dreiteilung in Kunstwelt, Finanzwelt und Geopolitik.

Im Film ist die Rede von einem geheimen Louvre-Booklet. Einige Leute werden sich da vielleicht die Fragen stellen: Warum wurde dieses Booklet nicht veröffentlicht? Und denken Sie, dass es Mysterien gibt, die bisher immer noch nicht vollständig geklärt werden konnten?

Da gibt es einen relativ einfachen Grund dafür, denn im Frankreich gibt es dafür ein Gesetz. Einfach ausgedrückt besagt dieses Gesetz, dass ein Museum keinen Kommentar abgeben darf, wenn es sich um ein Gemälde in Privatbesitz handelt. Sofern das Bild also nicht direkt im Louvre hängt, darf dieser auch keine Kommentare abgeben, selbst wenn es von Experten untersucht wurde. Unglücklicherweise, muss man schon fast sagen, wurde aber ein Booklet erstellt, in dem man die kunsttechnische Analyse des Salvator Mundi Gemäldes festgehalten hat. Dies gelangte nun in die Hände weniger und deshalb erweckt das so einen mysteriösen Eindruck. Unabhängig davon gibt es aber sicherlich vieles, was noch nicht vollständig geklärt wurde. Es bleibt also spannend und wer weiß, was die nächsten Jahre an Erkenntnissen noch bereithalten.

Nach The Lost Leonardo, ist dies das Ende der Reise?

Nein, ich denke da ist sogar noch Potential für einen weiteren Teil. Im wahrscheinlichsten Fall wird Saudi-Arabien eine Ausstellung in den nächsten ein, zwei Jahren anstreben und bis dahin wird sicherlich auch noch einiges passieren. Museen werden gebaut, natürlich auch mit der Intention, um ein internationales Publikum anzulocken und das ist sicherlich spannend zu sehen, was uns da noch alles erwarten wird. Interessant finde ich beispielsweise auch den Punkt einer weiteren Untersuchung des Gemäldes, denn auch wenn das Louvre Museum die beste Technik bei Kunstanalysen besitzt, so plant Saudi-Arabien ein neues Forschungszentrum mit neuer Lasertechnologie, um Kunstanalysen noch präziser vornehmen zu können. Wer weiß, vielleicht ergeben sich so neue Erkenntnisse in den nächsten Jahren.

Nachdem sowohl das Publikum als auch Kritiker The Lost Leonardo sehr wohlwollend aufgenommen haben, motiviert Sie das in der Kunstwelt noch ein wenig zu bleiben oder soll der nächste Film in eine komplett andere Richtung gehen?

Wenn Interesse besteht und man das Potential für einen weiteren Teil gut umreißen kann, dann würde vermutlich ein zweiter Teil als nächstes folgen. Ich bin aber sehr offen für viele unterschiedliche Geschichten und behalte mir diese Option erst einmal nur im Hinterkopf. Es ist aber jetzt nicht so, dass ich sage, ich fühle mich in diesem Metier richtig wohl und die nächsten Filme sind nur über Kunst und Geschichte. Aber wie gesagt, wenn ich höre, dass einige Leute diese Geschichte als verrückteste seit langem betiteln und sich in den nächsten Monaten und Jahre da noch ordentlich was tut, dann ist die Motivation definitiv geweckt.

Vielen Dank für das tolle Interview!

Zur Person
Andreas Koefoed ist ein dänischer Dokumentarfilmer und bekannt für seine Produktionen wie Ballroom Dancer – Der Weg an die Spitze, Efterklang: The Ghost of Piramida und seinem gefeierten letzten Film The Lost Leonardo, welcher auf Rotten Tomatoes Spitzenwerte erreichte.



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